Bundesregierung macht Pharmaindustrie große Versprechungen

Berlin – Bundesregierung und Pharmaindustrie demonstrieren angesichts notwendiger Reformen des Arzneimittelmarkts größte Einigkeit. Bei der Jahresversammlung des Branchenverbands Pharma Deutschland beteuerten Vertreter von Bundesgesundheitsministerium (BMG) und Bundeskanzleramt, der Branche weit entgegenkommen zu wollen.
In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation will die Bundesregierung keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie die Pharmaindustrie als einen der letzten prosperierenden Wirtschaftszweige bei der Reform der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht weiter belasten will.
„Wir haben uns viele Dinge angeschaut und gesehen, bei der Pharmaindustrie ist die Zitrone ausgepresst“, erklärte Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) vorgestern in Berlin. Die Arzneimittelpreise müssten so gestaltet werden, dass sie Innovationen fördern, ohne das Solidarsystem zu überlasten.
Gleichzeitig wolle die Bundesregierung bei der Frage nach Strukturreformen in der GKV auch die Pharmaindustrie zu Wort kommen lassen. Mit dem neu aufgesetzten Pharmadialog gebe es dazu ein passendes Forum, in dem die Industrie ihre konkreten Bedarfe aufzeigen könne.
Vor allem brauche die Branche schnelle und verlässliche Verfahren. Mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG) seien da bereits Fortschritte erzielt worden, „aber es ist noch Luft nach oben“, so Frei. „Ich bin der Überzeugung, dass erfolgreiche Unternehmen kein Geld vom Staat brauchen, sondern dass es reicht, ihnen keine Knüppel zwischen die Beine zu werfen.“
Reformen müssten deshalb auf ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht, weniger Regulierung und Bürokratie sowie eine Senkung der Lohnnebenkosten abheben. Auch die Erstattungssysteme müssten auf den Prüfstand gestellt werden.
Im gleichen Tenor sprachen die beiden parlamentarischen Staatssekretäre im BMG, Tino Sorge und Georg Kippels (beide CDU). „Die Pharmaindustrie ist der Lebensbaum der deutschen Wirtschaft“, sagte Sorge. Jeder achte Euro Bruttowertschöpfung stamme hierzulande aus ihr.
Ziel müsse sein, mit richtigen Anreizen Ausgaben besser zu steuern. In der Debatte im Vermittlungsausschuss, den der Bundesrat jüngst angerufen hatte, müsse darüber diskutiert werden, wo Geld eingespart werden kann.
Worüber er hingegen nicht diskutieren wolle, sei die Frage, ob Behandlungen bei Menschen ab einem bestimmten Lebensalter rein aus der Kostenperspektive betrachtet werden sollten, erklärte er mit einem Seitenhieb auf seinen Parteifreund und Bundesdrogenbeauftragten Hendrik Streeck.
Auch Sorge betonte, die Bundesregierung werde sich die Sorgen und Wünsche der Industrie genau anhören. „Die Türen im BMG stehen Ihnen immer offen“, sagte er. „Wenn es bei Ihnen gut läuft, geht es Deutschland gut.“
Sein Kollege Kippels verwies demgegenüber auf die Notwendigkeit zu sparen. 500 Milliarden Euro jährlicher Gesundheitsausgaben seien nicht mehr ausreichend, um die Versorgung sicherzustellen. Problematisch sei dabei vor allem, dass den hohen Ausgaben kein entsprechender Output gegenüberstehe.
„Ohne Kürzungen wird man in diesem System nicht operieren können“, kündigte er an. Das System müsse „entstaucht“ und die Rollen neu verteilt werden. Dabei plädierte Kippels für einen fairen Umgang in den kommenden Kostensenkungsdebatten.
„Es gibt leider den Reflex, dass jemand, wenn es ihm ans Fell geht, auf die anderen Akteure im Gesundheitswesen zeigt“, erklärte er. Es fehle oft an einer kritischen Selbstreflexion, was im eigenen Sektor verbessert werden könnte.
Konkrete Einschnitte im Arzneimittelmarkt erwähnte er dabei jedoch nicht. Weder Kippels noch Sorge oder Frei sprachen von der Debatte über eine Kostensenkung bei den massiv steigenden Erstattungsbeträgen für patentgeschützte Arzneimittel.
Auch Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), verwies darauf, dass der Pharmabranche keine weiteren Belastungen aufgebürdet werden sollten. „Wir haben von unserer Seite aus gesehen, dass die Schraube überdreht wurde“, sagte er. Folge sei die Abwanderung der Generikaproduktion nach Asien gewesen.
Die dadurch entstandene Abhängigkeit sei während der COVID-19-Pandemie allzu deutlich geworden, betonte zudem der EU-Kommissar für Gesundheit, Oliver Várhelyi. Die EU-Kommission arbeite deshalb eng mit dem EU-Parlament zusammen, um mit dem Pharmapaket Erleichterungen für die Branche umzusetzen. „Wir wollen die Verzögerungen und die Kosten minimieren, die Innovationen hemmen“, erklärte er. „Ihr Sektor ist sehr wichtig für Europa und wir bringen große Veränderungen voran, um ihn zu unterstützen.“
Darüber hinaus nutzte der Verband die Gelegenheit, das Anliegen anzubringen, mehr Arzneimittel aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Sogenannte OTC-Switches müssten deutlich vereinfacht werden, forderte Stefan Koch, CEO der Klosterfrau Group. Dies würde die Arztpraxen entlasten, da dann mehr Menschen Bagatellerkrankungen selbst kurieren würden. Im Schnitt koste ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel 14 Euro, ein OTC-Arzneimittel hingegen nur vier. „Ich glaube, die OTC-Abgabe hilft extrem, das System zu entlasten.“
„Ich glaube nicht, dass Selbstmedikation einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitswesens leisten kann“, erwiderte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK).
Kippels brachte demgegenüber GKV-Tarife mit einer stärkeren Selbstbeteiligung ins Spiel. So könne man überlegen, Tarife einzuführen, bei denen bestimmte Bagatellarzneimittel bis zu einer bestimmten Grenze – beispielsweise 500 Euro im Jahr – selbst gezahlt werden müssen.
Reinhardt verwies darauf, dass eine Entlastung der Praxen viel eher dadurch erreicht werden könne, dass bis zu fünf Krankentage ohne Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ermöglicht werden, „dann aber mit zwei oder drei unbezahlten Karenztagen“. Dies würde viel mehr an das individuelle Verantwortungsbewusstsein appellieren.
Zudem brauche es eine deutlich bessere Patientensteuerung, um Kosten zu senken. „Die Patienten allein entscheiden zu lassen, wo sie hingehen, stellt eine Überforderung dar“, sagte er. Es brauche zur Patientensteuerung vor allem eine hoch integrierte Ersteinschätzungsstelle, die sowohl an die ambulante als auch die stationäre und die Notfallversorgung angeschlossen ist.
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