Politik

Debatte um Gesundheitsetat: Bühne für Reformprojekte und Ministerkritik

  • Donnerstag, 8. September 2022
/picture alliance, Michael Kappeler
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Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Bühne für die erste Haushaltsberatung im Bundestag heute genutzt, um einige seiner Reformprojekte vorzustellen. Er kündigte ein Hilfs­paket für Kran­ken­häuser an, ging aber auch auf Pflege, Digitalisierung, Finanzlage von Kinder­kliniken und das Vorhaben der Gesundheitskioske ein.

Der Minister erläuterte, dass die diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) künftig in Kinderkliniken komplett entfallen sollen. Die 350 Kinderkliniken und Kinderabteilungen in den Krankenhäusern lägen ihm „besonders am Herzen“, erklärte Lauterbach im Bun­destag zur ersten Beratung des Haushalts für das kommende Jahr.

Er führte aus, dass mit der Neuregelung der „ökonomische Druck auf die Kliniken von jetzt auf so­fort beendet“ werde. Die Kliniken erhielten dann ein Budget und könnten die Kosten abrechnen. Sie müssten sich nicht mehr durch Leistungssteigerungen das Budget von Jahr zu Jahr neu erkämpfen. Es gebe dann einen Bereich der im Wesentlichen nach dem Prinzip der Kostendeckung funtioniert.

„Gerade bei den Kindern ist das unbedingt notwendig. Es kann nicht länger akzeptiert werden, was wir viel zu lange ak­zeptiert haben, dass in der Kinderkrankenhausversorgung ökonomische Aspekte im Prinzip Einfluss auf die Therapie­entscheidung haben“, sagte Lauterbach. „Das können wir nicht hinnehmen“.

Der Bundesgesundheitsminister hob als weitere politische Schwerpunkte auch Neuregelungen zur Entlastung von Pflegekräften hervor. Er bekräftigte darüber hinaus das Ziel von mehr Schub bei der Digitalisierung des Gesund­heits­wesens. Hier sei Deutschland nach wie vor „im europäischen Vergleich ein Entwicklungsland“.

Zentrales Vorhaben seien die elektronische Patientenakte und Routinedaten sollten künftig auch für For­schungszwe­cke genutzt werden können. Lauterbach teilte mit, sich in der kommenden Woche bei einem Be­such in Israel über international führende Konzepte dafür zu informieren. Dabei solle auch eine engere Ko­operation verein­bart werden.

Darüber hinaus betonte Lauterbach, es solle künftig Vorhaltepauschalen für Krankenhäuser geben, die für die Versorgung zwingend notwendig seien. Die Mittel sollten durch Abschläge anderer Einrichtungen umge­schich­tet werden. Das Geld gehe dann dort hin, wo es benötigt werde, so der Minister.

Den Krankenhäusern soll wegen der steigenden Energiekosten und der hohen Inflation unter die Arme ge­griffen werden. Lauterbach kündigte dafür heute ein Hilfspaket für die Ein­richtungen an. „Wir werden die kurz­fristigen Bedürfnisse der Krankenhäuser berücksichtigen“, sagte Lauterbach. Man werde die Energie­kosten, die Infla­tions­kos­ten und die zurückgegangenen Fallzahlen analysieren und ein Hilfspaket schnüren.

„Wir lassen un­sere Krankenhäuser in dieser Energie- und Inflationskrise nicht im Stich und werden sie über den Herbst und über den Winter bringen.“ Der Minister erläuterte, dass an „kurzfristigen Lösung“ gearbeitet wird. In den nächsten Wochen sollen Details dazu vorgelegt und mit den Ländern beschlossen werden.

Beim Entlastungspaket der Bundesregierung war das Gesundheitswesen, allen voran die Krankenhäuser, nicht berücksichtigt worden. Die Krankenhäuser machen sich aufgrund der extremen Kostensteigerungen und des hohen Verbrauchs von Gas und Strom sowie der Inflation existenzielle Sorgen. Zuletzt hatten auch die Ge­sundheitsminister der Länder den Bund zum Handeln aufgerufen.

Im Bundestag gab es von mehreren Abgeordneten über die Fraktionen hinweg auch Kritik an den Ländern. Denn diese erfüllten seit Jahren ihre Verpflichtungen bei der Krankenhausfinanzierung nicht. Sie machten sich „einen schlanken Fuß“, sagte etwa der FDP-Politiker und Arzt, Andrew Ullmann, der Mitglied im Gesundheits­aus­schuss ist.

