Cannabisgesetz: Rufe nach Nachbesserungen und Grundsatzkritik

Berlin – Das Bundeskabinett hat heute das Cannabisgesetz auf den Weg gebracht. Das führte zu Kritik und Nachbesserungsrufen. Sogar in der eigenen Ampelkoalition gibt es Unzufriedene: Die FDP-Bundestagsfraktion hat heute scharfe Kritik geübt.
Die Pläne sehen vor, Cannabis im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen zu streichen. Ab 18 Jahren soll der Besitz von 25 Gramm erlaubt werden. Privat sollen maximal drei Cannabispflanzen angebaut werden dürfen. In Cannabisclubs sollen Mitglieder die Droge gemeinschaftlich anbauen und gegenseitig abgeben dürfen.
„Endlich: Der #Gesetzentwurf zur #Cannabis #Legalisierung kommt ins parlamentarische Verfahren“, schreibt Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestags, auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter). Noch sei der Gesetzentwurf aber an vielen Stellen zu restriktiv. Umso motivierter gehe man in die parlamentarischen Beratungen.
Konkret müsse an praktikablen Regelungen für Cannabisclubs gearbeitet werden. Alternativen zum Schwarzmarkt und wirklichen Gesundheitsschutz schaffe man nur mit niedrigen bürokratischen Hürden, so Kappert-Gonther. Cannabisclubs müssten auch Cannabissocialclubs sein, wo gemeinschaftlicher Konsum möglich sei.
Was dringend parallel zur Legalisierung passieren müsse, seien klare Regeln für den Straßenverkehr und eine längst überfällige Grenzwertanhebung. Es bleibe „noch reichlich zu tun“. „Ich freue mich aber sehr, dass wir endlich auf Kurs #Legalisierung sind“.
„Durch viele kleinteilige Regularien entsteht ein unkontrollierbares Bürokratiemonster, das die Strafverfolgungsbehörden zusätzlich belastet“, monierte auch die sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Kristine Lütke.
Ziel der FDP-Fraktion sei es nun, in den parlamentarischen Beratungen das Gesetz „grundlegend zu überarbeiten und weitreichende Änderungen vorzunehmen, um am Ende ein praxistaugliches und sinnvolles Gesetz zu verabschieden“. Nur mit praktikablen Regelungen könne man Verkauf und Konsum aus dem Schwarzmarkt herausholen und wirklich etwas für Jugend- und Gesundheitsschutz erreichen.
Als schwer kontrollierbar kritisierte die FDP-Bundestagsabgeordnete das Konsumverbot in unmittelbarer Nähe zu Anbauvereinigungen. Der vorgesehene Mindestabstand von Cannabisclubs zu Schulen und Kitas erschwere die Gründung solcher Clubs. Zudem kritisierte Lütke die geplante Besitzobergrenze von 25 Gramm Cannabis für den Eigenbedarf. „Eine Besitzobergrenze lehnen wir als FDP-Fraktion entschieden ab“, erklärte Lütke.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat der Kritik widersprochen, das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis führe zu einer zusätzlichen Belastung der Justiz. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass eine pragmatischere Drogenpolitik zu einer Entlastung der Gerichte führen wird“, sagte Buschmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Sein Ministerium werde beobachten, wie sich das Gesetz in der Praxis bewähren werde, sagte Buschmann. „Generell gilt: Wenn Menschen auf legale Weise Cannabis kaufen und konsumieren können, werden die Fälle weniger, die vor Gericht landen.“ Die geäußerte Skepsis des Deutschen Richterbunds rühre womöglich daher, „dass man generell bei diesem Vorhaben politische Vorbehalte hat“.
Der Deutsche Richterbund hatte ein „kleinteiliges Gesetz“ kritisiert, das zu einem „hohen behördlichen Kontrollaufwand“ sowie vielen „neuen Streitfragen“ führen würde, die dann auch vor Gericht landen könnten.
