Kassen wollen Sprechstunden am Abend und samstags, Ärzte empört

Berlin – Arztpraxen sollten vermehrt auch am frühen Abend und samstags für Patienten da sein. Diese Erwartung hat der GKV-Spitzenverband formuliert – und sich damit den Zorn der Ärzteschaft auf sich gezogen.
„Krankheiten richten sich nicht nach den Lieblingsöffnungszeiten der niedergelassenen Ärzte“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Johann-Magnus von Stackelberg, heute. Die viele Arbeit außerhalb der traditionellen Kernzeiten dürfe nicht an wenigen Ärzten hängenbleiben, die etwa schon samstags da seien.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssten für patientenfreundlichere Sprechzeiten sorgen. Mittwoch und Freitag habe am Nachmittag der Großteil der Praxen geschlossen, abends und am Wochenende sowieso, sagte von Stackelberg. „Kein Wunder, dass immer mehr Menschen in die Notaufnahmen der Krankenhäuser gehen.“
Wie eine Umfrage im Auftrag des GKV-Spitzenverbands ergab, haben mittwochs zwischen 14 und 17 Uhr 20 Prozent der Praxen Sprechstunden, freitags unter 20 Prozent. Befragt wurden den Angaben zufolge 1.400 niedergelassene Hausärzte, Kinderärzte sowie Augenärzte, Orthopäden, Gynäkologen und HNO-Ärzte vom Institut Forsa.
Wenige Sprechzeiten am Abend
Sprechstunden nach 18 Uhr bieten demnach montags, dienstags und donnerstags mehr als die Hälfte der Praxen an – nach 19 Uhr sind es dann weniger (Montag neun Prozent, Dienstag zehn Prozent, Donnerstag zwölf Prozent). Dem guten Vorbild, dass rund jede zehnte Praxis zumindest von 19 bis 20 Uhr Sprechstunden anbiete, sollten viele Ärzte folgen, sagte von Stackelberg. Samstags bieten laut der Umfrage ein bis zwei Prozent der Praxen zwischen 8 und 13 Uhr Sprechstunden an.
Die Krankenkassen mahnten zudem, wenn Ärzte nur die Mindestzahl von derzeit 20 Sprechstunden pro Woche anbieten, dürften sie in dieser Zeit keine Privatpatienten behandeln und keine Privatleistungen verkaufen. „Für private Zusatzgeschäfte müssen zusätzliche Termine und Sprechstunden angeboten werden“, sagte von Stackelberg.
Damit es wirklich genug Sprechstunden gebe, müsse zudem stärker vorgegeben werden, was in diesem Rahmen möglich ist und was nicht. Manchmal gebe es nur auf dem Papier genug Ärzte – etwa wenn Augenärzte operieren und so für einfache Erkrankungen oder Routineuntersuchungen keine Zeit haben. In der Umfrage gaben 99 Prozent der Ärzte an, in den Sprechzeiten auch Privatpatienten zu behandeln.
KBV: Es gibt den Bereitschaftsdienst
Für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sind die Aussagen des GKV-Spitzenverbands „ein Schlag ins Gesicht“ der Vertragsärzte. „Die Niedergelassenen arbeiten 52 Wochenstunden im Schnitt und leisten häufig viel mehr Sprechstunden als sie müssten“, sagte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen. Vereinbart seien mit dem GKV-Spitzenverband mindestens 20 Wochenstunden. Zu den Zeiten, an denen die Praxen geschlossen seien, gebe es den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116117. „Es ist also Unsinn, zu behaupten, zu wenige Samstagssprechstunden seien der Grund dafür, dass Menschen in die Notaufnahmen gingen“, ärgert sich Gassen.
Er wies darauf hin, dass die Krankenkassen zudem seit Jahren eine adäquate Finanzierung verweigern. „Sie geben ein unendliches Leistungsversprechen ab und vergüten aber im Schnitt fast 15 Prozent der Leistungen nicht“, sagte der KBV-Chef. Er fordert, den Weg der Entbudgetierung zu beschreiten und dabei mit den Grundleistungen anzufangen. „Bei der ständigen Zechprellerei jetzt noch eine Serviceangebotserweiterung zu fordern, ist einfach nur dreist und frech“, so Gassen.
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, betonte, die Kassenfunktionäre sollten sich „dringend aus ihren Verwaltungsgebäuden heraus bemühen und einen Blick in die Praxen der niedergelassenen Ärzte werfen“. „Die Kollegen arbeiten am Limit und oftmals darüber hinaus. Das wissen unsere Patienten und das sollte auch ein Herr von Stackelberg wissen, wenn er sich denn wirklich für konstruktive Lösungen für die ambulante Versorgung interessieren würde“, sagte Montgomery.
