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Experten fordern Kooperationen von Ärzten und Rettungsdienst in der Notfallversorgung

  • Donnerstag, 17. Januar 2019
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Berlin – Eine bessere Verzahnung von ärztlichem Bereitschaftsdienst und dem Rettungsdienst kann die Notfallversorgung verbessern. Darüber einig waren sich gestern Vertreter von Ärzteschaft und Rettungsdienst auf der „Kooperationstagung Rettungsleitstellen“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Berlin.

Beide Seiten betonten zudem, dass die Notfallversorgung in Deutschland reformiert werden müsse. Die Inanspruchnahme durch die Bevölkerung steige seit Jahren an, wie der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV, Stephan Hofmeister, erklärte. Die Zahl der ernsthaft erkrankten Notfallpatienten nehme hingegen nicht zu. Zugleich werde sowohl die Ressource Arzt als auch die des erfahrenen Dispatchers in der Rettungsleitstelle oder des Notfallsanitäters immer knapper.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Ende Dezember 2018 Eckpunkte für eine Reform der Notfallversorgung vorgelegt, die zu großen Teilen auf Vorschlägen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) beruhen.

Darin ist die Zusammenführung der Nummer des Rettungsdiensts, 112, und der Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdiensts, 116117, vorgesehen sowie eine erste Triage am Telefon. Zudem sollen sogenannte Integrierte Notfallzentren (INZ) in von den Bundesländern benannten Krankenhäusern eingerichtet werden, die von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und den Krankenhäusern gemeinsam betrieben werden und an denen der Notfallpatient an die richtige Versorgungsebene verwiesen wird.

Telefonberatung stellt viele Anrufer zufrieden

Hofmeister betonte, dass es nicht möglich sei, an jedem Krankenhaus ein INZ aufzu­bauen. Denn dafür gebe es nicht genügend niedergelassene Ärzte. Er befürwortete jedoch den Ausbau der telefonischen Erreichbarkeit für die Patienten. Studien hätten gezeigt, dass eine telefonische Beratung bis zu 20 Prozent der Anrufenden zufrieden­stellend versorge, erklärte er. Es gebe also ein erhebliches Potenzial an Menschen, denen geholfen werden könne, ohne dass sie sich auf den Weg in eine Notaufnahme oder eine Bereitschaftsdienstpraxis machen müssten.

Hofmeister kündigte an, die KBV werde die Nummer des ärztlichen Bereitschafts­dienstes in diesem Jahr mithilfe einer Werbekampagne innerhalb der Bevölkerung noch bekannter machen. Ziel der KBV sei es, dass die Nummer an 24 Stunden am Tag und an sieben Tagen in der Woche erreichbar sei. Dafür bedürfe es aber noch einer Gesetzes­änderung, erklärte er. Zudem arbeite die KBV zurzeit daran, in Kürze ein einheitliches Ersteinschätzungsverfahren am Telefon anzubieten.

Ersteinschätzung innerhalb von drei Minuten

Der Geschäftsführer des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung (Zi), Dominik Graf von Stillfried, erklärte, dass das Zi zusammen mit der HCQS GmbH zur Jahresmitte die Erstfassung der Software SmED (Strukturiertes medizinisches Ersteinschätzungs­verfahren für Deutschland) einsatzfähig sei, die eine standardisierte Ersteinschätzung am Telefon oder im INZ ermögliche. In der HCQS GmbH sind das AQUA-Institut und die Schweizer Firma in4medicine zusammengeschlossen, die in der Schweiz die Software SMASS (Swiss Medical Assessment System) entwickelt hat, an der sich SmED orientiert.

„Wir wollen die Software als Medizinprodukt zulassen, sie über Lizenzvereinbarungen zur Verfügung stellen und die Anwender schulen“, sagte von Stillfried. „Am Ende soll eine Software stehen, die zur Unterstützung von Entscheidungen durch Gesundheits­fachberufe eine Ersteinschätzung am Telefon oder am Notfalltresen mit dem Ziel erlaubt, die Patienten an die richtige Versorgungsebene zu verweisen.“ Angestrebt sei, eine Ersteinschätzung innerhalb von drei Minuten zu erhalten. 

Kooperation von KVen und Leitstellen

Durch die Zusammenlegung der beiden Rufnummern sollen künftig auch die KVen und der Rettungsdienst besser kooperieren. In vielen Bundesländern arbeiten die beiden Bereiche bereits heute zusammen, zum Beispiel in Brandenburg. Unter der Nummer 116117 erfolgt eine Ersteinschätzung der Notfallsituation. Stellt sich dabei heraus, dass der Patient ein Fall für den Rettungsdienst ist, wird er direkt an die zuständige Leitstelle weitergeleitet, die den Fall dann auch nicht noch einmal aufnehmen muss.

