Politik

Bundesregierung verspricht Milliardenersparnis mit Notfallreform

  • Freitag, 7. November 2025
/Ralf, stock.adobe.com
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Berlin – Die geplante Notfallreform könnte perspektivisch rund 1,3 Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Diese Prognose stellt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung auf, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

Bei zügiger Umsetzung könnte die Einsparung demnach frühestens im Jahr 2031 möglich sein. Allerdings geht das Ministerium im Entwurf davon aus, dass bereits 2027 rund 300 Millionen Euro jährlich eingespart werden könnten.

Diese Summe soll in den darauffolgenden Jahren weiter ansteigen. Das Einsparpotenzial sei durch die verbesserte Patientensteuerung und der damit bedarfsgerechten Inanspruchnahme der notdienstlichen Akutversorgung und des Rettungsdienstes möglich, heißt es in dem Entwurf.

Als finanziell größten Hebel sieht der Gesetzentwurf die Versorgung von Patienten, die in die Notaufnahme kommen und bislang im Krankenhaus behandelt wurden. Wenn diese künftig in die ambulante Versorgung vermittelt werden könnten, könne dies jährlich bis zu 705 Millionen Euro einsparen, rechnet das BMG vor.

Aber auch durch die geplante Reduzierung von stationären Krankenhausaufnahmen nach Einsätzen des Rettungsdienstes sollen rund 240 Millionen Euro jährlich eingespart werden können. Weitere Einsparungen sind vor allem durch die Reduktion von Notarzteinsätzen, Entsendung bedarfsgerechter Transportmittel und Behandlung vor Ort bei fehlender Transportindikation möglich.

Neben den 1,3 Milliarden Euro seien weitere Einsparungen möglich, die allerdings nicht genau beziffert werden können, heißt es in dem Entwurf. Wenn man weitere Folgekosten berücksichtigen würde – wie die der stationären Behandlung nach nicht bedarfsgerechten Rettungseinsätzen – könnten den Ministeriumsberechnungen zufolge perspektivisch zusätzlich mehr als eine Milliarde Euro jährlich eingespart werden.

Auf der anderen Seite geht der Gesetzentwurf aber auch von Mehrausgaben von knapp 100 Millionen jährlich für den Ausbau des aufsuchenden Dienstes und 42 Millionen Euro für den Mehrbedarf der Akutleitstelle im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus. Die gesetzliche und private Krankenversicherung sollen hierfür höchstens 50 Prozent der Kosten tragen.

Auch für die Private Krankenversicherung (PKV) sollen unter dem Strich Minderausgaben möglich sein. Jährlich sind dem Entwurf zufolge etwa zehn Millionen Euro an Mehrausgaben, aber langfristig rund 103 Millionen Euro weniger Ausgaben geplant. Diese Kosten entstehen durch eine gesetzlich vorgesehene Beteiligung der PKV am Ausbau und Betrieb der Akutleitstellen.

Klare Finanzierung durch die Krankenkassen

Zudem sieht der Entwurf vor, die medizinische Notfallrettung künftig als Sachleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu verankern. Somit soll das medizinische Notfallmanagement, die medizinische Versorgung vor Ort und die fachlich-medizinische Betreuung während des Transports ausdrücklich als Teile der Krankenbehandlung anerkannt und nicht länger allein der Transportauftrag als Nebenleistung der Krankenkassen finanziert werden. Der Leistungsanspruch soll entsprechend im Fünften Buch Sozialgesetzbuch geregelt werden.

Die Zuständigkeit der Bundesländer für die regionale Planung und Organisation der Rettungsdienste soll erhalten bleiben. Krankenkassen sollen mit den geplanten Leistungserbringern aber parallel Verträge schließen können. „Diese Kombination aus Planungsverantwortung der Länder und vertraglicher Finanzierungsbasis der Krankenkassen schafft Rechts- und Finanzklarheit für alle Beteiligten“, begründet das Ministerium das geplante Vorgehen.

Um einheitliche Regeln zu schaffen, soll ein Gremium mit dem GKV-Spitzenverband und den Ländern zusammenarbeiten und Rahmenempfehlungen für die medizinische Notfallrettung erarbeiten. Diese sollen allerdings unverbindlich bleiben, regionale Besonderheiten entsprechend berücksichtigt werden können.

Ärzte, Kassen und Kliniken sollen über Standorte entscheiden

Darüber entscheiden, welche Krankenhäuser künftig ein INZ aufbauen sollen, soll der erweiterte Landesausschuss innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes. In diesem sitzen Vertreter der Ärzteschaft, Krankenkassen und Krankenhäuser.

Der Ausschuss soll zunächst „geeignete Planungsregionen“ festlegen, auch über Landesgrenzen hinweg. Für ein INZ braucht ein Krankenhaus mindestens eine der Notfallstufen nach den Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).

Vorrangig sollen Kliniken hingegen ausgewählt werden, die eine höhere Stufe als nur die Basisnotfallstufe haben, notfallmedizinische relevante Fachabteilungen vorhalten sowie in denen Notdienstpraxen unmittelbar in der Notaufnahme eingerichtet werden können. An welchen Standorten Integrierte Notfallzentren für Kinder und Jugendliche eingerichtet werden sollen, soll innerhalb von zwölf Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes entschieden werden.

Zur Organisation des INZ sind die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung und der Krankenhausträger verpflichtet, innerhalb von neun Monaten nachdem der Standort bekannt wurde, eine entsprechende Kooperationsvereinbarung zu treffen.

