Ärzteschaft

Fachgesellschaft rechnet mit baldiger Einführung der Gentherapie bei Hämophilie

  • Freitag, 13. Dezember 2019
Blutzellen /fotoliaxrender, stock.adobe.com
/fotoliaxrender, stock.adobe.com

München – Neben neuartigen therapeutischen Antikörpern könnte zukünftig auch eine Gentherapie vor lebensgefährlichen Blutungen bei Hämophilie A oder B schützen. Die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) rechnet damit, dass die neue Behandlungsoption in einigen Monaten verfügbar sein wird. Ein erster Zulassungsantrag wurde bereits bei der U. S. Food and Drug Administration (FDA) eingereicht.

Die meisten Patienten mit schwerer Hämophilie, die in Deutschland an wenigen spezialisierten Zentren behandelt werden, erhalten zur Vorbeugung von Blutungen regelmäßig Infusionen der fehlenden Gerinnungsfaktoren. Auch im Falle einer Verletzung können zusätzliche Faktorgaben die Blutungen stoppen.

Trotz dieser Fortschritte ist die Lebensqualität nicht optimal. „Die Medikamente können nicht immer verhindern, dass es doch zu inneren Blutungen kommt“, erläutert Hermann Eichler vom Universitätsklinikum des Saarlands. Geschieht das über Jahre hinweg, kann das vor allem die großen Gelenke schädigen, wenn dort gehäuft Blutungen auftreten.

„Die Patienten leiden dann unter chronischen Schmerzen und zunehmender Gelenk­zerstörung, was bei einigen schon im frühen Erwachsenenalter den Einbau von Kunst­gelenken erforderlich macht“, agt Eichler. Hinzu kämen die regelmäßigen Infusionen, die mehrmals in der Woche notwendig sind und die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigen.

Ziel der Gentherapie ist es, eine intakte Kopie des defekten Gens in die Leberzellen zu transportieren, damit diese die Gerinnungsfaktoren VIII oder IX herstellen. Der Transport gelingt mithilfe von Adeno-assoziierten Viren (AVV), die durch gentechnische Veränderungen nicht mehr vermehrungsfähig sind.

Erste Versuche 1996 produzierten unzureichende Mengen Gerinnungsfaktoren

Chinesische Forscher haben bereits 1996 eine Gentherapie an 2 Menschen mit Hämophilie B vorgenommen. „Die Leberzellen produzierten jedoch nur für kurze Zeit Gerinnungsfaktoren, deren Menge nicht ausreichte, um die Betroffenen vor Blutungen zu schützen“, erläutert Eichler.

Inzwischen haben mehrere Firmen in den USA und in Europ a Gentherapien entwickelt, die über mehrere Jahre und vielleicht sogar lebenslang die Produktion von Gerinnungsfaktoren in einer Menge ermöglichen, die spontane Blutungen in Gelenke oder Organe verhindern könnten.

Für die Hämophilie B liegen mittlerweile mit verschiedenen Gentherapien Erfahrungen zu mehr als 50 Patienten vor, bei denen Faktor VIII-Konzentrationen von bis zu 45 % der Normalwerte von Gesunden erreicht wurden.

„Bei einigen Patienten produzierten die Leberzellen den Gerinnungsfaktor noch 8 Jahre nach der Gentherapie“, so Eichler, Direktor des universitären Instituts für Klinische Hämostaseologie und Transfusionsmedizin.

Bei der Hämophilie A laufen ebenfalls bereits klinische Studien, die in den nächsten Jahren zur Zulassung der Gentherapie führen könnten. Ein erster Zulassungsantrag wurde bereits bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA eingereicht.

Die Sorge, dass die Gentherapie die Leber schädigen könnte, hat sich laut dem DGTI-Experten bislang nicht bestätigt. Es komme zwar bei einigen Patienten anfangs zu einem zumeist nur vorübergehenden und leichten Anstieg der Leberenzyme, was auf eine geringgradige Zellschädigung hinweist. Bei den meisten Patienten würde sich die Leber jedoch vollständig erholen, sodass die Sicherheitsbedenken weitgehend ausgeräumt werden konnten.

Experten sehen Zulassung optimistisch entgegen

Ob und wann die erste Gentherapie zugelassen wird, lässt sich nach Einschätzung von Eichler nicht genau vorhersagen. Wie die meisten Experten ist er jedoch optimistisch, dass dies bereits in einigen Monaten der Fall sein wird. Für die Patienten könnte es einen enormen Gewinn an Lebensqualität bedeuten, wenn sie nicht mehr auf die regelmäßigen Infusionen angewiesen und ihre Gelenke nicht mehr von Blutungen bedroht wären.

gie

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung