Politik

Bundesregierung richtet Krisenstab wegen Sars-CoV-2 ein

  • Donnerstag, 27. Februar 2020
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (links, CDU) und Bundesinnenminster Horst Seehofer (CSU) informieren über die Lage zum Coronavirus. /picture alliance, Kay Nietfeld
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (links, CDU) und Bundesinnenminster Horst Seehofer (CSU) informierten über die Lage zum Coronavirus. /picture alliance, Kay Nietfeld

Berlin – Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und das Bundesministerium des Inne­rn (BMI) haben zum Zwecke der Eindämmung des Sars-CoV-2-Ausbruches einen Krisen­stab eingerichtet. Die zentralen Aufgaben des Krisenstabes werden sein, „Infektionskett­en in Deutschland zu unterbinden und Infektionsketten nach Deutschland in den Griff zu bekommen“, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) heute bei einer Presse­kon­ferenz in Berlin.

Bei einem ersten Treffen am gestrigen Tag habe der Krisenstab sich bereits darauf geei­nigt, dass Passagiere von Flugzeugen und Schiffen, die nach Deutschland kommen, künf­tig Aussteigerkarten ausfüllen sollen, berichtete Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Dies soll es ermöglichen, Kontaktpersonen zu ermitteln, wenn bei einer Person an­schließend eine Infektion mit Sars-CoV-2 festgestellt wird.

Eine entsprechende Anordnung sei für den Bus- und Bahnverkehr nicht möglich, weshalb hier das Ziel eine Selbstverpflichtung der Transportunternehmen darstellt. Sie sollen – und dies gelte speziell für den Bereich der Reiserückkehrer aus Norditalien, so Spahn, nicht nur Aussteigerkarten verteilen, sondern auch vermehrt Informationsmaterial zu­gäng­lich machen.

Außerdem habe er die Gesundheitsminister der Länder dazu aufgerufen, ihre Pandemie­pläne zu aktualisieren und sich auf ihr Inkrafttreten vorzubereiten. Was heute schon klar sei, so Spahn: „Wir haben Pandemiepläne, wir haben Abläufe, aber wir üben sie nicht oft genug in diesem Land.“ Das sei aber eine Aufgabe für die Zeit nachdem der Sars-CoV-2-Ausbruch überstanden sei.

Grundsätzlich sieht das Infektionsschutzgesetz ein förderales Miteinander bei der Ein­dämmung von Krankheitsausbrüchen vor. Auf Bundesebene kann das Robert-Koch-Insti­tut (RKI) als Bundesoberbehörde für Infektionskrankheiten Empfehlungen herausgeben.

Auch Anordnungen für den Reiseverkehr und die Herausgabe von Reisewarnungen sind Sache des Bundes. Für konkrete Entscheidungen, etwa die Absage von Großveranstaltun­gen oder die Schließung öffentlicher Einrichtungen, sind die Länder und Kommunen zu­ständig. Eine generelle Einschränkung von Großveranstaltungen hält die Bundesregie­rung derzeit noch nicht für nötig.

Dennoch wird die Problematik beim nächsten Treffen des Krisenstabes, das morgen statt­finden wird, auf der Tagesordnung stehen. Denn ob eine Veranstaltung abgesagt werden sollte, hänge davon ab, ob dort besonders viele Menschen aus Krisengebieten und belas­teten Ländern zu erwarten seien. Das müsse fachlich beurteilt werden, auch dafür sei der Krisenstab eingerichtet worden, so Seehofer.

Bundesländer suchen nach Infizierten

In mehreren Bundesländern wird unterdessen intensiv nach möglichen Sars-CoV-2-Infi­zier­ten gesucht. Nach den bisher bekannten Zahlen ist das neue Virus laut RKI tödlicher als die Grippe. Wie viel höher die Sterberate sei, sehe man erst nach dem Ende der Epide­mie, sagte Institutspräsident Lothar Wieler in Berlin.