Auch die Gewerkschaften der Polizei und des Zolls übten Kritik. Das Gesetz bringe „ein Bürokratiemonster ersten Grades hervor, das schon wegen seiner Überkomplexität zum Kontrollverlust in der Realität führen wird“, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt.
„Von einer eigentlich vorgesehenen Entlastung von Polizei und Justiz kann keine Rede sein.“ Die Polizeigewerkschaft führte eine Reihe von Kritikpunkten an. So sei bislang völlig offen, wie mit Kraftfahrern im Straßenverkehr umgegangen werden soll, die unter Cannabiseinfluss stehen.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) strebt für Autofahrer Grenzwerte an. „Wir prüfen, wie die Grundlage für einen Grenzwert für Cannabis im Rahmen der Ordnungswidrigkeitenvorschrift des Paragrafen 4a Straßenverkehrsgesetz auf wissenschaftlicher Basis ermittelt und geschaffen werden kann“, sagte eine Ministeriumssprecherin der Bild. Der Paragraf legt die Promillegrenze beim Alkohol fest, ab der Autofahrer ordnungswidrig handeln.
Auch die Deutsche Zollgewerkschaft sprach von einem „Bürokratiemonster mit vielen ungeklärten Fragen“. Gewerkschaftschef Thomas Liebel verwies darauf, dass der Gesetzentwurf aus dem Ministerium dem Zoll die Überwachung von Einfuhr und Ausfuhr von Cannabis zu medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken auferlege – aber offen lasse, „was eigentlich genau“ damit gemeint sei.
Ungeklärt sei in dem Entwurf auch, wie mit Menschen umgegangen werden soll, die mit mehr als der erlaubten Menge von 25 Gramm Cannabis für den Eigenbedarf in einer Zollkontrolle erwischt würden. „Dürfen die Zollbeamtinnen und Zollbeamten diese Person auch unter der neuen Rechtslage weiterhin festhalten und die Verstöße ahnden?“, fragte Liebel. „Dazu gab es bisher keine Antworten.“
Union gegen Legalisierung
Die Union ist ziemlich geschlossen gegen eine Legalisierung. „Ich halte dieses Gesetz für einen Fehler, einen schweren Fehler“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. „Das Gesetz darf erst gar nicht auf den Weg gebracht werden.“ Linnemann nannte das Vorhaben „medizinisch nicht verantwortbar“.
Ärzte sowie Kinder- und Jugendpsychologen sagten fast unisono, dass das Gehirn erst mit 25 Jahren vollständig entwickelt sei. Sie warnten daher vor Depressionen und Angststörungen. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hatte die Bundesländer sogar dazu aufgerufen, die geplante Cannabislegalisierung zu stoppen.
Josef Mischo, Co-Vorsitzender des Ausschusses Sucht und Drogen der Bundesärztekammer, erneuerte heute die Kritik an dem Vorhaben der Regierung. „Wir sind der Überzeugung, dass die angestrebten Ziele, zum einen der Jugendschutz, zum anderen die Eindämmung des Schwarzmarktes, mit diesem Gesetz nicht erreicht werden können“, sagte Mischo. Die Studienlage zeige eindeutig, dass es in anderen Ländern im Zuge der Cannabislegalisierung nicht gelungen sei, den illegalen Drogenhandel zurückzudrängen.
Zudem sei vollkommen unklar, wie die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Kontrollmechanismen umgesetzt und überwacht werden sollten. Ein weiteres Problem stelle die mit der Legalisierung einhergehende Verharmlosung des Cannabiskonsums dar.
Mischo betonte, Studien zeigten eindeutig, wo Cannabis zu Genusszwecken freigegeben worden sei, steige der Freizeitkonsum an. Jugendliche müssten aufgrund von Cannabis verstärkt medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Erwachsene suchten häufiger Notaufnahmen wegen akuter cannabisbezogener Probleme auf. Sogar die Zahl der Verkehrsunfälle unter Cannabiseinfluss steige.
