Politik

Debatte über hohe Kosten in der Heimpflege

  • Dienstag, 5. Juni 2018
/Kaspars Grinvalds, stockadobecom
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Berlin – Gesundheitsexperten sehen die teilweise stark steigenden Eigenanteile in der Heimpflege mit Sorge. Das zeigte eine öffentliche Anhörung des Gesundheits­ausschusses des Bundestags über einen Antrag der Linksfraktion. Einig waren sich die Experten darin, dass die Pflegekosten in den kommenden Jahren deutlich steigen werden, unter anderem durch höhere Löhne und mehr Personal, was zu höheren Beiträgen führen könnte und auch zu höheren Eigenanteilen.

Während einige Experten empfehlen, aus der Teilkostendeckung auszusteigen und eine Pflegevollversicherung zu entwickeln, sehen andere Fachleute darin ein zusätzliches Kostenrisiko sowie einen systematischen Fehlanreiz. Auch die Idee einer Teilkosten­versicherung mit fixem Eigenanteil der Versicherten wurde in der Anhörung vorgeschlagen.

Plädoyer für Pflegevollversicherung

Die Linke fordert in ihrem Antrag, die Eigenanteile in Pflegeheimen zu begrenzen und die Teilkostendeckung zu einer Pflegevollversicherung umzugestalten. Die angestrebte flächendeckende tarifliche Bezahlung der Pflegekräfte dürfe sich nicht zulasten der Pflegefälle und Versicherten auswirken. Der Pflegevorsorgefonds solle umgewidmet und die medizinische Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtungen wieder durch die Krankenversicherung finanziert werden.

Nach Angaben der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA-Pflegeschutzbund) wird das finanzielle Risiko eines Pflegefalls oft unterschätzt. Der Versicherungszuschuss decke nur bis zu 75 Prozent der reinen Pflegekosten. Bei stationärer Pflege kämen Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten hinzu, die von den Betroffenen selbst zu tragen seien. Eine bessere Bezahlung und Aufstockung der Pflegekräfte werde zu weiteren Kosten führen.

Kassen sollen medizinische Behandlungspflege bezahlen

Der Verband schlug vor, die medizinische Behandlungspflege wieder auf die Krankenkassen zu übertragen, den Pflegevorsorgefonds aufzulösen, die aufwendigen Parallelstrukturen bei den zahlreichen Pflegekassen zu verändern, Eigenanteile zu deckeln und langfristig eine Vollversicherung einzuführen. Nach Berechnungen des GKV-Spitzenverbands würde die Finanzierung der medizinischen Behandlungspflege die GKV rund drei Milliarden Euro jährlich kosten.

Der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing warnte, mit einer Vollversicherung könnte die Bereitschaft zurückgehen, ältere Menschen zu Hause zu pflegen. Der Pflege­versicherung liege jedoch der Gedanke der Eigenverantwortung zugrunde. Wenn der Sozialstaat die Pflegebedürftigkeit komplett absichere, könnte dadurch die Eigen­verantwortung an Bedeutung verlieren und die Pflegeversicherung belastet werden. Vor allem bei einer Steuerfinanzierung ginge der Zusammenhang zwischen Beitrag und Leistungsanspruch und damit das Kostenbewusstsein verloren.

Der Arbeitgeberverband BDA gab zu Bedenken, eine Vollversicherung würde neue Ungerechtigkeiten schaffen. Es wäre nicht vermittelbar, warum über die Pflege hinaus eine Unterstützung für Verpflegung und Unterkunft geleistet werde, die andere Menschen nicht erhielten. Insbesondere wohlhabende Pflegebedürftige würden durch die Finanzierung ihrer Wohn- und Verpflegungskosten besser gestellt. Der Verband plädierte alternativ für eine ergänzende kapitalgedeckte Risikovorsorge, um die Finanzierbarkeit der Pflege langfristig zu sichern. Denkbar wäre ein Prämienmodell, ein einkommensunabhängiger Zusatzbeitrag für Versicherte.

