Ausland

Ehemaliger Gesundheitsminister und Herzchirurg gewinnt Wahl im Iran

  • Montag, 8. Juli 2024
Irans gewählter Präsident Massud Peseschkian/picture alliance, dpa, AP, Vahid Salemi
Irans gewählter Präsident Massud Peseschkian/picture alliance, dpa, AP, Vahid Salemi

Teheran – Der Iran steht nach dem Wahlsieg des vergleichs­weise moderaten Präsidentschaftskandidaten Mas­sud Peseschkian vor einem möglichen Politikwechsel. Der ehemalige Gesundheitsminister und Herzchirurg setzte sich mit 53,7 Prozent der Stimmen gegen seinen ultrakonservativen Herausforderer Said Dschalili durch, wie der Sprecher der Wahlbehörde in Teheran verkündete.

Angesichts der komplexen politischen Gemengelage und mächtigen Interessengruppen im Iran ist jedoch unklar, inwiefern vom Stichwahlsieger Peseschkian tatsächlich ein Kurswechsel zu erwarten ist. Das Staats­fernsehen zeigte Bilder von Anhängern, die den Wahlsieg des 69-Jährigen in den frühen Morgenstunden mit Hupkonzerten feierten. In der Hauptstadt Teheran waren die Reaktionen zunächst jedoch verhalten.

Der Politiker gehört zum Lager der Reformbewegung. Ihre Anhänger glauben an den Status quo der Islami­schen Republik und wollen das System nach eigenen Angaben von innen reformieren. Dschalili hingegen ge­hört den sogenannten Fundamentalisten an, dem zweiten großen Politikbündnis, die oft auch als Hardliner bezeichnet werden.

Den Glauben an große innenpolitische Veränderungen haben die meisten Iraner und vor allem junge Menschen jedoch inzwischen verloren. Reformen des politischen Systems seien nicht möglich, heißt es oft resigniert. „Wir werden allen die Hand der Freundschaft reichen“, sagte Peseschkian nach seinem Wahlsieg. „Lasst uns alle am Aufstieg des Landes arbeiten.“ Auch politische Konkurrenten seien Brüder.

Der unterlegene Dschalili gratulierte seinem Kontrahenten und sagte ihm seine Unterstüt­zung zu. Auf der Plattform X schrieb er, er werde Peseschkians „Regierung helfen, um die Probleme zu über­brücken und den Fortschritt des Landes voranzutreiben“. Dass die verfeindeten Lager tatsächlich kooperieren, gilt allerdings als unwahrscheinlich.

Die vorgezogene Wahl folgte auf den Tod von Amtsinhaber Ebrahim Raisi, der im Mai bei einem Hubschrau­berabsturz ums Leben gekommen war. Seine knapp dreijährige Regierungszeit war von großer politischer Repression, Protestwellen und einer Verschlechterung der Wirtschafts­lage geprägt.

Peseschkian stammt aus dem Nordwesten des Landes. Während des Ersten Golfkriegs mit dem Nachbarn Irak absolvierte er ein Medizinstudium und diente zwischen­zeitlich auch an der Front. Nach dem Krieg führte er seine Arbeit als Arzt fort und machte in der Millionenmetropole Tabris als Herzchirurg Karriere.

Im Wahlkampf warb der eher unscheinbare Politiker für ein neues Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Volk, denn die meisten Iraner sind nach gescheiterten Reform­versuchen maßlos enttäuscht von der Poli­tik. Wie viele andere Politiker des Reformlagers auch forderte Peseschkian eine Verbesserung der Beziehun­gen zum Westen, auch um das Land zu öffnen und die angeschla­gene Wirtschaft anzukurbeln.

Der Witwer, der Anfang der 1990er-Jahre seine Ehefrau und einen seiner Söhne bei einem Verkehrsunfall verlor, erschien auf seinen Wahlkampfterminen auch mit Tochter und Enkelkind. Mit seinem Bemühen um Nahbarkeit und dem Wahlkampfslogan „für Iran“ wollte Peseschkian deutlich machen, dass er sich für das Volk einsetze. Inwieweit er dieses Versprechen einlösen will und kann, ist unklar.

Peseschkian bekundete seine uneingeschränkte Loyalität zu Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei, der in allen strategischen Belangen das letzte Wort hat und der mächtigste Mann in der Islamischen Republik ist.

Während der zweiten Präsidentschaft Mohammed Chatamis (2001-2005) sammelte Peseschkian bereits Re­gierungserfahrung als Gesundheitsminister. Trotz seiner gemäßigten Rhetorik stellte er sich hinter die mäch­tigen Revolutionsgarden, Irans Elitestreitmacht, und lobte den jüngsten Angriff mit Drohnen und Raketen auf den Erzfeind Israel im April. In den TV-Debatten bezeichnete er sich selbst als wertkonservativen Politiker, der jedoch Reformen für notwendig hält.

„Selbst unter Anhängern des Regimes gibt es trotzdem bedeutende Massen, die sich für einen moderateren Umgang, für vorsichtige Reformen aussprechen“, sagt der Politikwissenschaftler Tareq Sydiq von der Marbur­ger Universität.

Er sieht in Peseschkians Wahlsieg einen symbolischen Erfolg für moderate und reformge­sinnte Kräfte inner­halb des Irans. „Das wird sicherlich auch innerhalb des Machtsystems zumindest zur Kenntnis genommen werden“, sagt der Iran-Experte.

Es sei auch unklar, wie Peseschkian in der Praxis seine Kritik an der Kopftuchpolitik und den scharfen Kon­trol­len der Moralpolizei umsetzen will. „Ob sich die verschiedenen Machtblöcke von seinen Ideen beeindrucken lassen, ist offen.“

Insgesamt bleibe aber abzuwarten, ob die eigentlich totgesagte Bewegung der Reformpoli­tiker wieder an die Macht kommt. Das Parlament ist aktuell mehrheitlich von radikalen Hardlinern dominiert.

Irans politisches System vereint seit der Revolution von 1979 republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht: Der sogenannte Wächterrat, ein mächtiges islamisches Kontrollgremium, prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung. Von 80 Präsident­schafts­bewerbern ließ der Wächterrat diesmal nur sechs als Kandidaten zu.

Anders als in vielen anderen Ländern ist der Präsident im Iran nicht das Staatsoberhaupt. Die eigentliche Macht konzentriert sich auf den Religionsführer, seit 1989 ist das Chamenei. Auch die Revolutionsgarden haben ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss in den vergangenen Jahrzehnten ausgebaut.

afp/dpa

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