Unbedingt notwendig sei ein massiver Ausbau der Maßnahmen zur Suchtprävention wie beispielsweise von evaluierten Frühinterventionsprogrammen. „Dazu müssten aber auch die Strukturen geschaffen werden. Die Jugendämter müssten finanziell, strukturell und personell entsprechend ausgerüstet werden“, so Mischo.
Die Landesärztekammer Thüringen warnte ebenfalls erneut vor den Gefahren. Durch frühen und häufigen Cannabiskonsum im Jugendalter drohen medizinische und soziale Einschränkungen, zum Beispiel die Zunahme von Psychosen, Depressionen oder Angststörungen, auch die verstärkte Inanspruchnahme medizinischer Hilfe.
Man sollte „die Finger davon lassen“, resümierte Linnemann. Dass auf diese Weise der Schwarzmarkt ausgetrocknet werden könne, wie Befürworter argumentieren, ist aus Sicht des CDU-Politikers nicht stichhaltig. Die Datenlage und die Erfahrungen sprächen nicht dafür. „Dort, wo es legalisiert wurde, hat die Kriminalität zugenommen, der Schwarzmarkt wurde eben nicht bereinigt.“
Bei Cannabis handle es sich um eine „Einstiegsdroge“, sagte CDU-Gesundheitsexpertin Simone Borchardt im „Morgenmagazin“ der ARD. „Das wird oft verharmlost.“ In der Debatte um die teilweise Legalisierung werde zudem vernachlässigt, dass gesundheitliche Schäden drohten. Dies gelte insbesondere für junge Menschen, da das menschliche Hirn erst mit 25 Jahren voll entwickelt sei.
Angesprochen auf die Unterschiede zu den legal und frei auch für Minderjährige erhältlichen Suchtmitteln Alkohol und Nikotin, sagte Borchardt, dort sei früher im präventiven Bereich „versagt“ worden. Aber das heiße nach ihrer Ansicht nicht, dass der Staat nun „eine Droge noch zusätzlich freigeben“ solle. Auch eine „Diskussion um Alkohol“ sowie über das „Einstiegsalter bei Alkohol“ könne geführt werden, ergänzte das Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat die geplante Legalisierung von Cannabis als gefährlich und falsch bezeichnet. Das würden Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, erklärte Kretschmer heute in Dresden.
„Die Bundesregierung erleichtert damit den Einstieg in den Konsum härterer Drogen für Jugendliche und ignoriert den Rat von fachlichen Experten wie der Bundesärztekammer und der Kinder- und Jugendärzte. Die Gesundheitskosten werden stark ansteigen und das ohnehin schon belastete System noch stärker strapazieren.“
Kretschmer zufolge wird mit den geplanten Regelungen weder der Schwarzmarkt wirksam eingedämmt noch eine Entlastung von Polizei und Justiz eintreten. Zugleich warf Kretschmer der Bundesregierung vor, eindeutig falsche Prioritäten zu setzen. „Die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen erwarten zu Recht, dass die Bundesregierung die wirklich wichtigen Themen anpackt: hohe Energiepreise, stagnierende Wirtschaft und steigende illegale Migration.“
Auch die Innenminister von Nordrhein-Westfalen und Sachsen, Herbert Reul und Armin Schuster, sowie Hessens Justizminister Roman Poseck (alle CDU) sehen den Gesetzentwurf der rot-grün-gelben Koalition kritisch. „Mit diesem Gesetz wird ein kompletter Kontrollverlust verbunden sein“, sagte Schuster dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Reul warnte, die Ampelkoalition werde damit Polizei und Justiz nicht etwa weniger, sondern stärker belasten. Poseck warf der Ampelkoalition vor, einen „faulen Kompromiss“ geschlossen zu haben, „der Nachteile auf allen Seiten mit sich bringt“.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek hat von der Bundesregierung einen sofortigen Stopp ihrer Pläne gefordert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dürfe Kritik von Ärzten, Deutschem Richterbund und der Gewerkschaft der Polizei an dem Vorhaben nicht ignorieren, sagte der CSU-Politiker. „Wenn Lauterbach immer noch nicht zur Vernunft kommt, muss Bundeskanzler Scholz die Notbremse ziehen und den aberwitzigen Legalisierungskurs stoppen.“
Zuvor hatte auch Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) die Pläne der Bundesregierung zur Legalisierung von Cannabis kritisiert. „Wenn wir irgendetwas jetzt nicht brauchen, dann ist es dieses Gesetz“, sagte er dem Radiosender NDR 90,3. „Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass mit der Legalisierung der Konsum deutlich zunimmt – mit allen Risiken und Nebenwirkungen.“
Die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Carmen Wegge, hat sich hingegen für eine Legalisierung der Droge ausgesprochen. „Der Vorteil der Cannabislegalisierung ist, dass wir zum einen den Kinder- und Jugendschutz stärken werden, dass wir den Gesundheitsschutz in den Vordergrund stellen und den Schwarzmarkt bekämpfen“, sagte sie.
