Debatte um allgemeine Impfpflicht: Ampelkoalition und Union legen Gesetzentwürfe vor

Berlin – Die bei der Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag angekündigten Vorschläge für eine allgemeine Coronaimpfpflicht nehmen Gestalt an. Sowohl Bundestagsabgeordnete der Ampelkoalition als auch der Union stellten heute jeweils einen ausgearbeiteten Entwurf vor.
Der Vorschlag der Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP soll in einem „Gesetz zur Aufklärung, Beratung und Impfung aller Volljährigen“ münden, das bis zum 31. Dezember 2023 befristet ist und demzufolge ab 1. Oktober alle Erwachsenen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland Nachweise über drei Impfungen (als Genesene weniger) vorweisen müssen.
Die Unionsfraktion legte stattdessen einen Entwurf für ein „Impfvorsorgegesetz“ vor, in dem nicht von einer Impfpflicht, sondern von einem „Impfmechanismus“ gesprochen wird. Dieser soll bei Bedarf vom Bundestag aktiviert werden. Kernstück dieses Entwurfs ist ein Impfregister.
Die SPD-Abgeordneten Dirk Wiese, Heike Baehrens und Dagmar Schmidt, die Grünen-Politiker Janosch Dahmen und Till Steffen sowie Katrin Helling-Plahr und Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP wollen hingegen nicht warten, bis die nächste Infektionswelle in Sichtweite ist.
„Wir wollen jetzt den Grundstein für den nächsten Winter legen und bei der Coronainfektion einen Zustand herstellen wie wir ihn von der Grippe kennen“, sagte Schmidt. Durch dieses vorausschauende Handeln sei es möglich, raus aus der Einschränkungsspirale zu kommen, ergänzte Helling-Plahr. „Sonst lassen sich die Bevölkerung und unser Gesundheitssystem wieder nur mit einschränkenden Maßnahmen schützen. Das wollen wir mit diesem Gesetz verhindern.“
Konkret sollen dem Gesetzentwurf zufolge bis zum 15. Mai die Krankenkassen ihre Versicherten über die Gefahren der COVID-19-Erkrankung, über Impfmöglichkeiten, die zugelassenen Impfstoffe und die gesetzliche Pflicht, sich bis zum Herbst impfen zu lassen, informieren. Menschen, die bereits dreimal geimpft (oder geimpft und genesen) sind, könnten dies dann digital oder analog nachweisen, erläuterte Till Steffen. Sie hätten dann ihre Pflicht schon erledigt.
Menschen, die noch nicht dreimal geimpft sind, hätten dann bis zum 1. Oktober Zeit, sich beraten und impfen zu lassen. Ausgenommen seien Menschen, bei denen eine Impfung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei sowie Frauen, die am Beginn ihrer Schwangerschaft stehen.
Wenn Volljährige trotz Information und Beratungsangebot bis zum 1. Oktober kein Impfangebot wahrnehmen und dies nachweisen würden, werde die zuständige Ordnungsbehörde informiert. „Dort wird ein Bußgeldverfahren eingeleitet“, so Steffen. Die mögliche Höhe bewege sich im Rahmen bereits in anderen Bereichen geltender Bußgelder. Eine wichtige Grenze seien dabei 250 Euro – ab da müssten die Behörden die Einkommenssituation der Betroffenen prüfen.
Das Gesetz soll bis zum 31. Dezember 2023 befristet sein und bis dahin alle drei Monate auf seine Wirksamkeit hin überprüft werden. Über eine Verlängerung oder eine Verschärfung, wie beispielsweise die Notwendigkeit einer vierten Impfung, soll das Parlament entscheiden müssen. Einen Automatismus soll es nicht geben.
Neben Plänen zu einer Impfpflicht ab 18 Jahren legte nun auch die Union einen Entwurf für ein Impfvorsorgegesetz vor – ein „Vorratsgesetz“, wie es Andrea Lindholz (CSU) heute vor der Presse nannte. Der Antrag bereitet statt einer sofortigen Impfpflicht nur einen „kurzfristig“ zu aktivierenden „Impfmechanismus“ beim Auftreten einer verschärften Coronalage vor, die vom Bundestag festgestellt werden muss.
„Wir stehen einer Impfpflicht kritisch gegenüber“, betonte Sepp Müller (CDU) bei der Vorstellung des Entwurfs. „Wir brauchen aber ein Gesetz, mit dem sich eine Impfpflicht kurzfristig auf den Weg bringen ließe. Unser Ziel ist, das Gesundheitswesen vor Überlastung zu schützen.“
Im Falle einer sich verschärfenden Coronalage soll es dem Impfvorsorgegesetz zufolge einen nach Personengruppen gestaffelten „Impfmechanismus“ geben, bei dem zunächst alle Menschen ab 60 Jahren, dann ab 50 Jahren und schließlich Beschäftigte der kritischen Infrastruktur sowie Mitarbeiter in Schulen und Kitas geimpft werden sollen.
Zur Umsetzung dieser Pläne soll es eine Impfkampagne und ein Impfregister geben. Dieses sei „sehr notwendig“ und schnell an einer Stelle von hoher Fachkompetenz und Glaubwürdigkeit einzurichten, sagte Lindholz. Das Impfregister soll helfen, die Impfquote durch gezielte Ansprache auf Ungeimpfte zu erhöhen und zunächst einmal zu erfassen, wer überhaupt geimpft ist und wer nicht. Datenschutzrechtliche Bedenken gibt es aus Sicht der Union nicht.
Demnächst soll der Bundestag in freier Abstimmung ohne Fraktionsvorgaben über eine mögliche Regelung entscheiden. Neben den beiden heute vorgelegten Entwürfen gibt es eine Initiative einer Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki gegen eine allgemeine Impfpflicht.
Zudem arbeitet eine Gruppe um den FDP-Politiker Andrew Ullmann noch an einem Vorschlag für einen „Mittelweg“: Dieser sieht ein Beratungsgespräch für alle volljährigen Ungeimpften vor und möglicherweise die Pflicht zum Nachweis einer Impfung ab 50 Jahren, wenn die Impflücke dadurch nicht geschlossen werden kann. Die AfD-Fraktion hat bereits einen eigenen Antrag vorgelegt, der die Impfpflicht vollständig ablehnt.
Offen ist noch, wann der Bundestag über die Vorschläge in erster Lesung beraten wird. Eigentlich war dafür die kommende Woche ins Auge gefasst worden. Es sei ein Gebot der Fairness, allen ausreichend Zeit für die Ausformulierung ihrer Entwürfe zu geben, sagte heute die FDP-Abgeordnete Agnes-Marie Strack-Zimmermann, die zu den Unterstützerinnen der Impfpflicht ab 18 gehört
„Bis Ende März sollte alles trotzdem in trockenen Tüchern sein.“ Auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese bekräftigte das Ziel, das Verfahren noch im ersten Quartal abzuschließen. Bis Ostern soll das Gesetzesverfahren inklusive Befassung des Bundesrats abgeschlossen sein.
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