Chirurgie geht Gender-Gap an, auch wegen Nachwuchssorgen

Berlin – Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) will die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht mehr dem Zufall überlassen. „Da ändert sich von alleine gar nichts“, lautet das Statement von Natascha C. Nüssler, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), auf der Auftaktpressekonferenz des diesjährigen Chirurgenkongresses.
Die Chefärztin der Klinik für Allgemein-, Viszeralchirurgie und Koloproktologie an der Klinik Neuperlach in München begründete damit die Notwendigkeit, proaktiv vorzugehen, um der mangelnden Präsenz von Frauen nicht nur in Führungspositionen, sondern auch auf einschlägigen Fachkongressen etwas entgegenzusetzen.
30 Prozent des Personals der operativen Zunft würde zwar von Frauen gestellt, davon befänden sich aber nur zehn Prozent in Führungspositionen, so Nüssler. Um schlicht die Sichtbarkeit der Chirurginnen zu erhöhen, habe man sich entschlossen, auf Kongressen die Vorsitzenden einer Sitzung zwingend mit zwei Vertretern beiderlei Geschlechts zu besetzen.
Hauke Lang, der diesjährige Kongresspräsident und Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an der Universitätsmedizin Mainz, erläuterte am Beispiel der von ihm geleiteten Klinik in Mainz, dass mancherorts solche Bemühungen schon Früchte trügen.
Zwar seien seine Oberarztstellen noch nicht von Frauen dominiert, aber bei den Habilitanden, die sich für eine akademische Karriere als Nachrücker in solche Positionen qualifizierten, stünden eher die Frauen bereit, so der Spezialist für komplexe chirurgische Eingriffe bei Lebertumoren und Cholangiokarzinomen.
Einig waren sich die Teilnehmer der Pressekonferenz darin, dass nicht zuletzt aus Gründen der Personalnot mehr Medizinstudierende – die zu 70 Prozent weiblich sind – für das Fach begeistert werden müssen.
Hier halte der bevorstehende Kongress – der dank der abflauenden Coronaproblematik in Leipzig auch real stattfinden kann – für die Interessierten etliche Veranstaltungen bereit: Außer eigenen Foren für den Nachwuchs, praktischen Übungen in Nahtkursen und dem Training im Drainagelegen gäbe es auch Vorträge darüber, was die verschiedenen chirurgischen Fachdisziplinen dem Nachwuchs zu bieten hätten – nicht zuletzt an Aufstiegschancen.
Allerdings – ergreifen müssten die weiblichen Vertreter des Faches diese Chancen schon auch selbst. Sogar Nüssler räumte ein, sie habe bei ihren Kolleginnen beobachtet, dass „der Prozentsatz derer, die wirklich Karriere machen wollen, noch zu gering“ sei.
Chirurginnen vorteilhafter für weibliche Patienten als Chirurgen
Wenn Frauen operieren, sorgt das nicht nur für den Nachwuchs des Faches, sondern hat auch Vorteile für deren Geschlechtsgenossinnen als Patientinnen: Eine inzwischen viel diskutierte und kommentierte, im Dezember letzten Jahres in der US-amerikanischen Fachzeitschrift JAMA Surgery (DOI: 10.1001/jamasurg.2021.6339) publizierte, kanadische Studie konnte ebendies nachweisen.
Forschende der Universität Toronto analysierten die Ergebnisse von 21 Standardeingriffen, darunter auch Notfalloperationen, die in Ontario von 2007 bis 2019 vorgenommen worden waren. Insgesamt hat das kanadische Team 1.320.108 Operationen von 2.937 Chirurginnen und Chirurgen unter die Lupe genommen.
Geprüft wurde die Anzahl der postoperativen Komplikationen, die 30 Tage nach dem Eingriff auftraten, die Rate der Wiederaufnahmen und die Sterblichkeit. Es zeigte sich, dass Patientinnen in Bezug auf diese Parameter schlechter fuhren, wenn sie von einem Mann anstelle einer Frau operiert worden waren – was umgekehrt nicht der Fall war. Denn der von einer Chirurgin operierte männliche Patient hatte ein ebenso gutes Outcome, wie wenn er von einem Mann operiert worden wäre.
Wer operiert, glaube allzu gern, er behandelte jeden Patienten gleich (gut), und dies ganz unabhängig davon, um wen es sich handelt, schreiben die beiden Chirurginnen Andrea N. Riner und Amalia Cochran in ihrem Editorial zu der Studie, zu dem sie die Herausgeber von JAMA Surgery (2022; DOI: 10.1001/jamasurg.2021.6367) gebeten hatten.
Das stimme ganz offenbar nicht. Daraus lässt sich gleichwohl kein wohlfeiles Bashing männlicher Chirurgen ableiten. Denn interessanterweise zeigte sich in der Analyse auch, dass bei Notfalleingriffen die Unterschiede verschwanden.
Daraus leiten die Studienautoren – in ihrer Antwort auf die zahlreichen Leserkommentare – ab, dass bei den elektiven Eingriffen wohl die Interaktion zwischen denen, die operieren, und der Patientin eher zum Tragen kommt (JAMA Surgery 2022; DOI: 10.1001/jamasurg.2022.0297).
Männliche Chirurgen interpretierten Symptome und Befunde von weiblichen Patienten offenbar anders als ihre Kolleginnen. Nüssler nannte als weitere mögliche Erklärung für die Resultate dieser Studie die Beobachtung, dass Frauen ihre Beschwerden unterschiedlich schildern – je nachdem, ob ihr Gegenüber eine Chirurgin oder ein Chirurg sei. Es könnte sein, dass die Operierenden so zu unterschiedlichen Schlüssen in Bezug auf die Therapie kämen.
Ähnliches ließ sich bereits in der Kardiologie beobachten. Auch dort bekamen Frauen zunächst weniger effektive Herzmedikamente nach einem Infarkt, weil ihre Symptome andere waren und die Ärzte einseitig darin geschult waren, eher „männliche“ Herzinfarktsymptome zu erkennen.
Hinzu kommt, dass die Profession der Ärzte offenbar selbst einschlägige Vorurteile nährt. Man wisse aus Untersuchungen in den USA, so Nüssler, dass Ärztinnen wie Ärzte ihre Patienten oder Patientinnen bevorzugt zu männlichen Chirurgen überweisen würden. Sie glaube, das dürfe man getrost auch auf hiesige Verhältnisse übertragen.
Nicht gelten lassen wollte sie hingegen das mitunter vorgebrachte Pauschalurteil, Frauen würden in puncto Operationskatalog bei der Facharztausbildung systematisch benachteiligt. Während der Ausbildung zum Chirurgen habe jeder und jede das Gefühl, die anderen würden stets mehr zum Operieren eingeteilt als man selbst.
Auch wenn sich hier und da Ungerechtigkeiten nicht ausschließen ließen – auch sie selbst wüsste von unzumutbaren Zuständen – dürfe man nicht unterstellen, dass männliche Chefs durch die Bank eher männliche Assistenten förderten.
Nicht nur, um solchen Vorurteilen entgegen zu treten, auch, um für Männer wie Frauen die Weiterbildung gerechter zu gestalten, plädierten die Experten auf der Pressekonferenz für absolute Transparenz in puncto Operationsfrequenz. Jede Klinik – und hierfür arbeite man an einem Gütesiegel für die Ausbildung in chirurgischen Abteilungen – müsse offenlegen, was man für den Nachwuchs tue – sonst bliebe der künftig garantiert aus.
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