Politik

Bund lässt wichtigstes Programm zur Erforschung der Pandemieentstehung auslaufen

  • Dienstag, 25. April 2023
/Amar Tanveer, stock.adobe.com
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Berlin – Was muss Deutschland aus der Coronapandemie lernen und wie gut wäre man auf eine weitere Pan­demie vorbereitet? Diese Frage diskutierten Forschende des Forschungsnetzes Zoonotische Infektionskrank­heiten bei einer Veranstaltung in Berlin am vergangenen Freitag.

Zum Ende des Jahres laufen die Fördermittel vom Bundes­ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) so­wohl für das Netzwerk als auch für die koordinierende Zoonosenplattform aus. Was folgt, ist eine One Health Plattform des BMBF und weiteren Ministerien.

Das neue Forschungsnetzwerk solle „einen wichtigen Beitrag leisten, um im Falle einer weiteren Pandemie schnell reagieren zu können“, sagte Veronika von Messling, Leiterin der Abteilung „Lebenswissenschaften“ des BMBF. Denn ein „never again“ sei nicht realistisch.

Ob die neue One Health Plattform das Forschungs­netz ersetzen kann, stellten Vertreter der Charité-Universi­täts­medizin Berlin am Rande der Veran­stal­tung jedoch infrage.

„Zwar werden der One Health Plattform Mittel für kleinere Projekte zur Verfügung gestellt, größere Förderaufrufe im Forschungsfeld sind jedoch nicht parallel ausgeschrieben“, sagte die Koordinatorin des Forschungsnetzes Ilia Semmler.

Um die in Deutschland entstandene Fachcommu­nity in der Zoonosenforschung weiter zu finanzie­ren, seien substanzielle Förderprogramme not­wendig, ergänzte Christian Drosten, Sprecher des Forschungsnetzes. „Da aber die Förderung des Forschungsnetzes zum Jahresende ausläuft, ist mir im Moment unklar, welche größeren Forschungsprogramme zukünftig durch die One Health Plattform koordiniert werden können“, sagte Drosten.

Auch wenn der One-Health-Ansatz grundsätzlich unterstützenswert sei, zeigte sich der Virologe im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt von der Nachhaltigkeit der derzeitigen Förder- und Finanzierungsstrategie nicht überzeugt. „In dem Jahr, in dem wir endlich die Pandemie als beendet ansehen können, endet wohl auch die Förderung des bisher wichtigsten deutschen Programms zur Erforschung der Pandemieentstehung.“

Unnötige Kontroversen vermeiden

Dabei ist die Forschung zu Erregern mit Pandemiepotenzial längst nicht am Ziel angelangt, wie die Vorträge auf der Veranstaltung deutlich machten. Auch bei ihrer Bilanz zur Coronapandemie trugen die Referierenden einige Verbesserungsvorschläge für kommende Pandemien zusammen.

Vor allem im Sommer 2020, vor der zweiten Welle, hätte sich der Berliner Virologe Drosten eine breitere Prä­senz von Forschenden gewünscht, die sich in den Medien zu Wort melden: „Wissenschaftsorganisationen hätten sich im Sommer 2020 öffentlich positionieren können, um zu zeigen, wo der Konsens liegt.“

Melanie Brinkmann vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung stimmte ihrem Fachkollegen zu: „Es gab einen klaren konsentierten Wissensstand: Die Impfung ist erreichbar und die zweite Winterwelle wird kommen.“ Dennoch wurde auf Basis weniger anderer Stimmen die Winterwelle infrage gestellt.

„Bei der nächsten Pandemie sollte es nicht erneut Kontroversen geben, die eigentlich nicht kontrovers sind“, forderte Drosten und verwies dabei auch auf Äußerungen von Politikern. Auch das Argument von Wissenschaft­lern, man sei zu sehr mit der eigenen Forschung beschäftigt, lässt der Virologe an dieser Stelle nicht gelten und betonte: „Die organisierte Wissenschaft steht hierbei in einer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.“

Erreger mit Pandemiepotenzial

Die Frage nach dem Erreger mit dem größten Potenzial für eine weitere Pandemie, ist schwer zu beantworten. Dass, wie damals in China zum Beginn der Pandemie, etwas Auffälliges passiert und gemeldet wird, würde rela­tiv häufig vor­kommen, berichtete der Mediziner Victor Corman vom Institut für Virologie an der Charité – Uni­versitätsme­dizin Berlin. Damals hatten Cluster unklarer Pneumonien Anlass zur Sorge gegeben. „Erstaunlich oft passiert nach solchen Auffälligkeiten aber nicht viel oder es klärt sich auf.“

Wie gut man eine weitere Pandemie bewältigen würde, hängt ganz entscheidend vom Virus ab. Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) berichtete etwa über humane Bornaviren. Diese hätten zwischen den Jah­ren 1996 und 2022 in Deutschland zu 45 laborbestätigten Fällen geführt – 44 davon verliefen tödlich. Beers Fazit: „Sehr selten, aber sehr tödlich. Das sind keine Erkrankungen, die Pandemien auslösen.“

Ein anderes Virus, über das bei der Abschlussveranstaltung des Forschungsnetzes Zoonotische Infektions­krank­heiten diskutiert wurde, war das Hantavirus. In den USA sowie weiteren Gebieten des amerikanischen Konti­nents kommen Infektionen durch das Sin-Nombre-Virus (Reservoir: Hirschmaus, Peromyscus manicu­latus) vor.

