Ruf nach politischen Vorgaben beim Klimaschutz

Berlin – Die Akteure des Gesundheitswesens wünschen sich auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit Unterstützung durch die Politik. Das wurde bei dem Handelsblatt-Webinar „Alarmstufe Grün: Klimakrise und Gesundheitssystem – Was müssen wir tun?“ deutlich.
„Die deutschen Krankenhäuser sind im Aufbruch. Beim Thema Klimaschutz ist derzeit einiges in Bewegung“, sagte Debora Janson vom Deutschen Krankenhausinstitut (DKI). So habe eine aktuelle Umfrage des DKI unter 386 Krankenhäusern ergeben, dass 49 Prozent das Thema Nachhaltigkeit in ihrer Unternehmensstrategie berücksichtigt hätten. Weitere 36 Prozent hätten konkret geplant, dies zu tun.
Zudem haben dem DKI zufolge 52 Prozent der Krankenhäuser das Aufgabenfeld Nachhaltigkeit auf Leitungsebene verankert. Weitere 28 Prozent wollen es in Kürze machen. Auffällig sei, so Janson, dass große Krankenhäuser weiter seien als kleine. Bei den Krankenhäusern mit mehr als 599 Betten hätten 63 Prozent das Thema auf Leitungsebene verankert und weitere 34 Prozent planten konkret, dies zu tun.
„Als größte Hindernisse im Bereich Nachhaltigkeit nannten die Krankenhäuser eine fehlende Finanzierung, geringe personelle Kapazitäten, aber auch fehlende Vorgaben durch eine eindeutige Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategie der Politik“, erklärte Janson.
Einheitliche Standards beim Klimaschutz
Auch Benjamin Azadi, Manager Health Policy bei dem Pharmaunternehmen Chiesi, wünschte sich mehr Vorgaben durch die Politik. „Sinnvoll wären einheitliche Standards beim Klimaschutz, zum Beispiel beim Messen der unternehmenseigenen Treibhausgasemissionen“, sagte Azadi.
Auch ohne Vorgaben könnten die Unternehmen jedoch einiges tun. Als erstes könnten sie für Transparenz im Hinblick auf die eigenen Emissionen von Treibhausgasen (THG) sorgen. Chiesi, zum Beispiel, nutze dafür unter anderem Zertifizierungen von Ecovadis, mit denen sowohl die Nachhaltigkeit des Unternehmens als auch die Nachhaltigkeit in den Lieferketten zertifiziert wird.
Zudem könnten die pharmazeutischen Unternehmen Nachhaltigkeitsbeauftragte benennen und in innovative Verpackungen investieren oder in klimafreundlichere Produkte. „Chiesi investiert zum Beispiel 350 Millionen Euro in die Entwicklung einer neuen Dosieraerosolgeneration mit einem bis zu 90 Prozent reduzierten THG-Fußabdruck“, sagte Azadi.
Dosieraerosole nutzen derzeit fluorierte Gase, die zu den Treibhausgasen zählen. Zudem könnten die Unternehmen ihren Mitarbeitenden ein nachhaltiges Mobilitätsangebot machen, innerdeutsche Flüge verbieten und Photovoltaikanlagen installieren, so Azadi.
„Der Aufbruch muss von allen kommen“
„Bei der Nachhaltigkeit geht es um Zukunftsfähigkeit“, betonte Janson vom DKI. Dies sei noch nicht allen Akteuren im Gesundheitswesen bewusst. Das Thema sei sehr komplex, doch auch im Krankenhaus gebe es viele Maßnahmen, die leicht umgesetzt werden könnten. „Hier ist das Potenzial noch nicht ausgeschöpft“, betonte Janson. Dazu zählten zum Beispiel das Ausstatten der Räume mit LED-Lampen oder der Versuch, das Mitarbeiterverhalten nachhaltiger zu machen. Da könne jedes Krankenhaus direkt anfangen.
Der 125. Deutsche Ärztetag hat im Jahr 2021 an alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen appelliert, die notwendigen Maßnahmen in Angriff zu nehmen, um bis zum Jahr 2030 eine Klimaneutralität für das deutsche Gesundheitswesen zu erreichen. Wie kann das gelingen? „Die Krankenhäuser dürfen damit nicht auf die Politik warten.“
Die Politik dürfe das Problem aber auch nicht an den einzelnen delegieren. „Es wäre mein Wunsch, auch als Gesellschaft weniger auf den anderen zu zeigen, sondern selbst zu machen, was man selber machen kann“, so Janson. „Sonst werden wir der Sache nicht Herr werden.“
Viele haben die Dringlichkeit verstanden
Ähnlich äußerte sich der Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), Christian Schulz: „Viele haben die Dringlichkeit des Themas verstanden, aber noch nicht alle. Es wäre einfacher, zu Ergebnissen zu kommen, wenn alle die Dringlichkeit verstanden hätten.“
Schulz betonte die Gefahr, die der Klimawandel für die menschliche Gesundheit darstellt. „Es geht darum zu begreifen, wie abhängig die menschliche Gesundheit von der Gesundheit unseres Planeten ist.“ Schätzungen gingen davon aus, dass schon heute 25 Prozent aller vorzeitigen Todesfälle weltweit durch das Überschreiten der planetaren Grenzen verursacht würden.
Unter planetaren Grenzen werden derzeit neun Belastungsgrenzen der Erde verstanden, deren Überschreiten die Stabilität des Ökosystems der Erde gefährdet. Sechs der neun Grenzen gelten heute als überschritten, unter anderem der Klimawandel, die Änderung der Landnutzung und die Unversehrtheit der Biosphäre.
„Wir haben den Bereich des sicheren Handelns verlassen“
„Wir haben den Bereich des sicheren Handelns verlassen“, sagte Schulz. „Von den Folgen des Klimawandels werden Milliarden Menschen weltweit betroffen sein.“ Auch Schulz meinte, dass sich der deutsche Gesundheitssektor beim Klimaschutz derzeit im Aufbruch befinde.
Dabei gebe es bei den einzelnen Akteuren noch eine unterschiedliche Ernsthaftigkeit beim Umgang mit dem Thema. „Wenn man durch den Klimawandel emotional berührt ist, weil man spürt, dass es um alles geht, dann wird sich daraus eine angemessene Ambitioniertheit ableiten“, sagte Schulz.
Das heiße aber noch nicht, dass man sofort in die Umsetzung gehen könne. Denn manches sei davon abhängig, welche finanziellen oder personellen Ressourcen einem zur Verfügung stehen und welche Position man in seinem Unternehmen innehabe. Dennoch könne es auch innerhalb des Wirtschaftlichkeitsgebot gelingen, beim Klimaschutz weit zu kommen.
„Klar ist“, so Schulz, „dass man die notwendigen Maßnahmen auch aus wirtschaftlicher Sicht schnell umsetzen sollte. Denn die Umsetzung wird bei weiter voranschreitendem Klimawandel immer teurer wird.“
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: