Politik

Corona-Enquetekommission: Fachleute für bessere Pandemievorbereitung

  • Dienstag, 2. Dezember 2025
Die Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie bei der öffentlichen Anhörung im Paul-Löbe-Haus. /picture alliance, Annette Riedl
Die Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie bei der öffentlichen Anhörung im Paul-Löbe-Haus. /picture alliance, Annette Riedl

Berlin – Zur Vorbereitung auf künftige Pandemien hat Deutschland noch eine lange To-do-Liste. Sachverständige forderten gestern in einer öffentlichen Anhörung der Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie im Bundestag eine umfassendere, schnellere Datenerhebung, eine effizientere Digitalisierung, bessere Vorbereitung mit Pandemieplänen und Planungssicherheit für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD).

Dabei betonten die Fachleute, dass zwar auf Erfahrungen aus der Coronapandemie gebaut werden könne, man sich für künftige Krisen aber auch auf mögliche andere Erreger einstellen müsse. „Eine schematische Pandemieplanung, strikt nach den COVID-Erfahrungen, begeht unausweichlich gravierende Planungsfehler“, sagte Christian Drosten, Leiter des Virologie-Instituts der Charité in Berlin.

Pandemiekontrolle werde auch in Zukunft nach dem Prinzip funktionieren, dass man das Schiff noch baue, während man schon lossegeln müsse. „Dies geht nur mit tagesaktuellen Forschungsergebnissen und -daten“, sagte Drosten. Es brauche eine gut finanzierte Infektionsforschung und starke Institutionen des Öffentlichen Gesundheitswesens.

Hinsichtlich der Pandemiepläne müssten Notfallstrategien ausgearbeitet und jederzeit implementierbar sein, betonte der kommissarische Leiter des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), Johannes Nießen. Es sei außerdem wesentlich, die Risiko- und Krisenkommunikation als Daueraufgabe zu etablieren. Dadurch könne man für die Bevölkerung ein schnelles Informationsnetzwerk gewährleisten.

Die Pläne, die zu Beginn der COVID-19-Notlage vorhanden gewesen seien, seien auf Influenza ausgerichtet und veraltet gewesen, daher seien sie in der Schublade geblieben, machten mehrere der Fachleute deutlich. Inzwischen ist der Nationale Pandemieplan schon seit längerer Zeit in Überarbeitung.

Bekenntnis zum ÖGD gefordert

Gestern waren mehrere Vertreterinnen und Vertreter des ÖGD geladen, die sich für einen starken Gesundheitsdienst als wesentliche Säule einer künftigen Epidemie- oder Pandemiereaktion stark machten. BIÖG-Leiter Nießen, der frühere Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, appellierte: „Wir müssen von der reaktiven Adhoc-Bewältigung zu einer proaktiven, datenbasierten und resilienten Public-Health-Strategie übergehen.“

Für die Ämter brauche es dringend eine Perspektive für die Zeit nach dem Auslaufen des Pakts für den ÖGD Ende 2026, betonten diese Fachleute. Der Pakt war in der Pandemie geschlossen und mit vier Milliarden Euro unterlegt worden, um offensichtlich gewordene Lücken zu schließen. Er wird in Fachkreisen als sehr erfolgreiche Maßnahme gewertet.

Die auf diesem Weg erreichten Fortschritte bei der Personalgewinnung, Digitalisierung und Fachkräftesicherung müssten nun gesichert und weitergeführt werden, mahnte Peter Schäfer, der Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). Einen Rückfall in die Strukturen vor 2020 dürfe es nicht geben.

Schäfer warnte, dass die Personaldecke in den Ämtern ohne eine Paktverlängerung und ohne qualifizierten Nachwuchs wieder dünner zu werden drohe: Mehr als 40 Prozent der berufstätigen Fachärztinnen und -ärzte für Öffentliches Gesundheitswesen seien älter als 60 Jahre. Beschäftigte mit befristeten Verträgen könnten in nächster Zeit bereits abwandern.

Dabei machten die ÖGD-Vertreter deutlich, wie heterogen die rund 380 deutschen Gesundheitsämter in Hinblick auf Personal und technische Ausrüstung aufgestellt sind. Nicht alle könnten gleichermaßen Ressourcen und Expertise vorhalten, sagte der Leiter des Gesundheitsamtes Frankfurt am Main, Peter Tinnemann. Er plädierte dafür, Expertise in Kompetenzzentren zu bündeln.

Viel Kritik an Versäumnissen rund um Daten

Als gravierendsten Mangel in der COVID-19-Pandemie beschrieb Nießen die oft nur unvollständig oder mit erheblichem Zeitverzug vorliegende Datenlage im Versorgungsbereich: Dies habe die wissenschaftliche Analyse und damit die Steuerung sehr erschwert.