Dieses kann das Hantavirus-Kardiopulmonale-Syndrom auslösen und kann mit einer Letalität von mehr als 40 % einhergehen (RKI). Eine Einschleppung von Hirschmäusen, die Träger des Sin-Nombre-Virus sind, hält Rainer Ulrich vom FLI jedoch für äußerst unwahrscheinlich.

Mehr Aufmerksamkeit sollte zudem das West-Nil-Virus (WNV) erhalten, eine mittlerweile weltweit verbreite­te Zoonose, sagte Ute Ziegler, ebenfalls vom FLI. „Wir gehen davon aus, dass das Virus in bestimmten Regio­nen Deutschlands bereits endemisch ist.“

Die meisten autochthonen humanen WNV-Infektionen werden jedes Jahr im Spätsommer registriert. Dem ers­ten durch Mücken übertragenen Fall 2019 im Raum Leipzig folgte ein deutlicher Anstieg im Jahr 2020 auf 20 autochthone symptomatische und zwei asymptomatische Infektionen. Bis Jahresende wurden darüber hinaus 63 Fälle bei Zoo- und Wildvögeln sowie bei 22 Pferden festgestellt, alle mit mehr oder weniger starker klini­scher Symptomatik.

„Erste WNV-Wirkstoffe werden in klinischen Studien untersucht“, berichtete Ziegler. Impfstoffe seien nur für Pferde vorhanden. Die Ständige Impfkommission Veterinärmedizin empfiehlt diese in Endemiegebieten zu immunisieren, um den Infektionsdruck zu reduzieren.

Auffällig viele Fälle werden derzeit etwa beim aviären Influenzavirus H5N1 beobachtet. „Hier braut sich ein­deutig etwas zusammen“, so Drosten. Es sei aber durchaus möglich, dass eine Influenzapandemie aus immu­no­logischen Gründen, auch glimpflich verlaufen könnte. Zudem gebe es ein Medikament und vorkonfigu­rierte Impfstoffe. „Die letzte Influenzapandemie haben wir teilweise gar nicht als Pandemie wahrgenommen.“

Kontaktbeschränkungen wie bei der Coronapandemie oder eine vergleichbare Letalität in bestimmten Alters­gruppen, wären nicht zwangsweise erwartbar. „COVID war eine sehr schwere Pandemie, nur vergleichbar mit der spanischen Grippe 1918“, sagte Drosten. Und auch diese wäre heute eventuell mit einem vollem Antibioti­kaarsenal anders verlaufen, da damals viele an einer sekundären Lungenentzündung gestorben seien, so der Berliner Virologe.

Viren, die zunächst harmlos erscheinen

Es wären auch Pandemieszenarien denkbar, die nicht immer gleich „Doomsday“ entsprechen, wie etwa ein aerogen übertragenes Ebolavirus, an dem die Hälfte der Menschen stirbt. Als Virologe kann er sich aber auch Szenarien vorstellen, die zunächst harmlos erscheinen, bei denen sich aber beispielsweise nach einem halben Jahr herausstellt, dass ein Teil der infizierten Männer unfruchtbar wird oder sich bei einigen nach der Infektion ein Typ 1 Diabetes entwickelt. Was mache man dann?

Dieses Szenario sei komplett real, sagte der Charité-Virologe: „Ich denke etwa an den Mumps-Erreger, ein Paramyxovirus, das beide Symptome verursacht.“ Bei solch einem Virus würden viele Learnings aus der COVID-Pandemie nicht mehr gelten, warnte Drosten. „In einem solchem Fall bin ich mir sicher, dass sich kein Politiker mehr damit zitieren lassen wollen würde, bestimmte Maßnahmen, wie etwa Schulen zu schließen, niemals wieder in Betracht zu ziehen.“

Ganz viele wissenschaftliche Kernfragen würden sich dann erneut stellen. „Eine Sache, die wir im Fall einer er­neuten Pandemie in jedem Fall anders handhaben müssen und auf kontrolliertere Bahnen lenken müssen, ist die Kommunikation“, sagte Drosten.

gie

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