Düstere Coronalage

Berlin – Die Zahl der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 in Deutschland steigt von Tag zu Tag, immer mehr Menschen werden auf Intensivstationen behandelt. Nun hat der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, ein dramatisches Bild der Coronalage in Deutschland gezeichnet.
„Wir laufen momentan in eine ernste Notlage. Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern“, sagte Wieler gestern Abend bei einer Online-Diskussion mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU).
Die Anzahl der Coronaneuinfektionen stieg erneut stark und überschritt erstmals den Wert von 60.000. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages den Höchstwert von 65.371 Coronaneuinfektionen.
Vor exakt einer Woche waren erstmals mehr 50.000 Neuinfektionen pro Tag gezählt worden. Die Sieben-Tage Inzidenz gab das RKI mit 336,9 an – ebenfalls ein Höchststand. Zum Vergleich: Am Vortag hatte der Wert bei 319,5 gelegen, vor einer Woche bei 249,1 (Vormonat: 74,4).
RKI-Präsident Wieler warnte, die Zahlen gingen steil nach oben, sie seien höher als bekannt. „Die Untererfassung der wahren Zahlen verstärkt sich.“ Wieler sprach sich unter anderem dafür aus, auch Apotheker impfen zu lassen. „Wir sind in einer Notlage, und in einer Notlage muss man bestimmte Dinge großzügig gestalten.“
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Andreas Gassen warnte hingegen vor Panikmache. „Die Lage ist schwierig, aber für Panik besteht kein Anlass“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Krankenhäuser seien ebenso wie die Praxen seit Monaten stark belastet. „Es besteht aber derzeit wohl nicht die Gefahr, dass die Kliniken in ihrer Gesamtheit an ihre Leistungsgrenze stoßen.“
Die Belegungszahlen seien nach wie vor niedriger als zum Höhepunkt der dritten Coronawelle. „Es gibt insgesamt noch ausreichend Reserven“, meinte er. „Wenn die Krankenhäuser jetzt wieder planbare Operationen verschieben, dann ist das eine reine Vorsichtsmaßnahme, um mehr freie Betten bereit zu stellen.“
Die Äußerungen stießen auf Widerspruch bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). DKG-Gerald Gaß stellte klar, dass in einigen Bundesländern schon die Höchstwerte der intensivpflichtigen COVID-19-Patienten aus der zweiten und dritten Welle erreicht worden seien – und die Zahlen stiegen weiter. Die Situation spitze sich für immer mehr Krankenhäuser „dramatisch zu“.
„In einigen Bundesländern sind Kliniken bereits überlastet. Wie dramatisch die Situation ist, zeigen auch die Zahlen: In etwa 100 von rund 400 Land- und Stadtkreisen gibt es derzeit maximal noch ein freies Intensivbett für Erwachsene“, sagte Gaß.
Regionen mit einem freien Bettenanteil von weniger als zehn Prozent gelten als hoch kritisch. Das sind jetzt schon Berlin, Hessen und Bayern. Der Krankenhauskoordinator für Sachsen hatte erklärt, dass nur ein harter Lockdown von zwei Wochen Sachsen vor einer dramatischen Situation wie Weihnachten 2020 bewahren kann.
„Die Tatsache, dass heute in 100 von 400 Landkreisen maximal ein, und in 50 Landkreisen gar kein Intensivbett zur Verfügung steht, macht die Dramatik der Lage deutlich“, betonte Gaß. Wenn Gassen von unnötiger Panikmache spreche, zeige dieses, dass er „offensichtlich den Bezug zur realen Lage verloren hat“. „Wir empfehlen deshalb dringend eine Dienstreise nach Bayern, Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg zu den dort niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern.“
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