In Nordrhein-Westfalen stehen mehrere Hundert Menschen unter häuslicher Quarantäne, wie der Kreis Heinsberg schätzt. Betroffen seien vor allem Besucher einer Karnevalssit­zung in Gangelt, die ein infiziertes Paar besucht hatte. Die Maßnahme gelte auch für das Personal und Kinder des Kindergartens, in dem die Frau als Erzieherin beschäftigt ist.

Auch die Menschen, die mit diesen Betroffenen in einem Haushalt leben, sollen zu Hause bleiben, sagte der Sprecher des Kreises. Die Leute dürften 14 Tage lang ihre Wohnungen nicht verlassen und müssten sich von Freunden, Verwandten oder Nachbarn mit Lebens­mitteln versorgen lassen, die dann die Einkäufe vor der Haustür abstellten.

Am Abend teilten der Kreis Heinsberg und das NRW-Gesundheitsministerium mit, dass sich 14 weitere Personen nachweislich mit dem Coronavirus infiziert haben. Die Zahl der Fälle hat sich damit im Kreis Heinsberg auf 20 erhöht.

In Baden-Württemberg halten die Gesundheitsbehörden Familie, Freunde und Kollegen von vier Infizierten im Blick. Vorgestern Abend wurde ein Nachweis bei einem Italien­rückkehrer in Göppingen bekannt. Nach Angaben der Behörden steht der Fall in Zu­sammenhang mit zwei Nachweisen in Tübingen. Bei einem Fall im Landkreis Rottweil war ein Mann mit seiner Familie aus einem Risikogebiet, dem Ort Codogno in der italienischen Provinz Lodi, eingereist.

Einen neuen Fall gibt es bei einem Patienten in Kaiserslautern, wie die rheinland-pfälzi­sche Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) in Mainz erklärte. Der etwas über 30 Jahre alte Mann sei mit Symptomen selbst in das Westpfalz-Klinikum ge­kommen. Er sei bis vor kurzem im Iran gewesen und habe dort Kontakt mit einer „symp­to­matisch auffälligen Person“ gehabt, sagte die Ministerin.

In Deutschland waren vor mehr als zwei Wochen insgesamt 16 Sars-CoV-2-Infektionen gemeldet geworden, die nicht zu weiteren bekannten Ansteckungen geführt haben.

Pandemisches Potenzial

In mindestens 15 europäischen Ländern gibt es inzwischen Fälle, 14 Tote wurden gezählt bei etwa 500 Infizierten, wie es vom europäischen Zentrum für die Prävention und Kon­trolle von Krankheiten (ECDC) hieß.

Die Zahl der Todesopfer in Italien ist auf 14 gestiegen. Seit Mittwoch seien zwei weitere Infizierte gestorben, teilte der italienische Zivilschutz mit. Die Zahl der Infektionen stieg unterdessen weiter stark an. Nach 400 Fällen gestern Abend gibt es nun 528 registrierte Fälle. Italien ist der bislang größte Infektionsherd des neuartigen Coronavirus in Europa.

Auch Spanien hat eine Reihe weiterer Infektionen gemeldet, so dass sich die Zahl der Fälle seit Montag um 15 erhöht hat. Unter den neuen Fällen sind zwei in der Region Madrid registriert worden, wie die Regionalregierung der Hauptstadtregion bekanntgab. Darunter sei ein 77 Jahre alter Mann, der Vorerkrankungen hatte und nun „schwer erkrankt auf der Intensivstation“ behandelt werde.

Das Virus hat auch Wien erreicht: Bei zwei Männern sei der Erreger nachgewiesen wor­den, gaben die Gesundheitsbehörden in Österreichs Hauptstadt bekannt. Der 72-Jährige, bei dem die Infektion zuerst bestätigt wurde, lag bereits seit zehn Tagen mit klassischen Grippe-Symptomen im Krankenhaus, wie die Nachrichtenagentur APA unter Berufung auf den Gesundheitsstadtrat berichtete. Die Suche nach den Kontaktpersonen des Patienten läuft demnach auf Hochtouren.

