Politik

Corona-Enquetekommission: Fachleute mahnen Bevorratung mit Schutzausrüstung an

  • Dienstag, 16. Dezember 2025
Corona Enquete-Kommission
Jens Spahn (M), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und früherer Bundesgesundheitsminister, sitzt vor Beginn der öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission des Bundestages zur Aufarbeitung der Coronapandemie neben Oliver Sivers (l), Mitglied des Bundesrechnungshofes, und Margaretha Sudhof, Sonderermittlerin des Ministeriums zu Maskenbeschaffungen. /picture-alliance, Soeren Stache

Berlin – Bei der Versorgung mit Schutzausrüstung hat Deutschland aus Sicht mehrerer Fachleute auch rund sechs Jahre nach Beginn der Coronakrise noch Nachholbedarf. „Wir haben bislang weder eine nationale Reserve noch haben wir ein Gesundheitssicherstellungsgesetz. Beides ist in der Umsetzung irgendwie steckengeblieben", sagte Bundesrechnungshof-Mitglied Oliver Sievers gestern in einer Anhörung der Enquetekommission zur Aufarbeitung der SARS-CoV-2-Pandemie.

„Wir sind – Stand heute – nicht viel besser vorbereitet, als wir es vor sechs Jahren waren“, sagte auch der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der seine damalige Beschaffungspolitik gestern erneut verteidigte. Dass eine nationale Reserve und die damit verbundenen Zuständigkeiten bisher nicht gesetzlich geregelt sind, sei ein Problem.

Eine nationale Bevorratung von kritischen Gütern sei gerade für die ersten Tage einer Krise „zwingend notwendig“, sowohl zur Versorgung der Bevölkerung als auch zugunsten der Arbeitsfähigkeit staatlicher Strukturen, mahnte die Präsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), Annette Lehnigk-Emden. In einer weltweiten Krise sei es nicht möglich, die benötigten Güter verwaltungskonform geliefert zu bekommen.

Sonderermittlerin Margaretha Sudhof regte an, dass es einen konzeptionellen Rahmen brauche, sollte man die Lagerung von persönlicher Schutzausstattung auf Bundesebene überhaupt fortführen wollen: „Stichwort nationale Reserve“. Das Bevorratungsthema müsse verschärft bearbeitet werden. Neben dem Bundesbedarf sieht sie vor allem die Länder in der Verantwortung.

Zudem pochte Sudhof darauf, dass Vergabestellen mit der Beschaffung beauftragt bleiben sollten. Es gebe Expertise auf Bundes- wie auf Landesebene. Übungen würden gebraucht: „Wir müssen wissen, wer was wann wo und wie macht.“ Es sei sinnvoll, die Arbeitsteilung stabil zu implementieren und auch beizubehalten.

Eine gewisse Bevorratung sei sinnvoll, doch dafür müssten rechtliche und finanzielle Vorkehrungen getroffen werden, betonte der Rechtswissenschaftler Martin Burgi, Leiter der Forschungsstelle für Vergaberecht und Verwaltungskooperationen an der LMU München. „Ich habe nicht den Eindruck, dass dies in den letzten Jahren ausreichend geschehen ist.“

Beschaffungsamt sieht sich besser aufgestellt

Von inzwischen erzielten Fortschritten im Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums (BMI) sprach Hans Hagen Burmeister, Leiter der dortigen Beschaffungsabteilung. Er sicherte eine Leistungsfähigkeit auch in anderen Krisenszenarien als im Pandemiefall zu. Ursprünglich temporäre Krisenstrukturen aus der Coronapandemie seien institutionalisiert und professionalisiert worden.

Die Krisenbeschaffungen seien zudem inzwischen digitalisiert, vordefiniert und handlungssicher für Beschaffende und Behörde, so Burmeister. Durch die getroffenen Maßnahmen könne man den Ansprüchen an den öffentlichen Einkauf inzwischen „wesentlich gerechter“ begegnen als zu Beginn der Coronakrise.

In weiten Teilen drehte sich die mehr als dreistündige Anhörung um Versäumnisse und Probleme bei der Beschaffung von Coronaschutzmasken im Frühjahr 2020 unter Leitung Spahns. Ein von Sudhof verfasster Bericht, der im Sommer öffentlich wurde, war sehr kritisch mit dem heutigen Unionsfraktionschef ins Gericht gegangen: Er habe gegen den Rat seiner Fachabteilungen entscheiden, sich mit Milliardensummen auf dem Gebiet der Beschaffung betätigen zu wollen. Dies ziehe bis heute erhebliche Kosten und Risiken nach sich.

Spahn saß in der Sitzung zwischen Sievers und Sudhof und bekam viele Fragen von den Kommissionsmitgliedern. Er hob hervor, wie groß der Druck aus den Ländern und anderen auf den Bund gewesen sei. Der Markt sei extrem umkämpft gewesen. „Hier wollte die ganze Welt gleichzeitig das Gleiche.“ Auch Könige und Staatsoberhäupter hätten bei Anbietern angefragt: „Da konnte ich jetzt schlecht auf Referatsebene anrufen lassen.“

Er zog zudem einen Vergleich zur Energiekrise, in der Gas ebenfalls zu Höchstpreisen gekauft worden sei: „Weil der Mangel schlimmer gewesen wäre, und genau nach diesem Prinzip haben wir auch in der Krise gehandelt.“ Insgesamt sprach Spahn von Gesamtkosten des Bundes in der Coronapandemie in Höhe von 440 Milliarden Euro. „Masken betreffen 1,5 Prozent dieser Ausgaben.“

In der Frage, ob es sich damals um Überbeschaffung gehandelt habe, kämen der BRH sowie das BMG wahrscheinlich nicht mehr auf einen Nenner, so Spahn. In der Rückbetrachtung könne man es natürlich so sagen – in der damaligen Situation sei jedoch nicht absehbar gewesen, ob es weitere Infektionswellen geben wird und ob China wieder liefern werde.

