Diabetes Typ 2: Trotz vieler neuer Medikamente verbessern sich Blutzuckerwerte nicht

Orlando – Innerhalb von acht Jahren, zwischen 2006 bis 2013, kamen immer mehr blutzuckersenkende Medikamente auf den Markt. Neben Sulfonylharnstoffen und Biguaniden (Metformin) stehen Typ-2-Diabetikern unter anderem Glitazone (Thiazolidindione) und Gliptine (DPP-4-Hemmer) zur Verfügung. Dennoch konnte sich die Blutzuckerkontrolle nicht verbessern und auch die Zahl der Unterzuckerungen blieb weitestgehend konstant. Zu diesem Ergebnis kommt eine retrospektive Studie in Diabetes Care anhand von Versichertendaten von mehr als 1,6 Millonen US-Bürgern (2017; doi: 10.2337/dc16-0985). Kritisch hinterfragt wurden Kosten und Nutzen neuer Medikamente auch auf dem Kongress der Endocrine Society in Orlando 2017.
In den USA nutzen zunehmend Menschen mit Diabetes Typ 2 blutzuckersenkende Medikamente. Am stärksten stieg der Einsatz von DPP-4-Hemmern im Zeitraum zwischen 2006 und 2013, von 0,5 Prozent auf 14,9 Prozent. GLP-1-(Glukagonlike Peptid-1)Medikamente nahmen von 3,3 auf 5 Prozent zu. Mit Metformin senken inzwischen mehr als die Hälfte ihre Blutzuckerwerte. Der Anstieg beläuft sich von 47,6 auf 53,5 Prozent. Insuline erhielten im Jahr 2013 bereits 23 Prozent der Typ-2-Diabetiker, im Jahr 2006 waren es noch 17,1 Prozent.
Ein entgegengesetzter Trend zeichnet sich unter den mehr als 1,6 Millionen privat Versicherten bei Sulfonylharnstoffen und Glitazonen ab. Immer weniger Patienten nutzen diese blutzuckersenkenden Medikamente (38,8 versus 30,8 Prozent und 28,5 zu 5,6 Prozent).
Trotz des Einsatzes neuer Wirkmechanismen konnte sich die Blutzuckerkontrolle in der beobachteten Studiengruppe nicht verbessern. Diese hatten die Forscher um Kasia J. Lipska von der Yale School of Medicine in New Haven anhand der HbA1c-Werte von einer Subgruppe (25,6 Prozent) ausgewertet. Bei fast einem Viertel der jungen Patienten war sie sogar schlecht, das heißt, der HbA1c-Wert lag über 9 Prozent. Die Rate der Hpoglykämien veränderte sich nicht innerhalb der acht Jahre. Sie blieb stabil bei 1,3 Unterzuckerungen je 100 gelebten Patientenjahren. Nach wie vor berichten vor allem Betroffene mit mindestens zwei Komorbiditäten über Unterzuckerungen (3,2 versus 3,5 pro 100 Jahre, p = 0,36).
Teure Antidiabetika senken HbA1c-Wert nicht besser als günstige
David M. Nathan vom Massachusetts General Hospital in Boston äußerte sich kritisch über den Nutzen der neuen Antidiabetika auf dem Kongress der Endocrine Society, wie Helmut Schatz im Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie berichtet: Nach Nathans Berechnungen waren die teuersten und am häufigsten verwendeten Präparate auch gleichzeitig die mit dem geringsten HbA1c-Senkungspotenzial. Zudem berichtete der US-Forscher, dass die Preise der Diabetesmedikamente schneller gestiegen seien als jene für andere Erkrankungen einschließlich Krebs. Für ihn ist die Pharmaindustrie der einzige Gewinner der neuen Diabetesmedikamente.
Dem entgegen stellte sich Daniel Ducker von der Universität in Toronto, der seine Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie zuvor offenlegte. Bei den von Nathan aufgeführten Kosten müsse auch der Gesamtaufwand einbezogen werden, wie etwa der Preis für die Blutzuckertestungen und stationäre Behandlungen bei Hypoglykämien. Neue langwirkende GLP-1-Analoga könnten den HbA1c-Wert mindestens ebenso wirksam senken wie Insuline.
Der Endokrinologe Schatz berichtet, dass Ducker zudem noch die EMPA-REG-Studie anführte, die bei der Studie von Lipska nicht inbegriffen war. Demnach profitierten vor allem Männer mit vorherigem Myokardinfarkt von einem der neueren Diabetesmedikamente, dem SGLT-2-Hemmer Empagliflozin. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss hat den Zusatznutzen entgegen der Bewertung des IQWIG für bestimmte Patientengruppen anerkannt. Das Deutsche Ärzteblatt hat berichtet:
Die Bedeutung neuer Antidiabetika für Patienten herabzuspielen sei schädlich, sagte Ducker und schloss mit der Aussage: „Der Ratschlag, diese neuen Medikamente nicht anzuwenden, ist gleichzusetzen mit intellektuellem Fehlverhalten.“ (To counsel against using them is intellectual malpractice.)
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