„In Brandenburg haben wir fünf identische Leitstellen“, erklärte Ingolf Zellmann von der Regionalleitstelle Lausitz. „Wir sind alle voll vernetzt und arbeiten mit denselben Stammdaten.“

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Brandenburg, Andreas Schwark, erklärte, dass die Zahl der Anrufe kontinuierlich zunehme. Derzeit seien es etwa 150.000 pro Jahr. Eine Evaluation habe ergeben, dass 88 Prozent dieser Anrufe auch wirklich in den Zuständigkeitsbereich der KV fielen. Finanziert werde das Projekt aus Mitteln des Strukturfonds, sagte Zellmann. Dabei werde der Rettungsdienst über Pauschalen finanziert, sodass es keine Anreize gebe, möglichst häufig Rettungseinsätze zu fahren.

Marion Haubitz, Direktorin der Medizinischen Klinik III (Nephrologie) am Klinikum Fulda und SVR-Mitglied, befürwortete eine niedrige Zahl von Leitstellen im Land. Zudem müssten die Leitstellen so groß sein, dass auch ein Arzt anwesend sei, um eine medizinische Einschätzung der Fälle geben zu können.

Rettungsdienst ist vielschichtig

In den Eckpunkten aus dem Bundesgesundheitsministerium ist auch vorgesehen, dass der Rettungsdienst Teil des Sozialgesetzbuches V wird. Wolfgang Kast vom Deutschen Roten Kreuz gab dabei zu bedenken, dass der Rettungsdienst nicht auf die Bereit­stellung von Fahrzeugen für den Transport von Notfallpatienten reduziert werden dürfe. Denn der Rettungsdienst habe auch Aufgaben im Bereich der Gefahrenabwehr, der Autobahnrettung oder der Hilfe bei Großschadensfällen. „Wenn es darum gehen soll, den Rettungsdienst ins SGB V aufzunehmen, frage ich mich: welchen Teil des Rettungsdienstes?“, sagte Kark.

Erwartungshaltung der Bevölkerung ist hoch

Auf der Tagung wurde auch über die Hintergründe der steigenden Patientenzahlen in Notaufnahmen diskutiert. Als Hauptgrund wurde die gestiegene Erwartungshaltung der Bevölkerung genannt. „Die Patienten fordern die Versorgung“, sagte Haubitz. „Sie wollen nicht lange auf ihre Behandlung warten – selbst, wenn aus medizinischer Sicht gar keine Notfallsituation vorliegt.“ Viele Patienten glaubten zudem, sie bekämen eine schnellere und umfassendere Diagnostik im Krankenhaus.

Von der Reform erhofft sie sich, dass die Patienten, die heute in der Notaufnahme zum Beispiel eine Kernspintomografie fordern, die allerdings aus medizinischer Sicht gar kein Notfall sind, künftig in den INZ keine Kernspintomografie mehr erhalten, sondern an eine Vertragsarztpraxis verwiesen werden.

Wenn der Patient lerne, dass er im INZ zwar nach mehrstündiger Wartezeit einen Arzt sehe, aber keine Kernspin­tomografie erhalte, werde er künftig gleich zum nieder­gelassenen Orthopäden gehen, glaubt Haubitz. Viele Patienten kämen heute allerdings auch in die Notaufnahme, weil ihr Hausarzt sie dorthin geschickt habe, gab sie zu bedenken. Die Problematik im Bereich der Notfallversorgung sei komplex.

SVR empfiehlt keine Notfallgebühr

Als Lösung für die steigende Inanspruchnahme der Notfallversorgung wurde eine bessere Patientensteuerung diskutiert. Es gebe jedoch eine „Unlust“ in der Politik, sich dieses Themas anzunehmen, sagte Hofmeister: „Dazu fehlt der Mut. Darin müsste aber der eigentliche Ansatz liegen.“

„Wir würden uns vom Gesetzgeber wünschen, dass er die Krankenkassen dazu verpflichtet, Wahltarife für eine primärärztliche Behandlung anzubieten, damit die Patienten die Möglichkeit haben, einen solchen Tarif zu wählen“, fuhr er fort. Denn mithilfe primärärztlicher Systeme würde die Steuerung der Patienten durch das System verbessert.   

Aus dem Publikum kam der Wunsch, die Patienten durch Notfallgebühren zu steuern. „Der SVR hat keine Eigenbeteiligung der Patienten empfohlen“, sagte Haubitz. „Denn wir glauben, dass dadurch die Falschen in die Notaufnahmen kämen.“ Zudem wäre die Logistik nicht einfach, wie man bei der Praxisgebühr gesehen habe. „Ich möchte nicht, dass die Notaufnahmen das Geld von den Patienten einziehen müssen“, so Haubitz.

fos

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