Medizinalcannabis: Ärzte kritisieren Umgang der Krankenkassen mit Anträgen auf Kostenerstattung

Rüthen – Die ersten Anträge von Patienten, die mit Medizinalcannabis therapiert werden sollen, liegen den Krankenkassen vor. Die Kostenübernahme darf nur in begründeten Fällen abgelehnt werden. Dies passiere viel zu häufig, kritisieren schon jetzt einige Ärzte. Den Vorsitzenden des Arbeitskreises Cannabis in der Medizin, Franjo Grotenhermen, hat die Situation sogar zu einem achttägigen Hungerwarnstreik veranlasst.
Schon bei der europaweit ersten B2B-Cannabis-Konferenz Anfang April in Berlin berichtete Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband, dass sich Probleme mit der Bereitschaft der Kostenübernahme bei den Kassen abzeichnen würden: „Wir wissen von einigen Ablehnungen, selbst bei jenen Patienten, die zuvor eine Ausnahmegenehmigung hatten.“ Die Berliner Ärztin Eva Milz sagte dem Deutschen Ärzteblatt: „Ich muss das Verhalten der Krankenkassen in Bezug auf die Kostenübernahme der Cannabisprodukte als indiskutabel unkooperativ bezeichnen.“
Milz hat bislang nur sehr wenige Patienten mit Genehmigung, die eine Kostenübernahme erhalten haben – etwa fünf von 70 bislang. „Es liegen zwar noch nicht alle Ablehnungen vor, die Quote bleibt aber bei deutlich unter zehn Prozent Zusagen.“ Der Anästhesist Knud Gastmeier berichtet von vergleichbar geringen bestätigten Kostenübernahmen: Fünf von 50 seiner Patienten erhalten Cannabis zukünftig auf Kosten der Krankenkasse.
Wie viele Anträge bereits gestellt wurden und wie viele schon jetzt eine Ablehnung erhalten haben, kann auch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Die AOK hat aber angekündigt, noch diese Woche Zahlen mitzuteilen.
Privatrezepte können sich viele nicht leisten
Alle anderen können Medizinalcannabis mit einem Privatrezept in der Apotheke erhalten. Bei derzeitig gestiegenen Preisen von 12 bis 15 auf 15 bis 25 Euro pro Gramm und möglicherweise Preissteigerungen auf 40 Euro pro Gramm (Herstellung nach neuem Rezepturformularium), ist diese Option nicht für jedermann finanzierbar. „Diese gestiegenen Preise könnte die Politik einfach korrigieren, indem Cannabisblüten nicht als Rezepturarzneimittel sondern als Fertigarzneimittel behandelt werden“, sagt Grotenhermen.
Für Milz ist „die rasante Entwicklung von der stigmatisierten Droge zum Zweiklassenmedikament innerhalb weniger Monate“ äußerst frustran. Gastmeier befürchtet, dass die neue Gesetzessituation viele Patienten wieder zurück in die Illegalität führen wird. Keiner seiner Patienten könne sich die legitimen „Wuchercannabispreise“ leisten. Hier müsse der Gesetzgeber dringend und kurzfristig nachbessern, heißt es in einem offenen Brief.
Antragsfristen bis zu fünf Wochen
Seit dem 10. März 2017 können Ärzte cannabishaltige Arzneimittel (Cannabisblüten, Extrakte und Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon) für Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung zulasten der GKV verordnen. Wenn der Antrag die Krankenkasse erreicht, muss diese innerhalb von drei Wochen entscheiden; fünf Wochen, wenn die Kasse eine gutachterliche Stellungnahme vom Medizinischen Dienst der Krankenakssen (MDK) einholt. In der ambulanten Palliativversorgung sind nur drei Tage gestattet.
„Die Entscheidung zur Kostenübernahme wird nach meiner Erfahrung fast immer dem MDK überlassen“, berichtet Milz. Den formalen Antrag stellt der Patient. „Hierfür benötigt er einen ausgefüllten ärztlichen Fragebogen – das aktuell gravierendste Nadelöhr. Wenn die Kassen zudem teilweise überflüssige Rückfragen stellen, verlängert sich die Frist für die Bearbeitung weiter.“
Gründe für die Ablehnung der Kostenübernahme
Ein Schreiben der AOK Nordwest gibt laut der Association for Cannabinoid Medicines (ACM) weitere Hinweise, wie laut MDK mit Anträgen auf eine Kostenerstattung umgegangen werden soll. Im aktuellen ACM-Newsletter werden Beispiele aufgeführt, die eine abgelehnte Kostenübernahme erklären können. So findet sich etwa auf Seite 21 eine Definition schwerwiegender Erkrankungen. Mit Verweis auf den Gemeinsamen Bundesausschuss wird die Definition eng gefasst: Multiple Sklerose, Krebs, Aids und wenige andere Erkrankungen sind aufgeführt.
Die Ablehnung der Kostenübernahme hat laut Milz noch viele andere Gründe: Aufgeführt werden unter anderem fehlende Evidenz und nicht bereitgestellte Originalliteratur zu positiven Studienergebnissen. „Bei kleinsten Anhaltspunkten – etwa die Aussage in einem Arztbericht, der Patient konsumiere missbräuchlich Cannabis – wird der Einsatz als kontraindiziert bewertet.“
Ihrer Meinung nach untergräbt das die gesetzlich geschaffene Option, dass der Einsatz von Cannabis eine Entscheidung zwischen Arzt und Patient sein solle. Als Privatärztin hat sie darüber hinaus auch bereits die Erfahrung gemacht, dass der Antrag erst bearbeitet werde, wenn die Empfehlung eines Vertragsarztes vorliege. „Diese Forderung hat der Gesetzgeber nicht vorgegeben“, setzt sie entgegen.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: