Experten rufen nach Verschärfung der Krankenhausreform und schlagen alternative Finanzierung vor

Berlin – Angesichts der weiter ansteigenden Kosten im stationären Bereich fordern Experten das Vorziehen und eine Verschärfung der Krankenhausreform und schlagen eine neue Alternative für die Finanzierung vor.
„Die Krankenhausfinanzen spitzen sich dramatisch zu. Wir erleben eine gefährliche Gleichzeitigkeit aus nachlassender Versorgungsqualität, deutlich niedrigeren Fallzahlen und gleichzeitig explodierenden Ausgaben der Krankenkassen – während viele Kliniken trotzdem tiefer ins Defizit rutschen“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Grünenfraktion im Bundestag, Janosch Dahmen.
„Trotz historisch hoher Beschäftigung von Pflegefachkräften und Ärztinnen und Ärzten behandeln wir seit 2019 deutlich weniger Patientinnen und Patienten.“ Zugleich würden dem Notfallmediziner und Bundestagsabgeordneten zufolge weiterhin zu viele vergleichsweise leichte Fälle stationär behandelt – der Case-Mix sinke, Produktivität und Qualität gerieten unter Druck.
Entsprechend würden die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Krankenhäuser aus dem Ruder laufen. „Allein in diesem Jahr steigen sie um rund zehn Milliarden Euro, und der Trend setzt sich fort“, sagte Dahmen. „Ohne mutige Eingriffe rutschen wir in ein chaotisches, unkoordiniertes Krankenhaussterben.“
Er fordert deshalb das Vorziehen und eine Beschleunigung der Krankenhausreform. „Aber mit dem Krankenhausanpassungsgesetz wird sie grade im Gegenteil faktisch zurückgedreht.“ Dahmen zufolge bräuchte es jetzt konsequenteres Handeln: Fristen vorziehen statt verlängern, Ausnahmen strikt auf echte Sicherstellung begrenzen, Qualitätsvorgaben nachschärfen statt abschwächen.
Das Krankenhausanpassungsgesetz (KHAG), das derzeit im parlamentarischen Verfahren beraten wird und Anpassungen der Krankenhausreform vorsieht, soll den Bundesländern ein Jahr mehr Zeit für die Umsetzung der Reform einräumen. Zudem sind unter anderem Ausnahmemöglichkeiten für die Länder vorgesehen, von den Qualitätsvorgaben der geplanten Leistungsgruppen abweichen zu können. Die Reform wird am 17. Dezember in einer Anhörung von Sachverständigen im Gesundheitsausschuss des Bundestags weiter beraten.
Regierungskoalition will eingeschlagenen Pfad fortführen
Dieses Vorgehen unterstützen Mitglieder der Regierungskoalition ausdrücklich. „Wir haben uns darauf geeinigt, die Krankenhausreform konsequent weiterzuentwickeln und die Krankenhauslandschaft qualitativ, bedarfsgerecht und praxistauglich fortzuführen - aufbauend auf dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) der letzten Legislaturperiode", sagte Christos Pantazis, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, dem Deutschen Ärzteblatt. Man begleite die Diskussion um Änderungen am Gesetz derzeit „offen und konstruktiv - aber immer mit Blick auf Verlässlichkeit, Qualität und eine realistische Umsetzung in der Praxis", so der Gesundheitsexperte und Arzt.
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger fordert weitergehende Ausnahmemöglichkeiten, als derzeit im Gesetzentwurf vorgesehen sind. „Was die Fristen angeht, unterstütze ich die Länder in ihrer berechtigten Forderung, dass die Ausnahmemöglichkeiten im Rahmen der Leistungsgruppenzuweisung wieder – wie es im Referentenentwurf des KHAG ja auch vorgesehen war – auf insgesamt sechs Jahre erweitert werden, also die ersten drei Jahre bei Bedarf nochmal um drei Jahre verlängert werden können“, sagte der Gesundheitspolitiker und Arzt dem Deutschen Ärzteblatt.
„Wenn wir die flächendeckend notwendigen Häuser retten wollen, müssen wir Überkapazitäten an anderer Stelle jetzt zügig abbauen“, forderte hingegen der Grünen-Politiker Dahmen. Nur so gelinge die notwendige Konzentration hin zu mehr Qualität, Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit – und damit eine stabile, bezahlbare Krankenhauslandschaft.
Auch Christian Karagiannidis, Mitglied der ehemaligen Regierungskommission Krankenhaus und damit Mitgestalter der Grundlage der Krankenhausreform, warnt vor den davonlaufenden Kosten des stationären Bereichs der GKV, aber auch in der Privaten Krankenversicherung (PKV). „Dies wird in den kommenden Jahren noch drastischer, wenn wir jetzt nicht gegensteuern“, sagte der Intensivmediziner dem Deutschen Ärzteblatt.