In der Debatte machten sich Union und Ampelparteien von SPD, Grünen und FDP gegenseitige Vorwürfe. Die Union warf der SPD eine Sparpolitik vor und einen misslungenen Umgang mit den Finanzen.

Die Abschmel­zung der Finanzen bei den Krankenkassen und die Abschaffung der Neupatientenregelungen, sei „absurd“, sagte etwa der CSU-Politiker Stephan Pilsinger. Er sprach von einer „Giftliste undurch­dachter Vor­schläge und Flickschusterei“.

Pilsinger machte Lauterbach den Vorschlag, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent abzusen­ken sowie den Bundeszuschuss für Bezieher von ALG-II zu erhöhen. Allein die beiden Maßnahmen würden der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) jährlich 16 Milliarden Euro sparen, so Pilsinger.

Sepp Müller, einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union, erklärte, Lauterbach solle statt Ge­sundheitskioske zu initiieren lieber die Hausarztpraxen stärken. „Wir brauchen Hausarztpraxen. 4.000 sind nicht besetzt – und sie diskutieren Gesundheitskioske, wo das Material nicht da ist, das Geld nicht vorhanden ist und das Personal fehlt“.

Stattdessen streiche er der ambulanten Versorgung die Neupatientenregelung. „Wissen Sie, was das für Haus­ärzte und Fachärzte bedeutet? Sie werden an der Qualität streichen, weil sie neue Patienten, junge Patienten, Patienten, die von A nach B umziehen, keinen Termin geben können, weil das Budget voll ist.“ Er lege die „Axt an die Wurzel“ an die Qualität im Gesundheitswesen an.

Die Koalition sieht das anders. „Sie tun so, als ob die Streichung der Neupatientenregelung unglaubliche Unterschiede in der Versorgung machen würde“, sagte Paula Piechotta, Radiologin und Mitglied im Haus­halts­ausschuss des Bundestags, in Richtung Müller. Er sage aber nicht, wie viele Neupatientenkontakte diese Re­gelung wirklich geschaffen habe – oder nicht.

Piechotta zufolge muss die Ampelkoalition das ausbaden, was Jens Spahn (CDU) als Bundesgesundheitsminis­ter Jens Spahn (CDU) angegangen sei. Und Spahn habe „regiert in Zeiten, wo er klotzen konnte und eben nicht so genau aufs Geld geschaut hat“. Nun fehle das Geld an „allen Ecken und Enden“. So zu tun als ob Lauterbach nicht mit Geld umgehen könne, sei vielleicht etwas unvorsichtig in einer solchen Debatte, wenn man selbst die Partei der „Maskendeals und der Betrügsfälle in den Coronatestzentren“ sei.

Der Einzelplan 15 des Bundeshaushalts für das kommende Jahr umfasst Ausgaben von 22,06 Milliarden Euro. In diesem Jahr waren noch 64,36 Milliarden Euro eingeplant. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kann mit Einnahmen von 104,17 Millionen Euro rechnen (2022: 104,52 Millionen Euro).

Hauptblock sind wie in jedem Jahr die Zuweisungen und Zuschüsse des Bundes zum Gesundheitsetats. Die Mittel für den Gesundheitsfonds umfassen wie in den Vorjahren 14,5 Milliarden Euro. Dazu kommt ein ergän­zender Bundeszuschuss von zwei Milliarden Euro. Neu eingestellt ist darüber hinaus ein Darle­hen an den Gesundheitsfonds von einer Milliarde Euro.

Entfallen werden 2023 die Zahlungen des Bundes an den Gesundheitsfonds für Belastungen aufgrund der Coronapandemie. Das waren in diesem Jahr noch 30,03 Milliarden Euro.

Die Ausgaben für Pflegevorsorge und sonstige soziale Sicherung schlagen im kommenden Jahr mit 1,08 Milliarden Euro zu Buche (2022: 3,28 Milliarden Euro). Enthalten ist die pauschale Beteiligung des Bundes an den Aufwendungen der sozialen Pflegeversicherung in Höhe von einer Milliarde Euro.

Für Prävention und Gesundheitsverbände sind 2,59 Milliarden Euro eingestellt (2022: 9,57 Milliarden Euro). Enthalten sind Zuschüsse zur Bekämpfung des Ausbruchs des Coronavirus in Höhe von 119,4 Millionen Euro (2022: 1,9 Milliarden Euro). Die Zuschüsse zur zentralen Beschaffung von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 summieren sich auf 2,03 Milliarden Euro (2022: 7,09 Milliarden Euro).

may/dpa

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