GKV-Analyse: Ohne Anpassungen droht offene Rationierung

Berlin – Mit Blick auf die bestehenden Herausforderungen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist es unabdingbar, die derzeitigen Versorgungsstrukturen zu optimieren und Fehlanreize für medizinisch nicht notwendige Leistungserbringungen zu beseitigen. Dies betont Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), in einem Impulspapier.
Nur so ließen sich für die GKV eine offene Rationierung – beispielsweise über Quality Adjusted Life Years (QALYS) wie in Großbritannien oder deutlich höhere Gesundheitsausgaben – vermeiden, warnt Hecken in dem Papier „Mut zu neuen Ideen. Für eine dauerhafte Verlässlichkeit unseres Gesundheitswesens“. Dieses verfasste er gemeinsam mit Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) für die Konrad-Adenauer-Stiftung.
In einer älter werdenden Gesellschaft werde es mehr multimorbide Patientinnen und Patienten geben und der Bedarf an medizinischer Versorgung steigen, so Heckens Bestandsaufnahme. Gleichzeitig werde infolge der demografischen Entwicklung qualifiziertes medizinisches Personal eine immer kostbarer werdende Ressource. Zudem bewirke Forschung und Entwicklung zwar eine Verbesserung der Versorgung – mache diese „in der Regel“ aber auch teurer.
Der G-BA-Chef sieht aber im Rahmen der derzeitigen gesetzlichen Regelungen „noch eine Vielzahl von Möglichkeiten“, Strukturen so anzupassen und umzugestalten, dass ohne Abstriche an der Versorgungsqualität immer knapper werdende personelle und finanzielle Ressourcen optimierter eingesetzt werden können.
So sei beispielsweise der Nachholbedarf in Sachen Ambulantisierung in Deutschland im internationalen Vergleich „erheblich“. Dabei ermögliche es der medizinisch-technische Fortschritt heute ohne Risiken für die Versorgungsqualität, bisher mit entsprechend höheren Kosten und mehr Personalaufwand verbundene stationäre Leistungen auch ambulant zu erbringen.
„Das Gesundheitswesen muss hier die Chancen nutzen, die sich durch den medizinisch-technischen Fortschritt in Verbindung mit Digitalisierung und telemedizinischen Monitoringsystemen ergebenden und den mittlerweile eingeschlagenen Weg einer stärkeren ambulanten Leistungserbringung konsequent weiterverfolgen“, so Hecken.
Die geplante Krankenhausreform biete die Chance, nicht bedarfsgerechte Versorgungsangebote abzubauen und aufwändige Doppelstrukturen zur Erbringung spezialisierter Leistungen zu vermeiden. Hecken verweist darauf, dass dies insbesondere angesichts des Fachkräftemangels bedeutsam ist.
Seiner Einschätzung nach bleibt eine Ordnung der Krankenhäuser nach den ihnen zugewiesenen Versorgungsaufträgen, also beispielsweise Grundversorger, Maximalversorger oder Spezialversorger, für „ein Mehr an Patientensicherheit und effizienten Einsatz von Geldern weiterhin zwingend notwendig“.
Verbindliche Arztpraxiswahl in Primärversorgung
Die regelmäßig erfolgende Evaluation der hausarztzentrierten Versorgung (HzV) in Baden-Württemberg habe eindrucksvoll belegt, welche Effekte mit der Einführung einer verbindlichen Arztpraxiswahl für die Primärversorgung verbunden sind, so Hecken zur ambulanten Versorgung. Da die HzV sowohl Wartezeiten verkürzen und die Versorgungsqualität verbessern kann als auch Ausgaben senke, sollte sie noch stärker als bisher in den Fokus rücken.
Hecken spricht von einem „zwingenden Bestandteil der Regelversorgung“ – Versicherte, die eine solche hausarztzentrierte Versorgung nicht wünschen, könnten dann über Beitragszuschläge den bisherigen Status quo für sich aufrechterhalten.
Für ein „Preissignal in Form eines monatlich zu zahlenden Betrages, damit die Versicherten die Wahl aus verschiedenen Modellen kostenbewusst treffen können“, spricht sich Pimpertz in dem gemeinsam verfassten Papier aus.
Der konkrete Vorschlag des Wirtschaftsexperten: Ein Teil des bisherigen GKV-Beitragssatzes solle in einen monatlich zu zahlenden Betrag umgewandelt werden. Die Höhe dieses Betrags könne je nach Versorgungsmodell variieren. Der bisherige Arbeitgeberanteil ließe sich dazu in einen steuer- und abgabenfreien Bruttolohnbestandteil umwandeln, den die Versicherten zur Finanzierung eines Tarifs mit gewünschtem Versorgungsmodell einsetzen könnten.
Neben der HzV als Alternative zur freien Arztwahl seien auch andere Versorgungsformen diskussionswürdig, sagte Pimpertz. In dicht versorgten Regionen wäre zum Beispiel denkbar, ambulante Fachkliniken an die hausärztliche Versorgung anzubinden sowie interdisziplinär arbeitende Versorgungszentren oder andere quartiersgebundene Konzepte zu erproben.
In ländlichen Regionen mit drohender Mangelversorgung seien dagegen andere Lösungen notwendig. „Welche Konzepte möglich sind und den Wünschen der Versicherten entsprechen, gilt es im Wettbewerb zu erproben.“
Dazu benötigten Krankenkassen erweiterte Möglichkeiten der Vertragsgestaltung. Einzelne Anbieter oder Netzwerke sollten zudem wählen können, ob sie zur Versorgung aller GKV-Versicherten bei freier Arztwahl zugelassen werden wollen oder zur Versorgung der Versicherten eines bestimmten Tarifs, so Pimpertz. „Dafür wird ihnen die Möglichkeit eingeräumt, Konditionen zu verabreden, die von denen bei freier Arztwahl abweichen können.“
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