Bundesregierung erweitert ihre Pharmastrategie

Berlin – Die Bundesregierung will ihre bisherige Pharmastrategie erweitern, indem sie die Medizintechnikbranche aufnimmt. Damit erfüllt sie eine Forderung des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) – zumindest teilweise.
Die politische Aufwertung der Branche – die im aktuellen Koalitionsvertrag erstmals neben Pharma, Chemie, Automobilindustrie und Maschinenbau als Leitindustrie geführt wird – schlägt sich damit auch im Strategiekonzept der Bundesregierung nieder.
Dieses soll erweitert werden: Aus der bisherigen Pharmastrategie wird die Pharma- und Medizintechnikstrategie, aus dem Pharmadialog der Pharma- und Medizintechnikdialog. Beide sollen nun in einem Gesamtprozess miteinander verbunden werden.
Das ist eines der zentralen Ergebnisse des neu aufgesetzten Pharmadialogs, der gestern Nachmittag im Bundeskanzleramt gestartet ist. Unter Leitung von Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) trafen dort Vertreterinnen und Vertreter aus Bundesregierung, Industrieverbänden und Selbstverwaltung zusammen.
„Ziel der Bundesregierung ist es, die Pharmaindustrie zusammen mit der Medizintechnikbranche als Leitwirtschaft zu stärken“, erklärte Frei im Anschluss. „Mit dem heutigen Auftakt haben wir dafür den Grundstein gelegt.“
Auf Regierungsebene ist der Prozess breit aufgestellt: Beteiligt waren neben dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auch jenes für Finanzen (BMF), Wirtschaft und Energie (BMWE) sowie Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR).
Auf der anderen Seite saßen die Verbände, unter anderem der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Pharma Deutschland, der Bund der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Pro Generika, der BVMed, der Medizintechnikverband Spectaris und der GKV-Spitzenverband (GKV-SV).
Wer sonst mit am Tisch saß, darüber wurde Vertraulichkeit vereinbart. Die Teilnehmerliste werde nicht veröffentlicht, erklärte das Kanzleramt auf Nachfrage. Laut einer Einladung an einen der Teilnehmer, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, waren zudem Vertreter einer Reihe deutscher und internationaler Pharmakonzerne geladen, von Bayer über Boehringer Ingelheim, Fresenius, Dermapharm bis zu Roche und Sandoz. Andere Schwergewichte wie Novartis, Eli Lilly, Novo Nordisk oder Pfizer fehlten indes.
Als Ziel wurde ausgegeben, bis zur zweiten Jahreshälfte 2026 aus dem Dialogprozess unter Führung des BMG eine neue Pharma- und Medizintechnikstrategie aufzusetzen. Dazu sollen sechs Arbeitsgruppen auf Fachebene mit Vertretern von Industrie und Selbstverwaltung konkrete Handlungsempfehlungen in Bereichen wie Versorgungssicherheit und Lieferketten, Preisbildung und Erstattung, Versorgung mit patentfreien Arzneimitteln, Biotechnologie und klinische Prüfung, Standortfragen oder Nutzenbewertung erarbeiten.
Eine der Arbeitsgruppen soll sich zudem der Medizintechnik widmen. Der BVMed zeigt sich erfreut über seine Aufwertung innerhalb des Prozesses. „Wir sind zuversichtlich, dass damit wichtige Schritte gegangen werden, um Deutschlands Position als führender Medizintechnikstandort zu stärken und zugleich eine hochwertige Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung sicherzustellen“, erklärte Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Marc-Pierre Möll.
Noch Anfang Oktober hatte der Verband hingegen einen eigenen Strategieprozess gefordert, der nicht Teil von Pharmastrategie und -dialog ist, sondern parallel dazu läuft. „Wir sind nicht Pharma. Wir haben eigenständige Herausforderungen und Themen“, hatte der Vorstandsvorsitzende, Mark Jalaß, unterstrichen.
