Expertenrat: Sorgfältige Indikationsstellung nötig, antivirale Mittel früh einsetzen

Berlin – Die Ärzte in Deutschland sind aufgerufen, antivirale Medikamente gegen SARS-CoV-2 frühzeitig einzusetzen. Das mahnt der Coronaexpertenrat der Bundesregierung in einer neuen Stellungnahme von gestern Abend an. Die Fachleute schreiben den Medizinern aber auch einige Punkte vor der Verordnung ins Stammbuch.
Eine effektive antivirale Therapie erfordere, neben der Identifikation von Personen mit Risikofaktoren, einen frühzeitigen Beginn der Therapie in den ersten Tagen der Infektion, schreibt das Expertengremium in dem Papier, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Einige antivirale Medikamente, insbesondere Nirmatrelvir / Ritonavir, besäßen aber ein erhöhtes Interaktionspotenzial mit bestimmten anderen Medikamenten.
Das setze unter Umständen eine kurzzeitige Umstellung, Pausierung oder Dosisanpassung bestehender Therapien voraus – oder verhindere den Einsatz einiger antiviraler Medikamente gänzlich. Eine „sorgfältige ärztliche Indikationsstellung und Abklärung möglicher Kontraindikationen und Medikamenteninteraktionen“ sei daher gefragt.
Dennoch ist nach Ansicht der Fachleute ein breiter Einsatz antiviraler Medikamente in Risikopopulationen möglich, wie es zum Beispiel in Israel oder in Großbritannien umgesetzt wird. Dies sollte in Deutschland die Möglichkeit der digitalen Befundübermittlung an die Krankenkasse und das Screening von Risikopatienten umfassen.
Dieses Screening könne etwa mithilfe von Algorithmen anhand der bei den Krankenkassen zur Verfügung stehenden Patientendaten durchgeführt werden, um Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren und sie der entsprechenden Therapie zuzuführen, heißt es.
Um den Einsatz der in der Frühphase der Erkrankung „hochwirksamen Medikamente“ in Deutschland in den kommenden Monaten weiter zu verbessern, regt der Expertenrat Maßnahmen zur besseren Information der Bevölkerung und der Ärzteschaft und zur vereinfachten Applikation an.
Konkret vorgeschlagen werden unter anderem Internetseiten und Apps für Ärzte und Patienten. Spezielle Informationsangebote solle es auch für ältere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund geben.
Für niedergelassene Ärzte und Amtsärzte sollen Fort- und Weiterbildung zu dem Thema intensiviert werden. Die Hersteller werden aufgerufen, Daten zum Einfluss der Medikamente auf das Long-/Post-COVID-Syndrom vorzulegen. Darüber hinaus seien Langzeitbeobachtungen von Studienpatienten und Untersuchungen zu Dosisanpassungen dringend anzustreben.
Um die Applikation zu verbessern, raten die Experten zur telefonischen und/oder telemedizinischen Verordnung antiviraler Medikamente bei nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion bei entsprechender Therapieindikation. Die Zustellung der zur oralen Verabreichung geeigneten antiviralen Medikamente sollte direkt durch die Apotheken erfolgen.
Der Rat empfiehlt auch, die Logistik in Alten- und Pflegeheimen so zu verändern, dass dort eine frühzeitige Gabe möglich wird. Eine ärztliche Verordnung sollte telefonisch oder telemedizinisch möglich sein und die Gabe durch Pflegepersonal, Rettungsdienst oder den Öffentlichen Gesundheitsdienst erfolgen, heißt es weiter.
Stationär halten die Fachleute es für erforderlich, dass der Bund die antiviralen Medikamente für die Kliniken direkt refinanziert – oder bereitstellt. Die Präparate sollten stationär in den Krankenhäusern eingesetzt und durch die Kliniken für die ambulante Therapie abgegeben werden dürfen.
Ebenso wird angeregt, neue tagesklinische Strukturen an den Kliniken zu schaffen, die entsprechend refinanziert werden. Diese sollten die stationäre und ambulante Notfallmedizin entlasten. Der Bund wird darüber hinaus gebeten, das Medikament Bebtelovimab zügig einzukaufen und bereitzustellen.
Bebtelovimab sei der einizige monoklonale Antikörper, der bisher eine konstant hohe Neutralisationskapazität gegen alle Varianten, inklusive aller Omikron-Subvarianten, aufweise, schreiben die Fachleute. Das Mittel sei insbesondere für Patienten mit Immunschwäche anzustreben.
Grundsätzlich hat der frühe Einsatz nach Ansicht der Fachleite einen hohen Stellenwert, die Krankheitslast durch COVID-19 zu begrenzen und schwere Verläufe und Todesfälle zu reduzieren. Besonders bei Menschen mit Risikofaktoren oder einem unzureichenden Impfschutz bestehe ein Risiko für schwere Verläufe und Tod, das sich durch gezielte und frühe Anwendung einer antiviralen Therapie signifikant senken lasse.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant für den Herbst einen stärkeren Einsatz des Medikaments Paxlovid. Arztpraxen können das Mittel seit kurzem schon direkt abgeben, ohne dass Patienten in die Apotheke gehen müssen.
In Pflegeheimen sollen sich Beauftragte um Impfungen, Hygiene sowie auch um Medikamententherapien kümmern. Zuletzt hatten sich unter anderem Intensivmediziner für eine vermehrte Verabreichung des bekannten antiviralen Medikaments Paxlovid ausgesprochen.
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