„Der Pflegemangel kann uns in gefährliche Situationen bringen“
Hamburg – Die Coronapandemie hat ein Schlaglicht auf die Krankenhausstrukturen in Deutschland geworfen und die Diskussion darüber weiter entfacht, wie das System umgestaltet werden sollte. Das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) hat vier Gesundheitsökonomen zu den Lehren aus der Pandemie für den stationären Sektor befragt, unter anderem Jonas Schreyögg, Inhaber des Lehrstuhls für Management im Gesundheitswesen an der Universität Hamburg.

Fünf Fragen an… Jonas Schreyögg, Universität Hamburg
DÄ: War die Bewältigung der Coronapandemie in Deutschland so erfolgreich, weil Deutschland so viele Krankenhausbetten hat?
Schreyögg: Deutschland ist bisher so gut durch die Krise gekommen, weil wir sehr früh mit den Tests angefangen und die Testkapazitäten schnell hochgefahren haben. Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass wir anders als viele andere Länder relativ früh die Testung und Behandlung in den ambulanten Bereich verlagert und nur Personen mit vergleichsweise schweren Verläufen stationär eingewiesen haben.
Der ambulante Sektor hat eine Art Schutzwall für die Krankenhäuser gebildet. Daher haben wir die stationären Kapazitäten nicht annähernd ausgeschöpft. Mit der hohen Zahl an Betten hatte das nichts zu tun, das geht oftmals in der Öffentlichkeit durcheinander.
Im Übrigen wäre eine hohe Kapazitätsauslastung in den Intensivstationen unter Umständen sehr problematisch geworden. Denn ein Bett mit einem Beatmungsgerät hilft ja nur dann, wenn ausreichend Intensivpfleger existieren, die die Beatmungsgeräte bedienen.
Und da haben wir in Deutschland in vielen Häusern eine sehr dünne Personaldecke, viel dünner als zum Beispiel in Italien und Frankreich. In Italien existiert die verbindliche Vorgabe, dass ein bis zwei Pflegende pro Patient pro Schicht auf Intensivstationen anwesend sein müssen.
DÄ: Welche Erkenntnisse haben Sie persönlich im Hinblick auf die Struktur der deutschen Krankenhauslandschaft aus der Coronapandemie gezogen?
Schreyögg: Wir haben erneut gesehen, dass uns der Personalmangel im Bereich Pflege in vielen Krankenhäusern in gefährliche Situationen bringen kann. Der durch den Gesetzgeber begonnene Weg mit Pflegepersonaluntergrenzen und anderen Instrumenten zur Stärkung der Pflege sollte unbedingt weiter beschritten werden. Dazu gehört auch eine Umstrukturierung von nicht-bedarfsnotwendigen Krankenhäusern, um das Personal dort zu bündeln, wo es wirklich benötigt wird.
DÄ: Wie sollte vor diesem Hintergrund die Krankenhauslandschaft in den kommenden Jahren umgestaltet werden?
Schreyögg: Die im Konjunkturpaket der Bundesregierung vorgesehene Ausweitung des Krankenhausstrukturfonds ist folgerichtig. Außerdem sollten die Maximalversorger und Unikliniken im Rahmen der Vergütung gestärkt werden, die im Krisenfall die Hauptakteure sind, die aber in den letzten Jahren durch die Vergütung sowie durch die fehlenden Investitionen unter die Räder geraten sind. Damit einhergehend benötigen wir eine einheitliche Definition von Versorgungsstufen in Deutschland.
DÄ: In der Coronapandemie haben Krankenhäuser, über Trägergrenzen hinweg, vielfach gut und effizient zusammengearbeitet. Wie kann eine solche Kooperation für die Zukunft angereizt werden?
Schreyögg: Das Shared-Care-Making zwischen den Häusern hat schon immer in ausgewählten Bereichen gut funktioniert, zum Beispiel bei seltenen Erkrankungen. Auch im bestehenden Vergütungssystem haben Krankenhäuser Anreize für Kooperationen.
Kooperationen können die Effizienz und finanzielle Performanz eines Hauses erhöhen, das haben wir in der Untersuchung „Cooperation for a Competitive Position: The Impact of Hospital Cooperation Behavior on Organizational Performance“ gezeigt.
DÄ: Welche Lehren kann man aus der Coronapandemie hinsichtlich der Krankenhausfinanzierung ziehen? Wie sollte die Krankenhausfinanzierung aus Ihrer Sicht vor diesem Hintergrund umgestaltet werden?
Schreyögg: Eine Reform der Krankenhausfinanzierung ist unabhängig von der Coronapandemie aus meiner Sicht aufgrund von Fehlanreizen zu empfehlen. Die aktuelle Krise hat uns aber nochmal veranschaulicht, dass die primär fallorientierte Vergütung zu kurz greift und der Ein-Haus-Ansatz der DRG-Vergütung die Versorgungsstufen verschwimmen lässt, die aber eher geschärft werden müssen.
Daher wäre eine Weiterentwicklung der Krankenhausvergütung zu empfehlen, so wie wir sie im letzten Gutachten des Sachverständigenrates empfohlen haben. Unter anderem wäre dies eine Integration von Vorhaltepauschalen für Leistungen in bedarfsnotwendigen Krankenhäusern, die unabhängig von der Fallzahl erbracht werden müssen.
Außerdem könnten Pauschalen für sektorengleiche Leistungen dazu führen, dass eine Reihe von Operationen, aber auch andere Leistungen, die bisher stationär erbracht werden, künftig ambulant erbracht werden. Auf diese Weise könnte der Krankenhaussektor nachhaltig modernisiert werden. Es würden so auch Personalressourcen frei, die in verbleibenden Bereichen der stationären Versorgung dringend benötigt werden.
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