Nun werde es bei der Pharma- und Medizintechnikstrategie darum gehen, international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für die Branche zu schaffen, betonte Möll. Auch die Absicherung der Versorgungssicherheit in Deutschland sowie die Stärkung und Nutzung von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) seien wichtige Handlungsfelder.
Medizintechnik mit vielen Jobs
Mit 210.000 Menschen beschäftige die Medizintechnik mehr als doppelt so viele wie die Pharmaindustrie. 46 Milliarden Euro Produktionswert habe die Branche 2024 erwirtschaftet.
Auch der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) begrüßt die Erweiterung. „Dass Pharma und Medizintechnik jetzt gemeinsam in einem strategischen Prozess gedacht werden, ist ein wichtiges industriepolitisches Signal“, sagte Geschäftsführer Martin Walger. „Wir brauchen spürbaren Bürokratieabbau, verlässliche Rahmenbedingungen und eine Politik, die Innovationen ermöglicht, statt sie zu bremsen.“
In der Pharmaindustrie sehen die Bedürfnisse indes recht ähnlich aus. Im Zentrum des Dialogs stünden die Rahmenbedingungen, Innovationsförderung und Versorgungssicherheit „sowie die alles übergreifende Frage der Finanzierung“, erklärte Pharma Deutschland. „Es darf aber nicht beim Dialog bleiben. Wir müssen auch ins Handeln kommen“, mahnte Vorstandschef Jörg Wieczorek.
Der Prozess biete der Industrie die Chance, regulatorische Ineffizienzen und bürokratische Hürden anzugehen, die den Standort zunehmend unter Druck setzen und das Potenzial unserer Branche hemmen würden, betonte auch Hauptgeschäftsführerin Dorothee Brakmann: „Unsere Vorschläge dazu liegen schon lange auf dem Tisch. Zusammen mit unseren Mitgliedsunternehmen werden wir sehr genau beschreiben können, wo wir unnötig ausgebremst werden.“
Ganz ähnlich äußert sich der vfa. „Jetzt kommt es darauf an, dass die Beteiligten schnell konkrete Vorschläge erarbeiten, die in die Weiterentwicklung der Pharmastrategie einfließen“, betonte Verbandspräsident Han Steutel.
In der aktuellen Phase wirtschaftlicher Schwäche müssten die Basis der Pharmaindustrie und ihre Wachstumsmöglichkeiten gestärkt werden. „Der heute begonnene, vertrauensvolle Austausch war ein guter Beginn dafür“, sagte Steutel.
Lieferengpässe im Mittelpunkt
Für Pro Generika steht vor allem das Problem der Lieferengpässe im Mittelpunkt. Umweltgesetzgebung wie die Kommunale Abwasserrichtlinie sowie die geplante Biosimilar-Substitution drohten dieses Problem aktuell sogar noch zu verschärfen, warnte Geschäftsführer Bork Bretthauer.
Zudem müsse angesichts der geopolitischen Weltlage das Thema Versorgungssicherheit eine angemessene Rolle spielen. „Vor dem Hintergrund einer massiven Abhängigkeit von China müssen wir besprechen, wie wir die Versorgung mit Generika resilienter machen und den Biosimilar-Standort Europa erhalten können“, forderte Bretthauer.
Bekanntermaßen treffen die Forderungen nach einer Stärkung der hiesigen Pharma- und Medizintechnikindustrie jedoch auf leere Kassen bei Staat und in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) dämpfte die Hoffnungen der Industrie deshalb.
Im Blick stehe, Bürokratie abzubauen und Prozesse zu beschleunigen. „Gleichzeitig müssen die Kostensteigerungen für das Gesundheitssystem insgesamt eingedämmt werden“, sagte sie der Deutschen Presseagentur. Hierzu werde auch der Pharmabereich seinen Beitrag leisten müssen.
