Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung trübt sich weiter ein

Berlin – Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland verdüstert sich weiter. Das zeigen die sogenannten KV-45-Zahlen, also die Finanzentwicklung der GKV, für das 1. Halbjahr dieses Jahres. Die Zahlen, die das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vorgelegt hat, zeigen: Es wird alles teurer.
Demnach haben die 95 Krankenkassen in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres ein Defizit in Höhe von 2,2 Milliarden Euro eingefahren – in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres musste ein Defizit in Höhe von 776 Millionen Euro verzeichnet werden.
Die Finanzreserven betrugen zum Ende des 1. Halbjahres rund 6,2 Milliarden Euro. Dies entspricht 0,23 Monatsausgaben und damit nur leicht mehr als die gesetzlich vorgeschriebene Mindestreserve von 0,2 Monatsausgaben.
Den Einnahmen der Krankenkassen in Höhe von 159,1 Milliarden Euro standen Ausgaben in Höhe von 161,3 Milliarden Euro gegenüber. Federn lassen musste der Gesundheitsfonds: Dieser fuhr im 1. Halbjahr ein Defizit von 6,3 Milliarden Euro ein. Das Ministerium bezeichnete einen Teil des Defizits als „saisonüblich“.
3,1 Milliarden Euro wurden aber aus der Liquiditätsreserve an die Krankenkassen ausgeschüttet, um die Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen zu stabilisieren. Das ist allerdings nur in Teilen gelungen. Zu Jahresbeginn lag der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz bei 1,70 Prozent. Bis August 2024 haben 22 Krankenkassen ihren Zusatzbeitragssatz unterjährig angehoben.
Der durchschnittlich von den Krankenkassen erhobene Zusatzbeitragssatz lag im August mit 1,78 Prozent um 0,08 über dem Ende Oktober 2023 für das Jahr 2024 bekannt gegebenen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz.
„Damit stehen keine Reserven mehr zur Verfügung, um Beitragssteigerungen im nächsten Jahr zu verhindern oder auch nur abzumildern – und der Bundesgesundheitsminister schaut tatenlos zu“, kommentierte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, die Zahlen.
Für 2025 rechnet der GKV-Spitzenverband inzwischen mit einem Zusatzbeitragssatz in Höhe von mindestens 2,3 Prozent, also mit 0,6 Prozentpunkten mehr als in diesem Jahr. Und dabei seien kommende Gesetzesvorhaben wie etwa die kostenträchtige Krankenhausreform noch nicht einmal berücksichtigt, so die Kassenseite. Die könne den GKV-Beitrag zusätzlich um 0,1 Prozent erhöhen.
„Die Politik scheint sich an steigende Zusatzbeitragssätze gewöhnt zu haben – wir aber nicht“, so Pfeiffer. Jährliche Beitragssatzanhebungen zur Finanzierung der medizinischen und pflegerischen Versorgung dürften kein selbstverständliches Instrument der Gesundheitspolitik sein. „Die finanzielle Belastbarkeit der Versicherten und Arbeitgeber wird dadurch zunehmend überfordert“.
Am 7. August hatte das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) bereits die Politik aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, „die Stellschrauben für eine nachhaltige Sicherung der Systeme anzupassen“. Das hatte BAS-Präsident Frank Plate im aktuellen Tätigkeitsbericht der Behörde betont.
Er hatte darauf hingewiesen, dass zu Beginn des Jahres einige Krankenkassen einen höheren Zusatzbeitrag erhoben hätten. Inzwischen gewinne die Finanzentwicklung weiter deutlich an Dynamik und entwickele sich sogar „noch ungünstiger als bisher angenommen“. Die langfristige Sicherung der Finanzen der GKV bleibe also ein „vordringliches Ziel der Politik“.
Lage bei den Kassen unterscheidet sich
Die Lage bei den einzelnen Krankenkassen ist wie in jedem Jahr unterschiedlich. Die Ersatzkassen erzielten ein Defizit von 859 Millionen Euro, die Ortskrankenkassen von 721 Millionen Euro, die Betriebskrankenkassen von 366 Millionen Euro, die Innungskrankenkassen von 161 Millionen Euro und die Knappschaft von 43 Millionen Euro. Die nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmende Landwirtschaftliche Krankenkasse verbuchte ein Defizit von 8 Millionen Euro.
Die GKV-Zahlen verdeutlichen darüber hinaus, dass die Ausgaben erheblich gewachsen sind. Die Krankenkassen hätten im 1. Halbjahr 2024 einen „sehr dynamischen Zuwachs für Leistungsausgaben und Verwaltungskosten von 7,3 Prozent“ verzeichnet, heißt das im Ministeriumssprech.
