Vermischtes

Bevölkerungsbezogene Gesundheitsstudie wird 20

  • Freitag, 3. November 2017

Greifswald – Männer mit einer niedrigen Konzentration des Sexualhormons Testoste­ron sterben eher. Chronisch hohe Entzündungswerte im Blut fördern eine Parodontitis. Im Nordosten Deutschlands leben überdurchschnittlich viele Menschen mit Fettleibig­keit und Diabetes. Das sind nur drei der vielen Untersuchungsergebnisse, die Greifs­walder Forscher – teilweise in Zusammenarbeit mit Medizinerkollegen aus aller Welt – aus den Gesundheitsstudien SHIP und SHIP-Trend (Study of Health in Pomerania) gewonnen haben.

Vor 20 Jahren – Ende 1997 – starteten Mediziner der Universität Greifswald die erste bevölkerungsbezogene Gesundheitsstudie, um den Risikofaktoren für Volkskrankheiten wie Diabetes oder Herz- und Kreislauferkrankungen auf die Spur zu kommen. Der Vorpommer wurde – zumindest in Bezug auf seine Gesundheit – gläsern für die Medizin.

Mehr als 8.700 Probanden im Osten des Landes wurden seit 1997 in den beiden SHIP-Studien wiederholt untersucht. Deren Blut- und Urinproben lagern in der Biobank. „Unser Weinkeller“, sagt Studienleiter Henry Völzke. Die Analysen der Laborwerte dienen Wissenschaftlern weltweit dazu, Ursachen und Risikofaktoren für Erkrankungen zu ermitteln. Etwa 100 bis 120 wissenschaftliche Fachartikel unter Beteiligung von Greifswalder Forschern erscheinen inzwischen weltweit pro Jahr. Laut Völzke sind es mittlerweile weit mehr als 1.000 Veröffentlichungen, in denen die Gesundheits- oder Biodaten der Vorpommer mit eingingen.

„SHIP ist nicht die größte, aber die weltweit umfangreichste bevölkerungsbezogene Gesundheitsstudie“, sagt Völzke. Wer das gesamte Spektrum der SHIP-Trend-Studie mitnimmt, hat ein Untersuchungsprogramm von 25 Stunden – angefangen vom Gesundheitscheck, Ganzkörper-MRT bis zum Schlaflabor – zu absolvieren.

Die Daten sind zum einen von landesweitem Interesse. Aussagen zur Häufigkeit bestimmter Erkrankungen könnten helfen, den künftigen medizinischen und zahn­medizinischen Versorgungsbedarf in der Bevölkerung abzuschätzen, sagt Gesundheits­minister Harry Glawe (CDU). Die Gesundheit eines Menschen werde nicht allein durch eine Erkrankung bestimmt. Viele Einflussfaktoren wie berufliche und soziale Lebens­umstände und gesundheits­beeinträchtigende Verhaltensweisen wirkten zusammen und beeinflussten die Gesundheit.

Die SHIP-Daten zeigen die Verbindung von Risikofaktoren und Erkrankungen auf. „Die Studienergebnisse haben viele komplexe medizinische Zusammenhänge aufgedeckt, so beispielsweise, dass Zahnfleischschwund das Herzinfarktrisiko erhöht, eine Leberver­fettung das Diabetesrisiko fördert und eine Arterienverkalkung die Knotenbildung in der Schilddrüse anregt“, sagt Völzke. Anhand der breiten Datenlage dient die Langzeit­studie zudem dazu, wichtige Referenzwerte für Laboranalysen, körperliche Belastbar­keit und Organgrößen zu gewinnen.

Neue Methoden des Data Minings helfen inzwischen, genetischen Fragestellungen von Erkrankungen weltweit auf die Spur zu kommen – die Bioinformatik öffnet quasi die Tore zur „Gesundheit 4.0“. Dazu kooperieren die Greifswalder mit Forschern in anderen europäischen Staaten und Amerika. Inzwischen wurden zwei SHIP-Schwesterstudien in Polen mit 5.000 Probanden und in Brasilien mit mehr als 2.000 Probanden ins Leben gerufen.

Die Greifswalder Forscher bereiten derweil eine weitere SHIP-Studie vor. Ab 2020, so der Wunsch, könnte dann eine dritte Kohorte untersucht werden, sagt Völzke. Befürch­tungen, dass nach 20 Jahren freiwillige Studienteilnehmer ausgehen könnten, hat der Mediziner nicht. Der Rücklauf sei zwar von 68 Prozent (SHIP-Studie) auf 50,1 Prozent (SHIP-Trend) gesunken. Das sei aber kein spezifisches Problem von SHIP, sondern ein gesellschaftliches Phänomen. Mit dem Rückgang der Arbeitslosigkeit hätten die Menschen heute weniger Zeit. Zu beobachten sei zudem ein tendenziell abnehmender Altruismus, also sich uneigennützig für andere einzusetzen.

dpa

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