Die Kassen haben den Blick ebenfalls vor allem auf den Ausgaben. Auch sie hätten großes Interesse an einer starken Pharma- und Medizintechnikindustrie, aber: „Wir erwarten einen konstruktiven und fairen Dialog mit konkreten Vorschlägen, um die Solidargemeinschaft vor immer höheren Kostensteigerungen zu schützen“, sagte die stellvertretende Chefin des GKV-Spitzenverbands, Stefanie Stoff-Ahnis.
Aus dem Bundestag kommt die Prognose, dass dies mit der geplanten Strategie nicht gelingen werde. Der Pharmadialog zeige deutlich die Prioritäten im Kanzleramt, kritisiert Gesundheitspolitiker Ateş Gürpınar: „Während die Versicherten ab dem kommenden Jahr erneut mehr zahlen müssen, sind im Haushaltsplan für 2026 keine zusätzlichen Mittel für die Krankenversicherungen vorgesehen. Eine deutliche Erhöhung der Gelder plant die Regierung nämlich nur für die Ansiedlung und Sicherung der Pharmabranche in Deutschland ein.“
Die Pharma- und Medizintechnikbranchen können unterdessen mit positiven Zahlen aufwarten. So berichtet der vfa von einer vergleichenden Bewertung, wonach der deutsche Standort im internationalen Vergleich in einigen Leistungskategorien leicht aufgeholt hat.
Dabei handelt es sich um ein Ranking von neun für die Pharmabranche besonders relevanten Nationen hinsichtlich verschiedener Kenngrößen entlang der Wertschöpfungskette der Arzneimittelentwicklung. Darin ist Deutschland gegenüber dem Vorjahr zwar bei den Investitionen in Forschung und Entwicklung pro Kopf um einen Platz auf Rang vier zurückgefallen.
Dafür ist der hiesige Standort bei der Zahl forschender Institutionen und der Publikationen jeweils um einen Platz auf Rang vier aufgerückt. Auf Platz fünf, aber ebenfalls besser als im Vorjahr, ist Deutschland bei den Eigenkapitalinvestitionen und der Zahl neu gegründeter Biotech-Start-Ups.
Keine Veränderung des Platzes gab es bei der Zahl klinischer Phase-1-Studien und aller Studien, gemessen an der Bevölkerungsstärke. Hier liegt Deutschland weiter auf Platz sieben und acht. Allerdings habe sich die absolute Zahl neu begonnener Studien gegenüber dem Vorjahr erhöht.
Unangefochten auf Rang eins bleibt Deutschland innerhalb Europas demnach – einschließlich Großbritanniens und der Schweiz – bei der Zügigkeit der Markteinführung von Medikamenten nach der Zulassung und bei der Verfügbarkeit zugelassener Medikamente.
Darauf hatte auch das BMG im Rahmen des Pharmadialogs erneut hingewiesen. Demnach sind in Deutschland 90 Prozent der im Zeitraum 2020 bis 2023 zentral zugelassenen neuen Arzneimittel verfügbar. Das sei der Spitzenwert in Europa und liege deutlich über dem EU-Durchschnitt von 46 Prozent.
Die durchschnittliche Wartezeit von der Zulassung bis zur tatsächlichen Verfügbarkeit eines neuen Medikaments wiederum liege bei 128 Tagen und damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 531 Tagen. Das sei ebenfalls der Spitzenwert in Europa.
Der Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik, Spectaris, wiederum berichtet von einem Umsatzplus von 2,8 Prozent zwischen Januar und August. Für das Gesamtjahr rechnet er mit einem Plus von rund drei Prozent auf 42,6 Milliarden Euro.
Getragen sei das Wachstum aber von den Exporten, die im ersten Halbjahr um 7,5 Prozent zulegten, insbesondere nach Europa und in den Nahen Osten. Das Inlandsgeschäft verharre hingegen auf dem Vorjahresniveau.
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