Drogen- und Suchtbericht: Bilanz einer Amtszeit

Berlin – Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), stellte heute vor der Presse in Berlin den Drogen- und Suchtbericht 2017 vor. Der Bericht liefere „unaufgeregte Sach- und Faktenpolitik und zeigt, was wir erreicht haben in dieser Legislaturperiode“, sagte Mortler, die ihre Arbeit in den letzten vier Jahren Revue passieren ließ. „Es sind gute Jahre gewesen, die Arbeit hat sich gelohnt“, betonte sie.
Mit Ausnahme des Tabakwerbeverbots habe sie alle selbstgesteckten Ziele erreicht, erklärte Mortler. Dazu zählt sie, dass heute nur noch halb so viele Jugendliche wie vor 15 Jahren regelmäßig Alkohol konsumieren. Auch der Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die noch nie geraucht haben, sei seit 2001 um fast das doppelte gestiegen. „Wir haben eine Trendwende geschaffen“, folgerte Mortler.
Gesellschaftlich größter Schaden durch legale Drogen
Nichtsdestotrotz richteten die legalen Drogen Alkohol und Tabak gesamtgesellschaftlich immer noch den größten Schaden an. Die Drogenbeauftragte nannte 74.000 Tote jährlich aufgrund von alkoholbedingten Erkrankungen sowie 121.000 Tote, die jedes Jahr dem Tabakkonsum zum Opfer fielen. Zwar sei der Alkoholkonsum rückläufig, dennoch gehöre Deutschland mit einem geschätzten Pro-Kopf-Konsum von 12,14 Litern pro Jahr im weltweiten Vergleich zu den Hochkonsumländern.
„Daran müssen wir etwas ändern und dazu brauchen wir eine breite gesellschaftliche Diskussion“, sagte Mortler. Sie selbst habe noch veranlasst, dass das Bundesgesundheitsministerium einen „Alkoholatlas“ herausgeben wird, der ähnlich dem seit einigen Jahren existenten „Tabakatlas“ Daten zu regionalen und geschlechtsspezifischen Unterschieden im Alkoholkonsum zusammenfassen und analysieren soll.
Zu den gesundheitspolitischen Errungenschaften hinsichtlich einer Reduzierung des Tabakkonsums zählt die Drogenbeauftragte das im Mai 2016 in Kraft getretene Tabakerzeugnisgesetz: Das Gesetz schreibt Bildwarnhinweise auf Zigaretten und Tabakpackungen vor und schränkt gesundheitsschädigende Inhaltsstoffe ein. Positiv zu bewerten sei auch das seit April 2016 geltende Verkaufsverbot für E-Zigaretten und E-Shishas an unter 18-Jährige, das durch Änderungen im Jugendschutzgesetz erreicht wurde.
Grünen-Politiker findet die drogenpolitische Bilanz „mager“
Der sucht- und drogenpolitische Sprecher der Grünen, Harald Terpe, bezeichnete die Bilanz der Drogenbeauftragten indes als „mager“. „Bei den legalen Drogen Alkohol und Tabak herrscht Stillstand. Gut gemeinte Appelle und das Vertrauen in Selbstverpflichtungen der Industrie reichen nicht aus, um riskantes Konsumverhalten zu reduzieren.“ Werbebeschränkungen für Tabak und Alkohol müssten endlich eingeführt und umgesetzt werden, forderte der Grüne in einer Pressemitteilung.
Bei der Bekämpfung des Konsums von illegalen Drogen sieht die Drogenbeauftragte noch großen Handlungsbedarf. „Der Markt ist inzwischen vollständig globalisiert und wir müssen auf die immer größer werdende Bandbreite an Drogen von Amphetaminen, Ecstasy und Cannabis über Crystal Meth und Kokain bis hin zu psychoaktiven Substanzen reagieren“, betonte Mortler. Den größten Zuwachs an Konsumenten gebe es bei Amphetaminen und Cannabis.
Life-Style-getriebene Cannabis-Debatte
„Der größte Teil der Konsumenten illegaler Drogen konsumiert Cannabis“, erklärte Mortler. Sowohl bei den 12- bis 17-jährigen Jugendlichen als auch bei den jungen Erwachsenen seien die Zahlen wieder so hoch wie 2004 und sie stiegen weiter an. „Keine andere Substanz führt insbesondere die Hochrisikogruppe Jugendliche in ärztliche Behandlung“, auch weil der THC-Gehalt inzwischen viermal so hoch sei wie noch vor 20 oder 30 Jahren.
„Es muss Schluss sein mit der Life-Style-getriebenen Cannabis-Debatte“, verteidigte die Drogenbeauftragte ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Freigabe von Cannabis zum Freizeitkonsum für Erwachsene, wie sie unter anderem die Grünen, die Linke, Teile der SPD und neuerdings auch die FDP fordern. Inzwischen sei die Cannabis-Lobby, „und damit meine ich auch Hedge-Fonds“, stärker als die Tabaklobby, erklärte Mortler.
Cannabis als Medizin in Ordnung
Bei schweren Erkrankungen wie chronischen Schmerzen oder Multipler Sklerose hingegen könne Cannabis als Medizin helfen, Symptome zu lindern. Das von ihr mitinitiierte Gesetz, das seit März die Verordnung von medizinischem Cannabis auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen ermöglicht, funktioniert ihrer Ansicht nach „gut“. „Seitdem werden 80 Prozent mehr Cannabis-Arzneimittel verordnet“, berichtete Mortler.
Der drogenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, Frank Tempel, hingegen bezeichnete das Gesetz als „Rohrkrepierer“. Denn: „Jeder zweite Patient, dem Cannabis durch einen Arzt verschrieben wird, bekommt keine Kostenerstattung. Die Anträge dafür sind viel zu bürokratisch. Die Preise für Cannabisblüten explodieren und in den Apotheken gibt es Lieferengpässe bis in den Oktober hinein“, kritisierte Tempel. Die Bundesregierung verschließe vor diesen Problemen die Augen.
Grüne und Linke fordern Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik
Insgesamt bewertet Tempel die Bilanz von Marlene Mortler als Drogenbeauftragte als „enttäuschend“. Seit ihrem Amtsantritt sei die Zahl der Toten durch illegale Drogen um 30 Prozent gestiegen, insbesondere in ihrem Heimatland Bayern. Es sei Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik: Hilfe statt Strafe für Drogenkonsumenten.
Auch der Grüne Harald Terpe ist der Ansicht, dass „die bestehende Prohibition nicht wirkt“. Gerade weil viele Substanzen nicht harmlos seien, brauche es eine effektive Regulierung mit Verbraucher- und Jugendschutz. „Das haben wir mit unserem ‚Cannabiskontrollgesetz’ vorgeschlagen“, betonte Terpe.
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