Ausland

Experten kritisieren britische Coronapolitik als „gefährlich“

  • Donnerstag, 8. Juli 2021
/picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Shuhei Yokoyama
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London – In einer aktuellen Stellungnahme haben mehr als 100 Wissenschaftler und Mediziner die Co­rona­öffnungs­­politik der britischen Regierung als „gefährliches und skrupelloses Experiment“ kriti­siert.

Wenn sich das Virus dank der geplanten Lockerungen, die ein Ende von Maskenpflicht und Abstands­regeln vorsehen, weiter ausbreite, würden Millionen Menschen infiziert, Hunderttausende riskierten Langzeiterkrankungen und bleibende Behinderungen.

Die für den 19. Juli geplanten Lockerungen müssten verschoben werden, forderten die Experten in dem in der Nacht zu heute vom Fachjournal The Lancet veröffentlichten Schreiben (DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01589-0).

Die britische Regierung plant, im größten Landesteil England alle verbliebenen Coronaregeln aufzu­he­ben. Dann sollen auch Nachtclubs wieder öffnen, für Veranstaltungen gibt es keine Teilnehmer­begren­zung mehr. Die endgültige Entscheidung soll am 12. Juli getroffen werden.

Die Strategie bereite der Entstehung impfstoffresistenter Varianten fruchtbaren Boden, warnten die Ex­perten. „Dies würde alle, auch die bereits Geimpften, innerhalb Großbritanniens und weltweit gefähr­den.“

„Bei dieser Strategie besteht die Gefahr, dass eine Generation mit chronischen Gesundheitsproblemen und Behinderungen zurückbleibt, deren persönliche und wirtschaftliche Auswirkungen noch über Jahr­zehnte spürbar sein könnten“, hieß es in dem Schreiben weiter, das 122 Fachleute unterzeich­net haben. Vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen, junge Leute, Kinder und Ungeimpfte liefen Gefahr, andauernde Folgeschäden zu erleiden.

Das britische Gesundheitsministerium betonte indes: „Unser Ansatz (...) findet eine Balance bei der Not­wendigkeit, sowohl Leben als auch Existenzen zu schützen.“

Mit mehr als 32.500 neuen Coronafällen an einem Tag hat Großbritannien den höchsten Tages­wert seit Januar verzeichnet. Sowohl die Zahl der Neuinfektionen als auch der Todesfälle und der Kran­ken­hauseinweisungen stieg in der vergangenen Woche im Vergleich zur Vorwoche jeweils um mehr als 40 Prozent, wie aus den gestern veröffentlichten Daten hervorgeht.

Grund ist die Ausbreitung der hochansteckenden Delta-Variante, die für fast alle Coronafälle im Vereinig­ten Königreich verantwortlich ist. Die Sieben-Tage-Inzidenz, die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Men­schen in einer Woche, stieg auf 256,2. In Deutschland liegt dieser Wert bei 5.

Der britische Premierminister Boris Johnson will dennoch am 19. Juli alle Coronaregeln aufheben. Gestern stellte sich der Regierungschef einem Parlamentsausschuss, dabei wich Johnson vielen Fragen der Abge­ordneten aus.

Angesprochen auf die Ankündigung, dass sich vom 16. August an Kontakte von Corona­infizierten nicht mehr tagelang selbst isolieren müssen, betonte Johnson, die Strategie sei, mehr zu testen als zu isolie­ren.

Einer Analyse der BBC zufolge könnten bis zum 16. August aber noch 4,5 Millionen Menschen wegen ihrer Kontakte zur Selbstisolation aufgefordert werden. Die Regierung erwartet, dass die Zahl der Neuinfek­tionen wegen der Aufhebung der Coronaregeln auf bis zu 100.000 am Tag steigen könnte.

dpa

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