Für ein solches Konzept plädierte auch die Sozialökonomin Susanna Kochskämper vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Es sollte über eine ergänzende, kapitalgedeckte zweite Säule für die Pflegeversicherung nachgedacht werden. Sie warnte, auf keinen Fall sollte die Erwartung geschürt werden, die Pflegeversicherung könnte die steigenden Pflegekosten bei gleichbleibenden Leistungszusagen allein und ohne signifikant steigende Beiträge bewältigen.

Akuter Handlungsbedarf

Nach Angaben des Deutschen Pflegerates (DPR) steigt der Eigenanteil in den stationären Pflegeeinrichtungen seit Jahren. Mit der Pflegereform 2017 sei zwar der Übergang in einen höheren Pflegegrad durch den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil (EEE) nicht mehr mit Mehrkosten für die Pflegefälle verbunden, jedoch sei der Kostenanstieg ungebremst. Ferner seien die Kosten in den Bundesländern sehr unterschiedlich.

Der Sozialverband VdK sieht wegen der „drastisch steigenden Belastungen“ für die Betroffenen akuten Handlungsbedarf. Pflegebedürftige in stationären Einrichtungen zahlten im Schnitt 587 Euro monatlich aus eigener Tasche für die Pflegekosten. Zusammen mit den Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten ergebe sich eine monatliche Gesamtbelastung von 2.278 Euro. Der Verband forderte einen steuerfinanzierten Bundeszuschuss, um Kosten zu begleichen, die entweder die Infrastruktur betreffen oder gesamtgesellschaftliche Aufgaben, etwa die Investitions- oder Ausbildungskosten. Auch ein Vertreter des GKV-Spitzenverbandes brachte in der Anhörung einen Bundeszuschuss ins Gespräch.

Jährliche Dynamisierung

Schnelle Maßnahmen gegen eine Verarmung von Pflegebedürftigen forderten gestern unterdessen Interessenverbände der Pflegebedürftigen. Dazu sollten die finanziellen Leistungen der Pflegeversicherung jährlich erhöht werden. „Die Kosten für Pflege steigen vor allem durch die Lohnentwicklung. Die gesetzlich festgelegten und gedeckelten Leistungen passen sich aber nicht entsprechend an“, bemängelten die Verbände das Dilemma. Die Folge sei, dass Pflegebedürftige bei gleichem Bedarf weniger Pflegeleistungen einkaufen könnten. Sie müssten diese Kosten selbst tragen.

„Das Risiko der Pflegebedürftigkeit darf nicht privatisiert werden. Die Vorstellung, die wachsende Versorgungslücke privat schließen zu können, führt zur finanziellen Überforderung weiter Teile der Bevölkerung und letztlich zur Mehrklassenpflege“, sagte gestern Olaf Christen, Sprecher der Pflegebedürftigenverbände.

Seit 2008 werden die Pflegesätze im Drei-Jahres-Rhythmus orientiert an der Inflationsrate erhöht. „Doch diese Ausrichtung nach der allgemeinen Preisentwicklung greift zu kurz, da gut zwei Drittel der Kosten im Pflegesektor Personalkosten sind, die sich nicht im Warenkorb der Preisindexberechnung wiederfinden. Die Erhöhungen der Jahre 2008 bis 2014 lagen damit deutlich unter den Preissteigerungen für Pflegeleistungen“, kritisieren die Verbände.

Sie begrüßen, dass die Große Koalition die Sachleistungen laut Koalitionsvertrag kontinuierlich an die Personalentwicklung anpassen will. Die Interessenvertretung der Pflegebedürftigen fordert nun ergänzend eine jährliche Dynamisierung, um der Geschwindigkeit der Kostenentwicklung standzuhalten. Darüber hinaus müsse der bereits entstandene Kaufkraftverlust durch eine einmalige Anpassung ausgeglichen werden und zudem müsse sich die Dynamisierung neben der Preisentwicklung an der Lohnkostenentwicklung orientieren, da diese die entscheidende Größe bei den Pflegekosten sei.

Die Interessensvertretung der Pflegebedürftigen ist im elften Sozialgesetzbuch festgelegt, und zwar im Paragraphen 118. Danach umfasst sie den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), die BAG Selbsthilfe, die Interessensvertretung Selbstbestimmt Leben Deutschland, den Sozialverband Deutschland (SoVD), die Bundesarbeits­gemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) und den Sozialverband VdK Deutschland.

hil/hib/may

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