Statt Polemik brauche man praxistaugliche Reformen. Wer Versorgungsengpässe vermeiden wolle, sollte sich für mehr ärztlichen Nachwuchs und attraktive Arbeitsbedingungen einsetzen. Dazu gehöre auch das Ende der Budgetierung von Gesundheitsleistungen, erklärte der BÄK-Präsident.
Der Hessische Ärztekammerpräsident stellte klar, dass niedergelassene Ärzte keine Angestellten der Krankenkassen sind. „Wenn die mit einem prallen Finanzpolster ausgestattete gesetzliche Krankenversicherung nun dennoch eine Ausweitung der Sprechstunden auf Abende und das Wochenende verlangt, verkennt sie bewusst, dass Ärztinnen und Ärzte einen freien Beruf ausüben“, sagte Edgar Pinkowski, Präsident der Landesärztekammer Hessen.
Auch der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, weist die polemischen Einlassungen von Stackelbergs entschieden zurück. Auch zu Zeiten, in denen Praxen geschlossen seien, sei die Versorgung der Patienten über Notfallpraxen oder organisierte Vertretungsmöglichkeiten jederzeit gesichert. Bei einer bestehenden Wochenarbeitszeit von 55 bis 60 Wochenstunden sei es nur in sehr begrenztem Umfang möglich, das bestehende Angebot weiter auszudehnen.
„Das Problem besteht nicht nur in vermeintlichen Engpässen an Mittwoch- oder Freitagnachmittagen – Zeiten in denen Ärzte über die oben beschriebenen umfangreichen Präsenzzeiten hinaus verpflichtende Fortbildungen wahrnehmen – sondern auch durch die Fehlinanspruchnahme zu üblichen Praxisöffnungszeiten“, so Reinhardt.
Für die Information der Versicherten sind die Kassen zuständig
Wenn Patienten in großem Umfang Klinikstrukturen für die akute Notfallversorgung nutzten, lieg das maßgeblich an nicht ausreichender Kenntnis über Ärzte im Bereitschaftsdienst oder der Vermutung, dass das Equipment der Krankenhäuser ein vermeintlich höheres Versorgungsniveau sichere.
An dieser Stelle sei es vielmehr originäre Aufgabe der Krankenkassen, ihre Versicherten diesbezüglich zu informieren, sagte Reinhardt. „Herr von Stackelberg könne darüber hinaus ja auch – gerne am Wochenende – nachdenken, ob wiederholtes Fehlverhalten und nicht effizienter Einsatz von Ressourcen durch Versicherte auch milde Sanktionsmöglichkeiten seitens der Krankenkasse nach sich ziehen könnte.“
Reinhardt bedauerte zugleich den Rückfall der Krankenkassenargumentation in alte Verhaltensmuster. Er forderte den GKV-Spitzenverband auf, die eigene Rolle zu hinterfragen und konstruktiv gemeinsam mit der Ärzteschaft Lösungswege aufzuzeigen, statt sich abgegriffener Verhaltensmuster und Schuldzuweisungen zu bedienen.
Als einen „Schlag ins Gesicht für alle Hausärztinnen und Hausärzte“, bezeichnete auch der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, Markus Beier, die Kassenäußerungen. Diese offenbarten, „dass Herr von Stackelberg entweder ahnungslos ist oder bewusst Fake-News verbreitet“. Tatsache sei, dass Patienten in Bayern auch außerhalb der normalen Praxisöffnungszeiten versorgt seien.
Allein in Bayern gebe es 110 Bereitschaftspraxen, die auch an den Wochenenden und Feiertagen geöffnet seien. Die Praxen seien für die allermeisten Menschen in weniger als einer halben Stunde erreichbar. Außerdem gebe es einen Fahrdienst der niedergelassenen Ärzte, um Patienten auch zuhause zu versorgen. Für lebensbedrohliche Notfälle müssten sich Patienten an Notfallaufnahmen und Rettungsdienst wenden.
„Was würde die Ärzteschaft nur machen, wenn sie keine guten Ratschläge aus den gut klimatisierten und mit bequemen Sitzmöbeln ausgestatteten Büros des GKV-Spitzenverbandes in Berlin bekommen würden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Norbert Metke. Es sei immer wieder „erhellend“ zu sehen, wie groß Verständnis und Expertise über die Abläufe in Arztpraxen bei den Spitzen der Krankenkassen in Berlin seien.
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