Die Leistungsausgaben stiegen im Detail um 7,6 Prozent und damit deutlich stärker als in den vergangenen Jahren. Die Verwaltungskosten verminderten sich um 1,2 Prozent. In absoluten Zahlen stiegen die Leistungsausgaben der Krankenkassen im 1. Halbjahr um 10,9 Milliarden Euro.
Die Verwaltungskosten sanken um 75 Millionen Euro, da rund 280 Millionen Euro weniger Altersrückstellungen als im Vorjahresquartal gebucht wurden. Der Anstieg der Verwaltungskosten ohne Altersrückstellungen betrug im 1. Halbjahr 3,5 Prozent.
Deutlich angewachsen sind die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen – um 7,9 Prozent (+3,6 Milliarden Euro). Diese stellten damit einen „maßgeblichen Treiber der hohen Ausgabendynamik dar“, wie das Ministerium schreibt. Neben einer sehr dynamischen Preiskomponente und steigenden Fallzahlen seien insbesondere die Pflegepersonalkosten im 1. Halbjahr mit rund 10,9 Prozent (+1,05 Milliarden Euro) erneut „äußerst dynamisch“ gestiegen.
Die Kosten für die im Rahmen der im Dezember 2023 eingeführten Abrechnungsziffern der speziellen sektorengleichen Vergütung beziehungsweise Hybrid-DRG halten sich in Grenzen. Verbucht wurden dafür im ersten Halbjahr rund 181 Millionen Euro.
Mehrausgaben bei Arzneimitteln
Erhebliche Mehrkosten gab es auch in der Versorgung mit Arzneimitteln: Die Ausgaben erhöhten sich im 1. Halbjahr um 10,0 Prozent (+2,5 Milliarden Euro) und damit noch etwas stärker als im ersten Quartal. „Bei der Interpretation dieser äußerst dynamischen Entwicklung ist zu beachten, dass diese in besonderem Maße vom Auslaufen des in 2023 einmalig erhöhten gesetzlichen Herstellerabschlags von sieben auf zwölf Prozent durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz geprägt ist“, schreibt das BMG.
Im 1. Halbjahr 2024 sanken die zugunsten der GKV gewährten Rabatte der pharmazeutischen Unternehmer um rund 547 Millionen Euro. „Doch auch ohne Berücksichtigung dieser Rabatte wuchsen die Ausgaben kräftig um 7,3 Prozent (+1,94 Milliarden Euro). Äußerst dynamisch entwickeln sich auch die Aufwendungen für Arzneimittel im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung, die einen Zuwachs von rund 347 Millionen Euro (entspricht +49,6 Prozent) gegenüber dem Wert des Vorjahreshalbjahres aufweisen.
Ambulante Leistungen teurer
Die Ausgaben für ambulant-ärztliche Behandlungen sind im 1. Halbjahr um 5,3 Prozent (+1,3 Milliarden Euro) angewachsen. Die Aufwendungen für extrabudgetäre psychotherapeutische Leistungen wiesen überdurchschnittliche Aufwüchse auf (+6,8 Prozent bzw. +116 Millionen Euro).
Auch die Ausgaben für ambulante Operationen gemäß AOP-Katalog sind mit einem Wachstum von rund 9,2 Prozent (+106 Millionen Euro) nach Angaben des Ministeriums dynamischer als der Gesamtbereich gewachsen. Für die Abrechnung der sogenannten Hybrid-DRG durch die niedergelassenen Ärzte buchten die Krankenkassen rund 35 Millionen Euro.
Stark gestiegen sind die Ausgaben im Bereich der Behandlungspflege und der häuslichen Krankenpflege (+12,4 Prozent bzw. +569 Millionen Euro) sowie bei Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen (+11,1 Prozent bzw. +231 Millionen Euro). Letztere wiesen nach den pandemiebedingten Einbrüchen der vergangenen Jahre schon seit 2022 eine überdurchschnittliche Dynamik auf.
Bei der Interpretation der Daten des 1. Halbjahres ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Ausgaben in vielen Leistungsbereichen, insbesondere bei den Ärzten, noch von Schätzungen geprägt seien, da Abrechnungsdaten noch nicht oder nur teilweise vorlägen, so das BMG.
Der GKV-Schätzerkreis soll nun die Versichertenentwicklung, die Ausgaben und die Einnahmen der GKV für das laufende und das kommende Jahr Mitte Oktober prognostizieren. Das BMG will daraufhin bis zum 1. November den neuen, durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2025 bekannt geben. Die Finanzergebnisse für das 1.-3. Quartal 2024 sollen Ende November vorliegen.
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