Politik

Disput zwischen den Sektoren zeigt Notwendigkeit für Reform der Notfallversorgung

  • Freitag, 20. Januar 2023
/picture alliance, Julian Stratenschulte
/picture alliance, Julian Stratenschulte

Berlin – Die Notaufnahmen in Deutschland haben mit finanziellem Druck und Fachkräftemangel zu kämpfen. Das geht aus einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) im Auftrag der Deutschen Kranken­haus­gesellschaft (DKG) hervor, an der sich 112 Krankenhäuser mit mehr als 100 Betten beteiligten und deren Ergebnisse heute veröffentlicht wurden.

Keines der teilnehmenden Krankenhäuser kann demnach seine Notaufnahme mit einem positiven finanziell­en Ergebnis betreiben. Zudem mussten 77 Prozent dieser Häuser im Dezember 2022 ihre Notfallambulanz mindestens einmal komplett von der Versorgung abmelden.

In 91 Prozent der Fälle waren dafür unzureichende Kapazitäten auf den Normalstationen verantwortlich. Jeweils zwei Drittel der Krankenhäuser gaben unzureichende Intensivkapazitäten sowie Personalmangel beziehungsweise Personalausfälle in der Notaufnahme als Gründe an.

Personalausstattung in der Pflege ist angespannt

Grundsätzlich bewerteten viele Krankenhäuser die Personalausstattung der Pflege in den Notaufnahmen als angespannt. 34 Prozent erklärten, die Ausstattung sei sehr angespannt, weitere 42 Prozent hielten sie für an­gespannt.

Nur 24 Prozent der Häuser finden die Personalausstattung in der Pflege ausreichend. Beim ärztlichen Personal ist die Ausstattung in zwölf Prozent der Fälle sehr angespannt, in 54 Prozent angespannt und in 33 Prozent ausreichend.

In 74 Prozent der Fälle kommen die meisten Notfallpatienten selbstständig und ohne Verordnung in die Not­aufnahme. In 68 Prozent kommen sie meistens mit einem Rettungs- oder Notarztwagen. In 28 Prozent der Fälle kommen die meisten Patienten mit einer Verordnung einer Krankenhausbehandlung.

Und in drei Prozent der Fälle kommen die meisten Patienten infolge einer 116117-Empfehlung. Als Erstein­schätzungsinstrument zur Triagierung setzen die Notaufnahmen überwiegend das Manchester-Triage-System ein (78 Prozent), seltener den Emergency-Severity-Index (22 Prozent).

38 Prozent der Notfallpatienten werden aufgenommen

Im Mittel müssen 38 Prozent der Patienten in den Notaufnahmen stationär aufgenommen werden. Nicht sta­tionär aufgenommene Fälle bedürfen in den Notaufnahmen fast ausschließlich einer ambulanten Behand­lung. Nur rund ein Prozent der Fälle wird ohne Behandlung direkt an andere Leistungserbringer ver­wiesen.

Die meisten Patienten werden nach Angabe der teilnehmenden Krankenhäuser am Montagvormittag in der Notaufnahme behandelt (62,8 Prozent), gefolgt von Mittwoch- und Freitagnachmittag (jeweils 61,7 Prozent), Montagnachmittag (53,2 Prozent) und Dienstagnachmittag (45,7 Prozent).

Für Samstagnachmittag liegen die Werte bei 44,7 Prozent, für Sonntagnachmittag bei 43,6 Prozent, für Sams­tagabend bei 34 Prozent und für Sonntagabend bei 31,9 Prozent.

Zusammenarbeit mit KVen läuft unterschiedlich gut

Die Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) verläuft unterschiedlich gut. So antwor­teten 14 Prozent der Häuser, die Zusammenarbeit mit der örtlichen KV sei im Rahmen der Notfallversorgung gut, 48 Prozent finden sie mittel und 25 Prozent finden sie schlecht.

67 Prozent der Krankenhäuser erklärten, dass sich in unmittelbarer Nähe zu ihrer Notaufnahme eine KV-Not­dienstpraxis befinde. 30 Prozent gaben dabei an, dass ihnen regelhaft bekannt sei, mit welchem fachärztli­chen und pflegerischen Personal die nächstgelegene KV-Notdienstpraxis besetzt ist. 70 Prozent ist das nicht bekannt.

DKG: Ambulanter Bereich erfüllt seine Pflicht nicht

„Die wirtschaftliche Lage der Notfallambulanzen ist desaströs und trägt zusammen mit einer fehlenden Pa­tientensteuerung maßgeblich zur massiven ökonomischen Schieflage vieler Krankenhäuser und damit zur drohenden Insolvenzwelle bei“, kommentierte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß, die Ergebnisse der Umfrage. „Hier besteht großer Handlungsbedarf. Wir erwarten, dass die Vorschläge der Regierungskom­mission zur Notfallversorgung genau diese Probleme adressieren.“

Zudem übte Gaß Kritik am ambulanten Bereich. Die Notaufnahmen seien vielerorts zum Ersatz der wegbre­chen­den Versorgung im niedergelassenen Bereich geworden, meinte er. „Wer abends und am Wochenende keine ärztliche Hilfe findet oder bei akuten Beschwerden auf Termine in weiter Zukunft vertröstet wird, wählt den Weg in die Notfallambulanzen und erhält in den Krankenhäusern nach wie vor umgehend und verlässlich kompetente Versorgung.“

Es gelinge dem niedergelassenen Bereich nicht, seine Pflicht zur ambulanten Notfallversorgung umfassend zu erfüllen. „Unser Vorschlag sind integrierte Notfallzentren in den Kliniken, in denen Krankenhäuser und nie­dergelassene Ärzte in Portalpraxen und Notfallambulanzen kooperativ die Notfallversorgung übernehmen“, so Gaß.