Auch weltweit hat sich die Lage weiter verschärft. Außerhalb Chinas wurden nach Anga­ben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mittlerweile rund 3470 Infizierte in 44 Län­dern registriert. Nach Meinung der WHO ist die Welt an einem entscheidenden Punkt. „Dieses Virus hat pandemisches Potenzial“, sagte WHO-Chef Ted­ros Adhanom Ghebre­ye­sus heute in Genf. „Wenn wir nicht die richtigen Maßnahmen treffen, kann dieses Virus außer Kontrolle geraten.“

Allerdings sieht die WHO weiter für alle Länder die Chance, die Ausbreitung noch zu stoppen. „Wenn Sie aggressiv reagieren, können Sie die Ausbreitung stoppen und Menschenleben retten“, sagte Tedros. Dazu gehörten frühe Entdeckung, Isolation von Patienten und die Überwachung von Menschen, die mit Infizierten in Kontakt waren.

Tedros bezeichnete die Lage in Italien, im Iran und in Südkorea, wo jeweils zahlreiche Fälle aufgetaucht sind, als besorgniserregend. „Das Virus respektiert keine Grenzen, kein Volk“, warnte Tedros. Mit den richtigen Maßnahmen sei die Welt aber nicht wehrlos.

Die WHO hatte früher ein System mit sechs Pandemiestufen, das aber seit 2009 nicht mehr angewendet wird. Die höchste Alarmstufe der WHO ist heute das Ausrufen einer „gesundheitlichen Notlage von internationaler Reichweite“ – das hat sie im Fall des Sars-CoV-2-Virus, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslösen kann, bereits getan.

Harte Maßnahmen in Asien

In Südkorea meldeten die Gesundheitsbehörden des Landes im Verlauf des heutigen Tages 505 neue Fälle und damit mehr als China. Die Zahl der Menschen, die sich nach­weislich mit dem neuartigen Coronavirus angesteckt haben, kletterte auf 1.766. Bisher wurden 13 Todesfälle mit dem Virus in Verbindung gebracht.

Die Mehrzahl der neuen Infektionen konzentriert sich auf die südöstliche Millionen-Stadt Daegu und die Region. Etwa die Hälfte aller Fälle im Land entfällt auf Anhänger der in Daegu stark vertretenen christlichen Sekte Shincheonji-Kirche Jesu, die auch Verbindun­gen nach China hat.

Japan will im Kampf gegen das neuartige Virus alle Schulen schließen. Die Maßnahme trete kommenden Montag in Kraft, sagte Premierminister Shinzo Abe heute. Die Schlie­ßung soll demnach bis zum Beginn der zehntägigen Frühlingsferien Ende März gelten.

Kritisch ist die Lage auch im Iran, wo die Zahl der Todesopfer nach offiziellen Angaben auf 26 gestiegen ist. Wie das Gesundheitsministerium mitteilte, sind mittlerweile 245 Menschen mit dem Erreger der Lungenkrankheit Covid-19 infiziert. Sollten die offiziellen Zahlen zutreffen, wäre die Sterblichkeitsrate im Iran extrem hoch. Befürchtet wird daher eine hohe Dunkelziffer an Ansteckungen.

Vom Iran breitete sich das Virus unter anderem in den Irak aus. Saudi-Arabien schließt als Schutzmaßnahme seine Grenzen für Pilger. Muslimische Gläubige, welche nach Mekka reisen wollen, erhalten vorerst keine Visa mehr. Mekka, wo die heiligsten Stätten des Islam liegen, wird jeden Monat von zehntausenden Pilgern besucht.

In China stieg die Zahl erfasster Infektionen auf rund 78.500, die Zahl der Toten lag in der offiziellen Statistik für Festlandchina bei 2.744. Seit einer neuerlichen Änderung der Zähl­weise vergangene Woche hat sich der täglich berichtete Anstieg der neuen Infektio­nen mit dem Virus und der Todesfälle in der Statistik Chinas deutlich reduziert.

Beides wird von amtlichen Stellen gerne zitiert, wenn dazu aufgerufen wird, an anderen Orten des Landes zur Normalität zurückzukehren und die Produktion wieder aufzuneh­men. Experten gehen aber von einer sehr hohen Dunkelziffer aus.

nec/dpa/afp/kna/may

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