EU-Empfehlung: Antibiotikaproduktion erhöhen und keine Arzneimittel horten

Brüssel – Die EU-Kommission hat gemeinsam mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und den Spitzen der nationalen Behörden für Arzneimittel (europäische Pendants zum Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM) gestern Empfehlungen für den Gebrauch von Antibiotika für den kommenden Herbst und Winter vorgelegt.
Ziel sei, Lieferengpässe bei wichtigen Antibiotika zu vermeiden, um Atemwegserkrankungen in der anstehenden Wintersaison entsprechend behandeln zu können.
Essenzieller Schritt, um ausreichende Medikamentenvorräte vorzuhalten, sei die Produktion wichtiger Antibiotika zu erhöhen, schreibt die EU-Kommission in einer Mitteilung. Wichtig sei, frühzeitige Maßnahmen zu ergreifen, die den Herstellern ausreichend Zeit einräumen sollen, um entsprechende Produktionskapazitäten bereitzustellen.
Die europäischen Behörden wollen zudem gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten den Bedarf und den Vorrat in Zusammenarbeit mit den Pharmafirmen überwachen. Zudem sind alle Akteure im Gesundheitswesen aufgefordert, Medikamente in normalen Mengen zu bestellen ohne größere Vorräte anzulegen. Die Bevorratung von Medikamenten könne die Versorgung weiter belasten und Engpässe verursachen oder verschlimmern, so die EU-Kommission.
Außerdem ruft die EU-Kommission zu einer umsichtigen Verschreibung von Antibiotika auf, um deren Wirkung aufrecht zu erhalten und Antibiotikaresistenzen zu vermeiden. Ärztinnen und Ärzte spielten in dieser Frage eine Schlüsselrolle und sollten Antibiotika lediglich bei der Behandlung von bakteriellen Infektionen verschreiben. Bei viralen Infektionen wie etwa einer Erkältung seien diese Medikamente nicht wirksam. In dieser Hinsicht müsse auch die Bevölkerung besser aufgeklärt werden, fordert die EU-Kommission.
Bedarf wird voraussichtlich der produzierten Menge entsprechen
Allerdings werde der Vorrat an wichtigen oralen Antibiotika der Erst- und Zweitlinientherapie für die Behandlung von Atemwegserkrankungen den voraussichtlichen Bedarf decken, sollte dieser den durchschnittlichen Werten der vergangenen Jahre entsprechen, schätzen die EU-Behörden. Die EU will zudem daran arbeiten, dass mehr intravenös zu verabreichende Antibiotika hergestellt werden.
Am 20. Juli wird eine Runde aus Vertretern der europäischen Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion (HERA) sowie Vertreter der europäischen Gesundheitsministerien, der EU-Kommission und der Industrie weitere mögliche Schritte gegen Lieferengpässe beraten.
Die Empfehlungen wurden von der Lenkungsgruppe für Engpässe und die Sicherheit von Arzneimitteln (MSSG) entwickelt, die derzeit auch an einer Liste mit kritischen Arzneimitteln arbeitet. Diese Liste soll den Mitgliedstaaten helfen, einen besseren Überblick zu verschaffen, damit entsprechende Medikamente immer zur Verfügung stehen. Ein erster Entwurf dieser Liste mit kritischen Arzneimitteln soll Ende des Jahres veröffentlicht werden.
Eine ähnliche Liste mit wichtigen Medikamenten, die in jedem Land der Welt verfügbar sein sollten, entwickelt und aktualisiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits seit 1977. 2021 gab es die letzte Überarbeitung der 22. „Essential Medicines List“ (EML) und der achten „Essential Medicines List for Children“ (EMLc).
Deutschland setzt auf Bevorratung
Deutschland hat zuletzt mit dem Lieferengpassbekämpfungsgesetz (ALBVVG) einige Maßnahmen gegen Lieferengpässe bei Medikamenten ergriffen. Beispielsweise soll die Anbietervielfalt bei der Antibiotikaproduktion erhöht werden. Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in Europa sollen zusätzlich bei der Ausschreibung von Kassenverträgen berücksichtigt werden.
Zudem hatte der Gesetzgeber mit dem Gesetz die Pflicht zur Vorratshaltung von Antibiotika in Krankenhäusern erhöht. Statt einem durchschnittlichen Bedarf von vier Wochen sollen krankenhausversorgende Apotheken Antibiotika nun für sechs Wochen vorhalten.
Diese Erhöhung der Bevorratung gilt auch für parenteral anzuwendende Arzneimittel zur intensivmedizinischen Versorgung. Für pharmazeutische Unternehmen wird für rabattierte Arzneimittel künftig eine sechsmonatige Lagerhaltung vorgeschrieben.
Dies solle kurzfristigen Lieferengpässen vorbeugen, gesteigerte akute Mehrbedarfe ausgleichen und eine bedarfsgerechte Versorgung sicherstellen, heißt es vom Bundesgesundheitsministerium (BMG). Das Gesetz stößt allerdings auf viel Kritik und werde die weiter zunehmenden Lieferengpässe nur geringfügig bekämpfen, betonten insbesondere Pharmaunternehmen.
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