Europäische Gesundheitssysteme schlecht an Klimawandel angepasst

Heidelberg – Die europäischen Gesundheitssysteme sind nach wie vor schlecht an die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels angepasst. Das ist eine der Kernbotschaften des Lancet Countdown Europe 2024, der heute in Heidelberg vorgestellt wurde (2024; DOI: 10.1016/S2468-2667(24)00055-0).
Dies spiegelt sich demnach unter anderem in der mangelnden Umsetzung nationaler Anpassungspläne, in der fehlenden Integration des Gesundheitssektors mit anderen gesundheitsbestimmenden Sektoren für die Klimaanpassung und wenigen auf nationaler Ebene durchgeführten Vulnerabilitätsbewertungen wider.
Der Lancet Countdown beschreibt seit dem Jahr 2015 in jährlichen Berichten den Prozess, in dem sich die Gesundheitssysteme an den Klimawandel anpassen. In diesem Jahr wurde der zweite Report für Europa vorgestellt.
Wie Joacim Rocklöv von der Universität Heidelberg, einer der Autoren des Reports, heute erklärte, wurde der Sachstand anhand von 42 Indikatoren analysiert: unter anderem anhand der negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit, der verspäteten Klimamaßnahmen europäischer Länder und der verpassten Gelegenheiten zum Schutz oder zur Verbesserung der Gesundheit durch gesundheitsfördernde Klimamaßnahmen.
Im Vergleich zum vorigen Bericht kamen dabei neun Indikatoren neu dazu: unter anderem Leishmaniose, Zecken, Ernährungssicherheit und die Emissionen der Gesundheitssektoren.
Mehr hitzebedingte Todesfälle
Eines der wichtigsten Themen des Reports ist die Gefahr durch Hitzewellen für die menschliche Gesundheit. Dabei ist Europa von Hitze besonders betroffen. „Wir sehen eine doppelt so hohe Erwärmung in Europa im Vergleich zum Rest der Welt“, erklärte Rocklöv. Insofern gebe es ein steigendes Risiko für Europäer, einer großen Hitze ausgesetzt zu sein.
„Schätzungen zufolge hat die Zahl hitzebedingter Todesfälle in den meisten europäischen Ländern zugenommen“, heißt es in dem Report. „Im Zeitraum von 2013 bis 2022 stiegen die Todesfälle im Vergleich zum Zeitraum von 2003 bis 2012 dabei im Schnitt um 17,2 Todesfälle pro 100.000 Einwohner.“
Die Risikozeiten für körperliche Aktivitäten – aufgrund des Risikos von Hitzestress – hätten sich in den Jahren 1990 bis 2022 sowohl für moderate als auch für anstrengende Aktivitäten über die heißesten Tagesstunden hinaus ausgedehnt. Folglich führe dies dazu, dass Menschen ihre körperlichen Aktivitäten insgesamt reduzierten und damit ihr Risiko für nicht übertragbare Krankheiten erhöhten.
„Wir sind auf einen Hitzedom nicht vorbereitet“
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (Klug), Martin Herrmann, kritisierte, dass Deutschland nicht gut auf Hitzewellen vorbereitet ist. „Wir sind auf der Handlungsebene nicht auf der Höhe der Herausforderung“, sagte Herrmann.
„Wir denken, wir könnten uns nicht zumuten, die Gefahren ehrlich anzuschauen, die auf uns zukommen. Wir haben aber die Verantwortung, uns die Gefahren ernsthaft bewusst zu machen und wie erwachsene Menschen darauf zu reagieren.“
Er kritisierte, dass es trotz des Wissens um den voranschreitenden Klimawandel noch viel zu wenige Hitzeaktionspläne in Deutschland gebe. „Wir sind auf einen Katastrophenfall im Bereich Hitze wie einen Hitzedom über Deutschland nicht vorbereitet“, sagte Herrmann.
Maßnahmen gegen den Klimawandel verstärken
„Um die Erderwärmung auf weniger als 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und weitere gesundheitsschädliche Folgen abzuwenden, müssen die Regierungen in Europa ihre Maßnahmen verstärken“, heißt es in dem Bericht.
„Während jedoch das Engagement der Wissenschaft und des Unternehmenssektors im Jahr 2022 weiter zugenommen hat, war das Interesse der Medien, der Politik sowie von Einzelpersonen an den Zusammenhängen zwischen Klimawandel und Gesundheit gering.“
Wenn keine entschlossenen Maßnahmen eingeleitet würden, bestehe die Gefahr, dass sich die bereits eingetretenen Auswirkungen des Klimawandels noch weiter verschärften, heißt es weiter: „Es werden Chancen verpasst, kurzfristig beträchtliche gesundheitliche Mehrgewinne zu erzielen, zum Beispiel eine geringere vorzeitige Sterblichkeit durch eine Reduzierung der Feinstaubbelastung in der Luft oder eine geringere Erkrankungs- und Sterblichkeitsrate durch die Umstellung auf eine gesunde, pflanzenbasierte Ernährung, die weniger verarbeitete Produkte enthält.“
Um die Empfehlungen des neuesten Berichts des Weltklimarats zu erfüllen und bis 2040 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, müssten die Emissionen der europäischen Energiesysteme etwa dreimal so schnell sinken wie heute.
Gesundheitssektoren haben hohen CO2-Ausstoß
Die Autoren des Reports weisen auch darauf hin, dass die Gesundheitssysteme einen Beitrag zu den globalen Treibhausgasemissionen leisten.
„Schätzungen zufolge trägt der globale Gesundheitssektor im Jahr 2020 zu etwa 4,6 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen bei. Die größten Gesundheitsemissionen stehen im Zusammenhang mit der Lieferkette, einschließlich Herstellung, Transport, Verwendung und Entsorgung medizinischer Produkte sowie Energie. Im Einklang mit der Pflicht, keinen Schaden anzurichten, sollten Gesundheitseinrichtungen den Weg zur Dekarbonisierung weisen.“
Beispielsweise habe sich der britische National Health Service (NHS) im Jahr 2020 als erstes nationales Gesundheitssystem zu einem Netto-Null-Ausstoß von CO2-Emissionen verpflichtet.
Im Jahr 2020 trug der Gesundheitssektor der europäischen WHO-Region schätzungsweise etwa 330 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zu den Treibhausgasemissionen bei. Obwohl mehrere europäische Länder Maßnahmen zur Reduzierung ihrer Gesundheitsemissionen ergriffen, kam es im Vergleich zu 2010 zu einem Anstieg von drei Prozent pro Kopf.
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