„Uns fehlte der Zugang zu patientenindividuellen Echtzeitdaten.“ Ergänzend zum während der Pandemie aufgebauten DIVI-Intensivregister sei für eine kommende derartige Lage eine Übersicht zur Krankenhausbettenbelegung insgesamt nötig, so Nießen. Er sehe in Zukunft zudem eine zentrale Rolle bei der elektronischen Patientenakte (ePA).

Maßnahmen, darunter insbesondere nicht-pharmakologische wie das Tragen von Masken, müssten in einer kommenden Pandemie in Hinblick an die Wirksamkeit evaluiert und wissenschaftlich begleitet werden, so Nießen weiter.

Ganz grundsätzliche Kritik übte der Medizinstatistiker Gerd Antes: Während der Pandemie, aber auch jetzt in der Aufarbeitung würden Grundprinzipien der methodischen Wissensgenerierung nicht angewendet. Mehrere „handwerkliche Fehler“ hätten sich durch den gesamten Zeitraum gezogen und zu „massiven Verfälschungen“ und auch „falschen Wahrheiten“ geführt. Als ein Beispiel nannte er den Basis-Reproduktionsfaktor: Daraus ohne Stratifizierung Maßnahmen für die ganze Bevölkerung abzuleiten, bezeichnete er als mehr als fehleranfällig.

Maßnahmen müssten generell in einem Dreiklang von Nutzen, Schaden und Kosten bewertet werden, mahnte Antes. Es gelte, die unmittelbaren und mittelbaren Schäden – etwa medizinisch, sozial, psychisch, wirtschaftlich – sowie die finanziellen und gesellschaftlichen Kosten systematisch zu erfassen.

Weiter erinnerte er, dass empirisch ermittelte Aussagen mit einer Einschätzung zur Sicherheit beziehungsweise Unsicherheit versehen werden müssten. Man müsse auch formulieren, dass die Wissenschaft keine exakten Angaben, etwa zur genauen Zahl verhinderter Todesfälle durch eine bestimmte Maßnahme, liefern könne.

Aus Antes' Sicht wurde beispielsweise versäumt, frühzeitig die Langzeitstudie Nationale Kohorte zu nutzen, um die Dunkelziffer zu erhellen. Auch das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen (IQWiG) sei nicht eingeschaltet und Pandemiepläne beim Robert-Koch-Institut (RKI) nicht aktualisiert worden.

AfD richtet etliche Fragen an Drosten

Vertreter der AfD-Fraktion richteten ihre Fragen größtenteils an Drosten und zielten auf Themen ab, die teils seit Jahren diskutiert werden: etwa zum Weg Schwedens, zu sich verändernden Einschätzungen des Virologen im Laufe der Zeit und zu Unzulänglichkeiten der Datenerfassung. Teils sollte Drosten Äußerungen Dritter kommentieren.

Der Virologe kritisierte manche der Fragestellungen als „irreführend“ und „gar nicht relevant“, gab teils aber auch an, die genannten Daten oder Zitate nicht bewerten zu können. Nach relativ ausführlichen Fragestellungen sagte er mehrfach, die verbleibende Zeit reiche ihm für eine Antwort nicht aus.

In der Kommission gibt es nach Eingangsstatements der Experten mehrere Runden mit zeitlich begrenzten Frage-Antwort-Slots. Die AfD bittet manchmal um Ja- oder Nein-Antworten.

Gestern erinnerte die Kommissionvorsitzende Franziska Hoppermann (CDU) daran, dass es sich bei der Sachverständigenanhörung um ein Fachgespräch handele, an dem Gäste freiwillig teilnehmen und in dem ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden solle, es sei kein Untersuchungsausschuss. Nur dort könne man Beteiligte zu Antworten verpflichten.

Drosten hatte schon in seinem Eingangsstatement kritisiert, dass zu manchen Zusammenhängen bis heute Falschbehauptungen kursierten und dass die Arbeit von Institutionen wie dem Robert-Koch-Institut verächtlich gemacht werde. „Viele Behauptungen beruhen dabei auf mangelndem oder gezielt ignorantem Verständnis von Prozeduren, Begrifflichkeiten und Daten“, sagte Drosten.

Der Virologe selbst war im Zuge seiner öffentlichen Präsenz zu Pandemiezeiten immer wieder bedroht worden. Die SPD-Abgeordnete Lina Seitzl dankte ihm in der Sitzung im Namen ihrer Fraktion für seine Arbeit. Sie sei „sehr betroffen, dass Sie als renommierter Wissenschaftler offensichtlich Polizeischutz brauchen, wenn Sie hier durch das Gebäude, das Parlament des Deutschen Bundestages, laufen.“ Dies müsse allen zu denken geben.

Gestern unterbrach Hoppermann die Anhörung für rund zehn Minuten für eine Obleuterunde, da einer der AfD-Sachverständigen ein Buch vor sich platziert hatte. Sie wertete dies als nicht mit der Geschäftsordnung des Bundestags vereinbar. Nach der Unterbrechung war das Buch verschwunden.

ggr

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