E-Zigaretten: Plädoyer für einen Richtungswechsel in der Präventionspolitik

Berlin – Bisher erkennen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Vertreter der Gesundheitspolitik E-Zigaretten nicht als Ausstiegsmittel aus dem Tabakkonsum an. In seinem Buch „Die E-Zigarette. Geschichte – Gebrauch – Kontroverse“ erklärt der Sozialwissenschaftler Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences, warum Forschung den Streit um die E-Zigarette nicht schlichten wird. Zusammen mit dem Gesundheitswissenschaftler und Journalisten Dietmar Jazbinsek stellte er auf einer Pressekonferenz in Berlin drei politische Maßnahmen vor, die die E-Zigarette als Entwöhnungsinstrument stärken sollen.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) sowie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) teilen die Auffassung, dass E-Zigaretten keine gesundheitlich unbedenklichen Produkte sind und die langfristigen gesundheitlichen Folgen erst in einigen Jahren zuverlässig beantwortet werden können. „Die Tatsache, dass E-Zigaretten eine gesündere Alternative zur konventionellen Tabakzigarette darstellen und im Sinne der Harm-Reduction Gesundheitsrisiken minimieren können, bleibt hier unbeachtet“, kritisiert Stöver in seinem Buch. Den Fokus auf die Gesundheitsgefahren können Stöver und Jazbinsek nicht nachvollziehen. Auf dem Informationsportal „rauchfrei“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) würden ebenfalls keinerlei Vorteile der E-Zigarette benannt. Dass sich der Umstieg von Tabak auf Dampf nicht lohne, sei definitiv die falsche Botschaft, betont Stöver.
Gateway-Hypothese bestätigt sich in neuer BMG-Studie nicht
Ein weiteres häufiges Gegenargument der Mediziner: Der elektronische Verdampfer könnte als Einstiegsdroge erst zum Tabakrauchen verführen. Diese „Gateway-Hypothese“ soll eine beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) publizierte Studie jetzt ansatzweise widerlegen. Mehr als 40 Schüler wurden in einem Interview befragt und mehr als 300 im Alter von 14 bis 24 Jahren haben über eine Online-Umfrage teilgenommen. Es zeigt sich, dass der Anteil der Jugendlichen, die zuerst elektronische Dampferzeugnisse und danach konventionelle Tabakprodukte konsumieren, sehr gering war. Abschließend lässt sich die Frage nach der Gateway-Hypothese aber noch nicht beantworten.
Auch eine Studie im Deutschen Ärzteblatt kam zu dem Schluss, dass keine Hinweise vorliegen, dass das Ausprobieren von E-Zigaretten unter Nichtrauchern mit einem regelmäßigen Konsum assoziiert ist.
Auffällig war zudem, dass Jugendliche E-Zigaretten im Vergleich zu konventionellen Zigaretten als weniger schädlich wahrnehmen. Auch wenn diese Einschätzung im Hinblick auf die aufgenommenen Schadstoffe nicht falsch sein dürfte, sollte daher in der Prävention auf die potenziellen gesundheitlichen Gefahren des Dampfens hingewiesen werden, heißt es in der Studie, die unter Leitung von Stöver durchgeführt wurde.
Vorschläge für einen politischen Richtungswechsel
Stöver und Jazbinsek fordern eine gesundheitspolitische Neuausrichtung, um den Stellenwert der E-Zigarette in der Rauchentwöhnung zu definieren. Das Public-Health-Potenzial der E-Zigarette komme nur dann zur Geltung, wenn der Umstieg vom Rauchen auf das Dampfen gesetzlich gefördert wird, sind beide überzeugt. Wie das konkret aussehen könnte, zeigen die folgenden Beispiele:
Sobald Zigaretten spürbar teurer werden, sinkt die Zahl der Raucher insbesondere in den einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen. Deshalb sollten zeitgleich mit der Einführung einer moderaten E-Zigaretten-Steuer die Tabaksteuern deutlich erhöht werden.
Es gibt nur dann einen Anreiz für Innovationen, die die Sicherheit und Akzeptanz der E-Zigarette erhöhen, wenn deren Hersteller die Konsumenten über Produktneuheiten informieren können. Deshalb sollte die Werbung für E-Zigaretten – unter Auflagen – erlaubt, die Werbung für Zigaretten dagegen generell verboten werden.
Die Zuständigkeit des Bundes für den Arbeitsschutz eröffnet die Möglichkeit, das Rauchen am Arbeitsplatz grundsätzlich zu verbieten. Die bis heute vorhandenen Raucherräume könnten dann in Dampferräume umgewandelt werden. Das sollte auch und insbesondere für die Raucherräume im Gastgewerbe gelten.
„Der einzige Bereich der Gesetzgebung, bei dem es sinnvoll ist, das Rauchen von Zigaretten und das Dampfen von E-Zigaretten in gleicher Weise zu regulieren, ist der Jugendschutz“, sagt der Journalist Jazbinsek. Ein entsprechendes Verkaufsverbot ist im April 2016 in Kraft getreten. Nicht mit einbezogen werden sollten Tabakerhitzer, wie sie Philip Morris unter dem Namen IQOS auf den Markt gebracht hätte. Das gesundheitsschädliche Potenzial sei sehr viel unklarer als bei den E-Zigaretten, begründet Jazbinsek.
Dem dargestellten Richtungswechsel in der Präventionspolitik kommt das Vorbild Großbritannien am nächsten. „Hier ist der Tabakkonsum stringenter und konsequenter reguliert als in Deutschland, zugleich setzen sich britische Gesundheitsorganisationen und Gesundheitspolitiker nachdrücklich für eine Nutzung der E-Zigarette im Sinne der Harm-Reduction-Strategie ein“, so der Gesundheitswissenschaftler.
Kritik an der Tabaklobby
„Auch die Großunternehmen der Tabakindustrie berufen sich offiziell auf das Prinzip der Schadensreduzierung (harm reduction), um zu begründen, warum sie neuerdings Milliardenbeträge in die Vermarktung von E-Zigaretten und anderen „Produkten mit reduziertem Risiko“ investieren“, sagt Jazbinsek, der als einer der besten Kenner der Tabaklobby in Deutschland gilt. Doch das sei ein Etikettenschwindel. „Tatsächlich verfolgen die Zigarettenkonzerne das Ziel, die neue Konkurrenz der E-Zigaretten-Hersteller aus dem Nikotinmarkt zu drängen.“
Wenn es der Tabakindustrie wirklich darum ginge, die Schäden des Tabakkonsums zu reduzieren, müsste sie ihre Lobbykampagnen gegen ein umfassendes Tabakwerbeverbot und andere sinnvolle Maßnahmen zum Gesundheitsschutz einstellen. Doch davon könne keine Rede sein. Wer die Chance nutzen will, die Zahl der tabakbedingten Erkrankungs- und Sterbefälle mithilfe der E-Zigarette zu senken, darf sich nicht darauf verlassen, dass die Tabakindustrie freiwillig auf ihr lukratives Geschäftsmodell verzichtet.
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