Medizin-Nobelpreis für Karikó und Weissman: Basis für die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen

Stockholm – Den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhalten zu gleichen Teilen die ungarische Biochemikerin Katalin Karikó und der US-Immunologe Drew Weissman für Arbeiten, die den Boden bereitet haben für die Entwicklung von hochwirksamen Messenger-RNA- (mRNA)-Impfstoffe gegen COVID-19.
Karikó und Weissman haben nach Ansicht des Nobelkomitees durch ihre Forschung wichtige Voraussetzungen für den Einsatz der mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 geschaffen, denen in Zukunft noch weitere Impfstoffe oder auch mRNA-Medikamente folgen könnten.
Die beeindruckende Flexibilität und Geschwindigkeit, mit der mRNA-Impfstoffe entwickelt werden könnten, ebne den Weg für die Nutzung der neuen Plattform auch für Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten, so das Komitee weiter. „In Zukunft könnte die Technologie auch zur Verabreichung therapeutischer Proteine und zur Behandlung bestimmter Krebsarten eingesetzt werden.“
Als Karikó heute vom schwedischen Rundfunk (SR) kontaktiert wurde, glaubte sie die Nachricht zunächst nicht und reagierte mit einem Lachen. „Das ist unglaublich“, sagte die Forscherin. Im Interview mit tagesschau24 betonte die Biochemikerin, dass sie erst die 13. Frau sei, die den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhalten hat. Sie hoffe, dies wird mehr Frauen, mehr junge Menschen inspirieren.
Auch Weissman ging zunächst von einem Scherz aus, als „Katie“ ihm die Nachricht überbrachte. „Ich saß auf meinem Bett und wartete“, erzählte der 64-Jährige dem Sender SR. „Wir haben uns gefragt, ob uns jemand einen Streich spielt“.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Nobelpreisvergabe an Karikó und Weissman gelobt. „Eine bessere Wahl für Nobelpreis Medizin könnte es nicht geben“, erklärte er am im Kurznachrichtendienst X. Ohne die Forschung der beiden zur mRNA-Technologie „wären Millionen Menschen mehr an Covid gestorben“.
Der Präsident der Leopoldina, Gerald Haug, beglückwünschte Karikó, die Mitglied der Leopoldina ist, ebenfalls zu dieser hohen Auszeichnung: Damit „werden bahnbrechende Erkenntnisse auf dem Gebiet der synthetisch hergestellten mRNA für die Impfstoffentwicklung gewürdigt.“
Mit der mRNA sei eine neue Substanzklasse für die Medizin verfügbar, sagte der Präsident des für Impfstoffe und Biomedizin zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Klaus Cichutek. Als mögliche künftige Einsatzgebiete für mRNA nannte er unter anderem weitere präventive Impfstoffe, etwa gegen Grippe, sowie Therapien gegen Krebs und Rheuma.
Einfaches Konzept, aber schwierige Umsetzung
Die Idee, im Labor hergestellte mRNA zu nutzen, um die Produktion bestimmter Proteine in Körperzellen anzuregen, die Zellen also gewissermaßen vorübergehend umzuprogrammieren, wurde bereits vor 30 Jahren entwickelt. Damals war es möglich, kurze RNA-Moleküle herzustellen und in Zellen zu injizieren.
Für eine therapeutische Anwendung muss jedoch eine genügende Anzahl vom mRNA-Molekülen in die Zellen gelangen. Dabei müssen sie nicht nur die Hürde der Zellmembran überwinden. Es stellte sich bald heraus, dass auch das menschliche Immunsystem häufig ungehalten auf fremde RNA reagiert und das nicht ohne Grund.
Das angeborene Immunsystem hat im Verlauf der Evolution gelernt, dass fremde RNA nichts Gutes verheißt. Häufig stammt sie von Viren, die die Zelle für ihre Replikation missbrauchen. Die Zellen gehen meist an der Infektion zugrunde, wenn die fertig produzierten Viren freigesetzt werden.
Um dies zu verhindern, setzt das menschliche Immunsystem Toll-like Rezeptoren (TLR) ein. Diese können artfremde RNA an bestimmten Mustern („pathogen-associated molecular patterns“, PAMP) erkennen. Es kommt dann zu einer heftigen Immunreaktion.
Dies hat den Einsatz von mRNA zu therapeutischen Zwecken lange verhindert. Dies lag auch daran, dass die mRNA mit Enzymen produziert werden, die von Bakteriophagen stammen. Dabei entsteht eine mRNA mit bestimmten Modifikationen, die das Immunsystem auf den Plan ruft.
Karikó und Weissman haben nach Ansicht des Nobelkomitees die Hintergründe der Immunreaktionen erkannt.
Wie sich Immunreaktionen auf mRNA-Impfstoffe vermeiden lassen
In ihrer für den Nobelpreis zentralen Publikation in Immunity (2005; DOI: https://doi.org/10.1016/j.immuni.2005.06.008) zeigten die Forscher einen Weg auf, der schwere Immunreaktionen vermeidet. Sie fanden heraus, dass die Grundlage der Immunreaktion bestimmte Nukleoside in der mRNA sind und dass deren Modifikation die Alarmierung der TLR verhindern kann. In der Studie gelang dies durch den Einbau bestimmter Nukleoside m5C, m6A, m5U, s2U oder Pseudouridin.
Damit hatten die Forscher eine wichtige Voraussetzung für den klinischen Einsatz von mRNA-Molekülen gefunden. Verschiedene Pseudouridine, darunter N1-methylpseudo-uridine (m1ψ) sind heute in den meisten mRNA-Molekülen vorhanden, die für medizinische Zwecke getestet werden und auch in den beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffen gegen COVID-19.
Später stellte sich heraus, dass die Modifikationen auch die RNA-Stabilität, die Basenpaarungsspezifität, die Faltung und andere funktionelle Eigenschaften der mRNA verbessern. Karikó und Weissman konnten zeigen, dass auch die Translation, also die Umsetzung der mRNA in das Protein, effektiver ist.
Die Forscher entwickelten zudem ein Verfahren, um die doppelsträngige RNA (dsRNA), die ein wichtiges PAMP für die Toll-like Rezeptoren sind, aus den Präparaten herauszufiltern. Dies war die „High performance liquid chromatography“ (HPLC). Als wesentlich einfacher und kostengünstiger erwies sich eine zellulosebasierte Reinigung, die Karikó zusammen mit Ugur Sahin von Biontech entwickelte.
Die Entdeckung von Karikó und Weissman haben die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen stark beschleunigt. Bis 2010 wurden drei Hauptunternehmen gegründet: Die in Tübingen ansässige Firma CureVac begann bereits im Jahr 2000 mit der Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionen, hatte dann aber gegenüber den beiden Konkurrenten das Nachsehen.
Das 2008 gegründete Mainzer Unternehmen Biontech und das 2010 in Cambridge/Massachusetts gegründete US-Unternehmen Moderna konnten Ende 2020 die ersten Impfstoffe auf den Markt bringen, die mit einer Impfstoffwirksamkeit von 95 % die Erwartungen übertrafen.
Die Schutzwirkung lässt zwar rasch nach, die mRNA-Technologie bietet allerdings die Möglichkeit, den Impfstoff rasch auf veränderte Viren anzupassen. Im Gegensatz zu den Vektor-basierten Impfstoffen, die die Gene mit Viren in die Zellen transportieren, ist jederzeit eine Boosterung möglich, da das Immunsystem keine Antikörper gegen die Vektorviren bildet.
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