„Wir stellen fest, dass das Cannabisverbot dazu geführt hat, dass eigentlich gar keine Aufklärungsarbeit an Schulen stattfindet“, sagte Wegge. Die Behörden verließen sich darauf, „dass die Leute schon wissen, dass man das nicht konsumieren soll.“ Jugendliche unter 18 Jahren, die mit Cannabis aufgegriffen werden, sollen nach den Gesetzesplänen zu Präventionskursen verpflichtet werden können.
Wegge verweist auf Länder, in denen Cannabis schon teilweise oder vollständig legalisiert wurde. Dort sei der Konsum von Kindern und Jugendlichen rückläufig, auch der Schwarzmarkt werde geschwächt. Die Legalisierung in Deutschland sei „der richtige Weg“, sagte Wegge. „Denn der Ist-Zustand ist auf jeden Fall inakzeptabel.“
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, warb für den Gesetzentwurf für die Legalisierung von Cannabis. Blienert sprach im Deutschlandfunk von einem „Paradigmenwechsel“. Der Konsum von Cannabis werde nicht verharmlost, es gebe aber mehr Gesundheits- und Jugendschutz sowie Prävention. Eine reine Verbotspolitik habe zu mehr Konsum geführt.
Blienert forderte zugleich mehr Mittel für die Prävention, etwa für die Drogenberatung an Schulen. Auch hält der Beauftragte einen Grenzwert für Autofahrer für sinnvoll, sieht hier aber noch Klärungsbedarf. Cannabis baue sich im Körper anders ab als Alkohol, es könne Tage später noch nachgewiesen werden.
Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) hat von einem sinnvollen und notwendigen Vorgehen gesprochen, zugleich aber vor den Gefahren besonders für junge Erwachsene gewarnt. Das Verbot von Haschisch und Marihuana habe den Konsum nicht verhindert, teilte Czyborra mit.
Trotz Verbots seien die Drogen in den vergangenen Jahren besonders in Berlin immer weiter verbreitet. „Eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene hingegen sichert die Qualität und dient sowohl Gesundheitsschutz als auch Verbraucherschutz. Ein starker legaler Markt könnte den illegalen Markt verdrängen und damit den Gesundheits- und Jugendschutz stärken.“ Czyborra betonte aber: „Der Konsum von Cannabis ist gesundheitsschädlich und birgt ein Suchtgefährdungspotenzial.“
Im Gesetzesentwurf würden zwar 18- bis 21-Jährige anders behandelt. „Aber es wäre wünschenswert, wenn die Frage der Altersbegrenzung im parlamentarischen Prozess noch mal aufgegriffen und diskutiert werden würde“, so Czyborra.
Aufklärung und Information rund um den Konsum von Cannabis müssten dringend mitgedacht werden. Dafür bräuchten die Bundesländer Geld vom Bund. Der Berliner Senat werde den Gesetzgebungsprozess im Bund und den konkreten Wortlaut des Gesetzes bei Inkrafttreten abwarten, um dann darauf zu reagieren.
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