Vermischtes

Debatte um Zuckersteuer: Industrie reagiert mit freiwilliger Selbstverpflichtung

  • Donnerstag, 5. April 2018
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Düsseldorf – Die Debatte um zu viel Zucker in Lebensmitteln, vor allem in Getränken, geht weiter. Gestern hatte die Verbraucherorganisation Foodwatch dem Konzern Coca-Cola in einem Report eine Mitverantwortung für die Ausbreitung chronischer Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes vorgeworfen. Heute kündigten Discounter an, den Zuckergehalt in Getränken und Backwaren zu reduzieren. Diese „freiweillige Selbstverpflichtung“ hält Foodwatch für eine der Kernstrategien, um verbindlichen Vorgaben zu umgehen.

In einigen Erfrischungsgetränken wie Cola und Eistee solle der Zuckergehalt in einem ersten Schritt „um fünf bis acht Prozent“ gesenkt werden, sagte eine Lidl-Sprecherin der Wirtschaftswoche. Bei den Molkereiprodukten werde derzeit „jeder Joghurt“ überarbeitet, außerdem arbeite Lidl an der Reduktion des Zuckeranteils bei 20 Gebäck- und Backwarenartikeln.

Bei der Umsetzung der eigenen Zuckerreduktionsstrategie sei Lidl „auf einem sehr guten Weg“, sagte die Unternehmenssprecherin dem Magazin weiter. Demnach verpflich­tete sich der Discounter Anfang vergangenen Jahres dazu, Zucker und Salz in seinen Eigenmarkenprodukten bis 2025 um 20 Prozent zu reduzieren. Zu den redu­zierten Produkten gehörten bereits Frühstücksflocken.

Andere Konzerne wollen nachziehen

Der Wirtschaftswoche zufolge will auch der Handelskonzern Rewe im Laufe des Jahres rund 100 zuckerreduzierte Eigenmarkenprodukte anbieten. Der Getränkehersteller Eckes-Granini will demnach den Anteil zugesetzten Zuckers in seinen Produkten bis 2020 um zehn Prozent senken. Für Hersteller von Markenprodukten, etwa Dr. Oetker und Bahlsen, sei das Thema ebenfalls interessant und stehe auf der Agenda.

In der politischen Auseinandersetzung würden solche freiweilligen Initiativen genutzt, um verbindliche Vorgaben als unnötig darzustellen, erklärt Foodwatch im Report. Zudem haben sich Maßnahmen zur freiwilligen Selbstbeschränkung der Industrie in mehreren unabhängigen Untersuchungen als unzureichend erwiesen. Das konnte Foodwatch 2015 am Beispiel des EU-Pledge zeigen. Die Unterzeichner vepflichten sich, ein verantwortungsvolles an Kinder gerichtetes Marketing für Lebensmittel zu betreiben. Ergebnis: 90 Prozent der 281 untersuchten, an Kinder vermarkteten Lebensmittel, erfüllen nicht die Kriterien der WHO.

Sorgen vor Zwangsmaßnahmen, wie sie von morgen an in Großbritannien mit einer erhöhten Zuckersteuer gelten, müssen sich die Konzerne in Deutschland nicht machen. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner hatte gestern auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes eine Steuer auf zuckerhaltige Fertigprodukte abgelehnt. „Es mag zwar sein, dass der Zuckergehalt in manchen Produkten sinkt. Das gilt aber nicht automatisch für den Gesamtkaloriengehalt“, hatte sie gesagt.

Im Fokus stünde die gesamte Lebens- und Ernährungsweise, nicht einzelne Nährstoffe. „Es klingt einfach und verlockend, eine zusätzliche Steuer für Fertigprodukte in unserem Land zu erheben. Aber die Praxis tut der Theorie nicht immer den Gefallen“, erklärte die Ministerin.

Klöckner ignoriert damit Studien wie solche, die gestern im Lancet erschienen sind. Demzufolge schützen Steuern auf ungesunde Lebensmittel vor allem einkommensschwache Menschen. >Steuern auf Erfrischungsgetränke, Alkohol und Tabak seien eine effektive Maßnahme, um nicht­übertragbare Krankheiten (Non-communicable diseases, NCDs) weltweit zu stoppen, lautet ihr Fazit.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach erklärte gestern auf Twitter: „Erfahrungen mit einer Zuckersteuer, die gleichzeitig für eine Steuersenkung gesunder Lebensmittel eingesetzt wird, zeigen Erfolge. Besonders für Kinder. Das sollten wir ernsthaft prüfen. Kombiniert mit einem Werbeverbot für Tabakprodukte.“ Auf NDR Info ergänzte er heute, er halte eine Zuckersteuer für eine gute Idee. Zucker sei ein wesentlicher Faktor für die Zunahme des Übergewichts, insbesondere bei Kindern. Damit sei Zucker auch ein großer Risikofaktor für viele Krankheiten, die mit Übergewicht einhergingen – wie die Zuckerkrankheit oder auch Krebs, so Lauterbach.

Die SPD-Ernährungsexpertin Ursula Schulte erklärte, es sei „keine neue Erkenntnis“, dass etwa Brause und Eistee die Entwicklung kindlicher Fettleibigkeit befördern könne. Deshalb müssten die „großen Getränkehersteller freiwillig“ den Zuckeranteil spürbar reduzieren. Wichtig seien unter anderem auch Präventions- und Marketingmaßnahmen für ungesüßte Getränke und Wasser sowie Aufstellverbote für Verkaufsautomaten mit zuckerhaltigen Getränken in Schulen.

Die Linken-Verbraucherexpertin Amira Mohamed Ali forderte eine Ampelkenn­zeichnung für den Gehalt von Zucker, Salz und Fett auf der Vorderseite von Lebensmittelverpackungen. Daneben sei auch „dringend mehr Aufklärung“ nötig. Das Thema gesunde Ernährung gehöre auf den Stundenplan an Schulen, erklärte die Linken-Politikerin.

afp/may/gie

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