Über die grundsätzliche Organisation der Zusammenarbeit des ambulanten und stationären Sektors im INZ sollen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband eine Rahmenvereinbarung treffen. Dafür haben sie laut Gesetzentwurf drei Monate nach Inkrafttreten Zeit.

Für die KBV löst der Entwurf in einer ersten Reaktion keine Probleme, sondern schafft eher noch neue. Es sei im BMG „offenbar immer noch nicht angekommen oder wird schlicht ignoriert, dass die Ressourcen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen begrenzt und die Arztzeit zu knapp und damit zu wertvoll ist, um sie in unsinnigen Parallelstrukturen sowie zusätzlichen Diensten zu vergeuden“, sagten die KBV-Vorstände Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner.

Es erschließt sich nicht, wie ein im Entwurf vorgeschlagener 24/7-Fahrdienst rund um die Uhr Hausbesuche machen solle – und das mit dem Argument begründet werde, dass dadurch Praxen entlastet würden. „Das ist fern der Realität, denn schließlich müssen ja auch die Fahrzeuge mit Ärzten besetzt werden.“

Unklar bleiben aus Sicht der KBV weiterhin Struktur und Aufgaben der INZ während der Praxisöffnungszeiten. „Wenn hier keine Steuerung in die ambulante Versorgung möglich ist, ändert sich so gut wie nichts am Status Quo“, so die KBV-Vorstände. Sie kritisieren, dass Patienten mit keinen Konsequenzen zu rechnen hätten, wenn sie vollkommen nach eigenem Gutdünken Notdienste oder Rettungsleitstellen in Anspruch nehmen würden.

Kritik übt die KBV daran, dass diese ihre Vorschläge zum Ausbau der 116117-Struktur nicht aufgreift. „Insgesamt stellt sich angesichts dieses unausgegorenen Konvoluts die Frage: Meint es Politik ernst mit der Patientensteuerung oder will sie an das Thema eigentlich nicht wirklich ran?“, so Gassen, Hofmeister und Steiner.

Einheitliche Leitstellen in allen Bundesländern gefordert

Die Björn Steiger Stiftung, die sich für eine umfassende Reform des deutschen Rettungswesens einsetzt, begrüßte den Entwurf grundsätzlich, forderte aber gleichzeitig eine bundesweite Qualitätssteuerung. Die Chance für eine „längst überfällige“ Modernisierung des deutschen Rettungswesens mit einer zukunftsfähigen, digital vernetzten und bundeseinheitlich qualitativ gesicherten Notfallversorgung dürfe nicht vertan werden.

„Dass die notfallmedizinische Versorgung vor Ort, das medizinische Notfallmanagement und die fachlich-medizinische Betreuung während des Transports als medizinische Leistungen anerkannt werden, ist ein historischer Schritt“, sagte Christof Chwojka, Geschäftsführer der Björn Steiger Stiftung, dem Deutschen Ärzteblatt.

Positiv sei auch die geplante gesetzliche Einführung standardisierter digitaler Ersteinschätzungsverfahren, die Vernetzung von Rettungs- und Akutleitstellen (112 und 116117) sowie die Einführung telemedizinischer und aufsuchender Dienste im ärztlichen Bereitschaftsdienst.

Dass die Länder jedoch weiterhin für die regionale Planung und Organisation zuständig bleiben sollen und lediglich unverbindliche gemeinsame Rahmenempfehlungen für die medizinische Notfallrettung erarbeitet werden sollen, bedauerte er. „Ohne einheitliche Leitstellen, verbindliche Qualitätsvorgaben und eine nachhaltige Digitalstrategie bleibt die Reform unvollständig“, so Chwojka. Der Referentenentwurf öffne die Tür zu einer echten Reform, verharre jedoch in föderalen Kompromissen.

„Wir fordern deshalb eine konsequentere Weiterentwicklung des Gesetzes“, so Chwojka. Notwendig seien bundesweit abgestimmte Leitstellenstandards, gemeinsame Dispositions- und Schnittstellenstrukturen sowie eine dauerhafte Finanzierung der Digitalisierung.

Zudem müsse ein zentrales Leitstellen- und Notfallregister eingerichtet werden, um Qualität und Wirksamkeit der Notfallversorgung transparent zu messen und zu steuern. Nur mit bundesweiten Vorgaben könne verhindert werden, dass erneut ein föderaler Flickenteppich entstehe, betonte der Geschäftsführer der Stiftung.

Den „föderalen Flickenteppich“ kritisiert die Stiftung schon lange. Im Frühjahr hatte sie dann beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland und exemplarisch für alle Bundesländer gegen das Land Baden-Württemberg erhoben. Auslöser war die Neuregelung des baden-württembergischen Rettungsdienstgesetzes gewesen, das vor einem Jahr in Kraft trat.

Vor einigen Wochen hatte das Bundesverfassungsgericht einzelne Randaspekte der Beschwerde herausgelöst und den Fokus der Klage klarer auf die Rolle der Länder im Rettungswesen gelegt. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte dem Deutschen Ärzteblatt jetzt auf Anfrage, dass es Ländern, Städten und Kommunen sowie Akteuren im Gesundheitswesen inzwischen Gelegenheit zu einer Stellungnahme bis Anfang Dezember gegeben hat.

cmk/ER

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