Aktuelle Regelungen reichen nicht mehr aus
Die Regelungen, die man im KHVVG Ende 2024 getroffen habe, würden für diese dramatische Ausgangslage nicht mehr ausreichen, so Karagiannidis.
Er schlägt deshalb ein alternatives Finanzierungsmodell vor: „Stattdessen brauchen wir eine schnelle Umkehr der Finanzierung hin zu einem Budgetmodell, bei dem Krankenhäuser ihre Einnahmen im kommenden Jahr garantiert erhalten würden, aber dafür raus kommen aus dem Hamsterrad des DRG-Systems und immer mehr Leistung erbringen müssen.“ Dafür könnte man einen Durchschnittswert der Einnahmen einer Klinik aus den vergangenen zwei Jahren bilden, lautet sein Vorschlag.
„Im Gegenzug müssten Krankenhäuser weniger Abrechnung und Prüfungen machen, die Bürokratie würde deutlich reduziert und sie sind deutlich freier, in dem was sie erbringen wollen.“ Auf der anderen Seite müssten Krankenhäuser Ergebnisqualität transparent darstellen und Patient Reported Outcomes etablieren, erklärte Karagiannidis weiter.
Er ist überzeugt, dass trägerübergreifend freigemeinnützige, private und kommunale Kliniken die Finanzierungsänderung begrüßen würden, weil sie dauerhaft aus den roten Zahlen kommen würden. „Die Krankenkassen wüssten, die Kosten steigen nicht mehr und die Kliniken wären sich im Klaren, wie viel Geld sie bekommen und könnten auch die zweifelsfrei bestehende Übertherapie zurückfahren.“
Mechanismen für genügend Leistungsanreize
Bei einem solchen Finanzierungsmodell besteht aber die Gefahr, dass die Kliniken weniger Leistung erbringen als benötigt. Dies dürfe Karagiannidis zufolge nicht passieren. „Dafür müsste man weiterhin einen kleinen Anteil der Abrechnung über die DRGs laufen lassen, etwa zehn Prozent.“ Zudem bräuchte es noch weitere Wirkmechanismen – beispielsweise Korridore, die man nicht unterschreiten dürfe, sonst würde es Abzüge des Budgets geben, lautet sein Vorschlag.
Die Auszahlung des Krankenhausbudgets könnte unterjährig in mehreren Schritten erfolgen, etwa durch das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS). „Ziel der Finanzierungsänderung muss sein, dass die Krankenhäuser eine Schwarze Null schreiben.“ Denn die Kommunen können diese Mehrkosten bald kaum mehr auffangen, warnt Karagiannidis.
Gemeinsam mit dem Gesundheitsökonomen Boris Augurzky vom hcb-Institute for Health Care Business will er dieses Modell in den kommenden Monaten ausarbeiten und der Politik als alternative Finanzierungsmöglichkeit für die Krankenhäuser unterbreiten. Augurzky selbst hatte vor einigen Wochen ein ähnliches, allerdings weiter greifendes Konzept von Regionalbudgets als mögliche Form der Finanzierung des stationären als auch ambulanten Sektors ins Spiel gebracht.
Ein Budgetmodell wie Karagiannidis nun vorschlägt, wird von Gesundheitsökonomen allerdings häufig auch kritisch gesehen. Die Sorge ist, dass ein solches Selbstkostendeckungsprinzip keine Anreize erzeugt, die Produktivität nicht erhöht und Kosten reduziert, sondern das Gegenteil bewirkt.
Auch aus der Politik kommt dafür zunächst keine Unterstützung: „In den aktuellen Beratungen zum KHAG spielen diese Ideen keine Rolle. Dafür sind die Beratungen einfach schon zu weit fortgeschritten, um jetzt nochmal diese Grundsatzfrage aufzumachen“, sagte CSU-Politiker Pilsinger.
Für den SPD-Politiker Pantazis sind die Vorschläge zu Regionalbudgets oder alternativen Finanzierungsmodellen zwar „wichtige Impulse". Aber: „Sie ersetzen jedoch keine sorgfältige, evidenzbasierte Bewertung", sagte Pantazis. Er setzt dabei auf die eingesetzte GKV-Finanzkommission, die den Auftrag habe, „eine langfristige und stabile Finanzierungsarchitektur zu entwickeln."
Regionalbudgets, so wie es auch immer wieder in die Diskussion eingebracht werde, könne sich Pilsinger „grundsätzlich vor allem in der ambulanten Versorgung vorstellen, um die Ansiedlung von Ärzten vor allem in ländlich geprägten Regionen attraktiver zu machen.“
Allerdings müsse man bei der Finanzierung der Krankenhäuser die Auswirkungen der geplanten Reform im Blick behalten: „Wenn das mit der Vorhaltefinanzierung aber nicht so funktionieren sollte wie gedacht, sollten wir dieses Thema aber nochmal ins Auge fassen, finde ich“, sagte Pilsinger.
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