Eine gewisse Überbeschaffung sei in Krisen unvermeidlich, sagte Sudhof. Es sei aber ein Unterschied, ob man das Doppelte oder Dreifache des tatsächlichen Bedarfes erwerbe - oder das 22-fache, so wie im Bund im aktuellen Fall. Es habe sich nicht rekonstruieren lassen, woher die damaligen Bedarfsschätzungen im BMG kamen.

Eine Frage der Grünen-Obfrau Paula Piechotta, ob sich Spahn persönlich bereichert habe, beantwortete dieser mit Nein. Er habe die Frage im Haushaltsausschuss schon zwei Mal beantwortet und bat darum, mit „verleumderischen Mutmaßungen“ aufzuhören.

Der Frage des Linken-Obmannes Ates Gürpinar, ob Spahn einen Untersuchungsausschuss ermöglichen würde, erteilte der Unionsfraktionschef indirekt eine Absage: Man wolle aus der Pandemie lernen, dafür sei die Enquetekommission richtig. Auf den Fall der Unternehmerin Andrea Tandler angesprochen, die 2023 in einer Affäre um Schutzmasken wegen Steuerhinterziehung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, sagte Spahn: Dies sei nicht sein Umfeld. Er verurteilte die damaligen Provisionen als „unverschämt und abartig“.

Open-House-Verfahren „suboptimal“

Zum umstrittenen Open-House-Verfahren, das das BMG damals einleitete und auf das sich ein großer Teil der anhängigen Klagen bezieht, kamen gestern auch kritische Töne von Lehnigk-Emden von der Bundeswehr. Ihr zufolge gelang es den drei zuständigen Beschaffungsämtern damals, innerhalb weniger Tage Verträge in Höhe von rund 90 Millionen Euro über persönliche Schutzausrüstung zu schließen.

Das Aufsetzen des Open-House-Verfahrens habe man damals „suboptimal“ gefunden, so Lehnigk-Emden. Denn Vertragspartner hätten versucht, auf das neue Angebot einzugehen, es sei somit eine Konkurrenz zu den bisher zuständigen Beschaffungsämtern entstanden.

Angesichts von Vorwürfen eigenmächtigen Handelns gegen Spahn sagte Burgi: Dass ein Minister einzelne Gespräche anbahne und sich selbst engagiere, sei natürlich nicht der Normalfall. Man sei damals aber nicht in der Normallage gewesen. Die Verfassung habe nichts dagegen, wenn der Höchstlegitimierte etwas an sich ziehe. „Das ist verfassungsrechtlich sogar die Wunschsituation.“

Piechotta betonte, in künftigen Krisen müsse die Beschaffung in den Händen der Profis bleiben. Sie betonte nach der Sitzung, dass für sie viele Fragen noch offen seien: „Bis heute fehlen Dokumente im Gesundheitsministerium aus dieser Zeit, bis heute ist unklar, warum manche Firmen auch noch Maskenverträge zu hohen Preisen bekamen, als die Bundesregierung schon das Ende der Beschaffung beschlossen hatte.“

Mängel bei der Dokumentation

Dokumentation sei damals im BMG ein großes Problem gewesen, betonte Sievers. Versäumnisse habe es etwa bei der Vergabe von Aktenzeichen gegeben. Dies müsse künftig besser laufen, mahnte der Experte vom BRH. Das SPD-Kommissionsmitglied Michael Müller (ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin) fragte Spahn nach den Gründen. Schließlich müssten Dinge nachvollziehbar sein.

Der Unionsfraktionschef sagte, die Kolleginnen und Kollegen im Ministerium hätten nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet, seien aber womöglich wegen der schieren Zahl der Vorgänge nicht mehr nachgekommen. Die Veraktung habe er nicht kontrolliert. „Es ist ja nicht unmöglich, das nachzuarbeiten.“ Sievers beklagte hierbei aber unschlüssige Vorgehensweisen.

„Ich kann nur sagen, die Dokumentation ist notleidend“, sagte Sudhof. Die Rekonstruktion habe jedoch Grenzen. „Eine Lücke wird bleiben.“ In Prozessen sei es immer wieder einmal passiert, dass die Gegenseite Schriftgut vorgelegt habe, die man selbst nicht gekannt habe.

Bei mehreren Fragen der AfD-Fraktion ergriff die Kommissionsvorsitzende Franziska Hoppermann (CDU) das Wort und bat um einen Bezug zum Thema des Tages, der Beschaffung. Die Fragen drehten sich unter anderem um den Virusursprung, die Arbeit des Paul-Ehrlich-Instituts und eine Fördermittelvergabe an die Charité.

Die Art und Weise, wie in der Rhetorik der AfD Behauptungen zu Fakten erhoben würden, gebiete sich nicht für eine Enquetekommission, kommentierte der SPD-Abgeordnete Jens Peick. Es gelte, auf der Grundlage belegter Erkenntnisse zu arbeiten. Daniel Rinkert (SPD) warf der AfD vor, kein Aufklärungsinteresse zu haben und nur Videoschnipsel produzieren zu wollen.

Spahn ging auch noch auf einen Punkt ein, den er im Rückblick anders machen würde: Demnach hätte klarer kommuniziert werden müssen, dass viele Wissenschaftler beratend zur Seite gestanden hätten. Es sei damals der falsche Eindruck entstanden, dass es nur ein oder zwei Ratgeber gegeben habe. Er betonte, es seien auch keine Experten aktiv ausgeschlossen worden.

ggr

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