„Mittelfristig gilt es, den Krankenhäusern die Möglichkeit zu geben, ihre ambulanten Möglichkeiten für die Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen. Nur so können wir medizinische Versorgung angesichts des vor allem in der Fläche wegbrechenden niedergelassenen Sektors flächendeckend und rund um die Uhr sichern.“

KBV weist Kritik der DKG zurück

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wies die Kritik der DKG zurück. Die Krankenhausgesellschaft wolle mit ihrer Umfrage nur von den eigenen Problemen ablenken, meinte der Vorstandsvorsitzende der KBV, Andreas Gassen. „Zu viele Krankenhäuser machen alles und das häufig nicht richtig. Die Notfallversorgung muss an weniger Standorten konzentriert und personell sowie mit Apparaten besser ausgestattet werden.“

Der stellvertretende KBV-Vorsitzende Stephan Hofmeister ergänzte: „Es klingt wie der wohlfeile Ruf ‚Haltet den Dieb‘, wenn die DKG lautstark den ambulanten Bereich als Problem erkannt haben will. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Die Fallzahlen bei den Notaufnahmen der Krankenhäuser haben das Vor-Coronaniveau längst nicht erreicht. Im Gegenteil: Sie bleiben dauerhaft darunter.“

Wie die Berichterstattung des Robert-Koch-Instituts (RKI) zeige, setze sich dieser Trend einer rückgehenden Inanspruchnahme des Notdienstes auch in diesem Jahr fort. Gleichzeitig würden mehr als die Hälfte der Fälle während der Einsatzzeiten des ärztlichen Bereitschaftsdienstes von den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen behandelt.

Gassen sagte: „Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Über 600 Millionen Behandlungsfälle stemmen jährlich die Praxen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, davon entfallen knapp fünfeinhalb Millionen Fälle auf den Bereitschaftsdienst, während die Krankenhäuser zu Bereitschaftszeiten nur noch fünf Millionen ambulante Notfälle behandeln.“

Hausärzteverband: Behauptung ist unverschämt

Auch der Deutsche Hausärzteverband wies die Kritik der DKG zurück. „Die Hausärztinnen und Hausärzte haben mit ihren Praxisteams insbesondere in den vergangenen Jahren bis zum Umfallen gearbeitet – viele auch nach Praxisschluss und am Wochenende –, um die Patientenversorgung sicherzustellen und so die Kranken­häuser vor einem Kollaps zu bewahren“, erklärte der Bundesvorsitzendes des Verbandes, Markus Beier.

„Jetzt zu behaupten, dass die Krankenhäuser die mangelnde Versorgungsleistung der niedergelassenen Ärz­tinnen und Ärzte ausgleichen müssen, ist unverschämt und deckt sich nicht mit der Realität. Die Hausärz­tinnen und Hausärzte haben ihre Aufgabe übererfüllt und tun dies auch weiterhin. Ohne den hausärztlichen Schutzwall sähe es in den Kliniken zappenduster aus.“

Beier betonte zugleich: „Die Kolleginnen und Kollegen sowie das Pflegepersonal in den Krankenhäusern machen einen hervorragenden Job und arbeiten unter hohem Druck. Allerdings kämpfen die Krankenhäuser mit massiven Strukturproblemen, gerade auch im Bereich der Notfallversorgung. Trotz üppiger Finanzhilfen haben sie diese bisher nicht in den Griff bekommen. Hier liegt das eigentliche Versäumnis. Leidtragende sind die Patientinnen und Patienten und das Krankenhauspersonal.“

Zur Wahrheit gehöre in diesem Zusammenhang auch, dass viele Krankenhäuser in der Vergangenheit ihre Notaufnahmen genutzt hätten, um bei Bedarf ihre Betten zu füllen. Mit dem Finger auf die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zu zeigen, sei daher vollkommen fehl am Platz.

Bessere Koordination der Patienten

„Womit die DKG recht hat, ist, dass durch eine bessere Koordination der Patientinnen und Patienten die Not­aufnahmen in den Krankenhäusern entlastet sowie medizinisch nicht notwendige Krankenhauseinweisungen verhindert werden könnten“, fuhr Beier fort.

„Diese Koordination kann nur durch die Hausarztpraxis erfolgen.“ Die Evaluationen der Verträge zur Hausarzt­zentrierten Versorgung (HZV) belegten dies eindeutig. Von einer weiteren Stärkung der HZV profitierten also nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern auch die Krankenhäuser massiv.

Gassen betonte: „Wegen der postpandemisch veränderten Inanspruchnahme der Notfallversorgung brauchen wir für diesen Bereich eine echte Reform. Dazu zählt eine Konzentration der Notfallversorgung, eine Priorisie­rung nach Dringlichkeit durch eine strukturierte Ersteinschätzung genauso wie ein Mehr an Kooperation in Form einer verlässlichen Weiterleitung von ambulant versorgbaren Akutpatienten in die vertragsärztliche Versorgung.“ Und natürlich müsse die Finanzierung für Praxen und Krankenhäuser gleichermaßen stimmen.

fos

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