Politik

Geplante Teillegalisierung von Cannabis nimmt weitere Hürde

  • Mittwoch, 21. Februar 2024
Sitzung des Gesundheitsausschusses des Bundestages (Archivbild). /Kurz
Sitzung des Gesundheitsausschusses des Bundestages /Kurz

Berlin – Die geplante teilweise Legalisierung von Cannabis in Deutschland hat eine weitere Hürde genomm­en. Der federführende Gesundheitsausschuss des Bundestags billigte heute die Gesetzespläne der Ampelko­ali­tion mit mehreren Änderungen, wie es aus Kreisen des Gremiums hieß. Übermorgen soll das Vorhaben im Parlament beschlossen werden.

Eigenanbau und Besitz bestimmter Mengen sollen demnach für Volljährige vom 1. April an erlaubt sein. Zum 1. Juli sollen Clubs zum nicht kommerziellen Anbau möglich werden. Für die praktische Umsetzung sind zahl­reiche Regeln und Vorgaben vorgesehen.

Erlaubt werden soll für Erwachsene ab 18 Jahren grundsätzlich der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum. In der eigenen Wohnung sollen drei lebende Cannabispflanzen legal werden und einer Ände­rung zufolge bis zu 50 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum.

Der öffentliche Konsum soll unter anderem in Schulen, Sportstätten und in Sichtweite davon verboten wer­den – konkret in 100 Metern Luftlinie um den Eingangsbereich. Spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes soll es eine erste Bewertung unter anderem dazu vorliegen, wie es sich auf den Kinder- und Jugend­schutz auswirkt.

Wenn der Bundestag das Gesetz beschließt, kommt es noch abschließend in den Bundesrat, zustimmungsbe­dürftig ist es dort aber nicht. Es könnte aber den Weg über den Vermittlungsausschuss nehmen. Dann würde sich die Umsetzung weiter verzögern. Grund ist, dass es von den Ländern, aber auch unter anderem von Medizinern und Innenpolitikern erhebliche Kritik gibt.

Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Lars Castellucci (SPD), will zum Beispiel gegen das Canna­bisgesetz der Ampelkoalition stimmen. „Mein Problem sind fehlender Jugendschutz, mangelnde Möglichkeit der Kontrolle und damit sogar eine Erleichterung kriminellen Handelns. Es ist ein risikoreiches Experiment“, sagte Castellucci den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.

„Für mich selbst kann ich solche Risikofreude an den Tag legen, aber nicht als Gesetzgeber. Ich lehne den Vorschlag daher ab.“ Castellucci leitet den Innenausschuss seit Januar 2022 geschäftsführend, da es bisher keine Mehrheit für einen AfD-Politiker gab.

„Wir haben uns im Koalitionsvertrag auf die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene in lizenzierten Geschäften verständigt. Das wäre auch die richtige Antwort gewesen auf die gescheiterte Drogenpolitik der letzten Jahrzehnte“, sagte Castellucci den Zeitungen.

Die Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic geht davon aus, dass ihre Fraktion geschlossen für das Cannabisgesetz stimmen wird. „Mit Abweichlern rechne ich nicht“, sagte Mihalic. Ihre Fraktion sei „sehr zu­frieden“ mit dem Gesetz.

Scharfe Kritik an der Cannabislegalisierung kommt aus der Union. Diese will das Gesetz nach einem mögli­chen Wahlsieg sogar wieder zurücknehmen. Dies geht aus einem der Rheinische Post vorliegenden Schreiben führender Unionspolitiker an die eigene Bundestagsfraktion hervor.

Darin heißt es demnach, sobald die Union wieder Regierungsverantwortung trage, werde alles darangesetzt, „dieses verantwortungslose Gesetz – sofern es mit der Mehrheit der Ampel tatsächlich beschlossen werden und in Kraft treten sollte – mit seinen schädlichen Auswirkungen zurückzunehmen“.

Der Gesundheitspolitiker Tino Sorge, die Familienpolitikerin Silvia Breher und der Rechtsexperte Günter Krings (alle CDU) kritisieren in dem Schreiben weiter, dass wichtige Reformvorhaben liegen blieben. Statt­dessen „arbeitet die Ampel buchstäblich wie im Rausch daran, eine weitere Droge mit absehbar erheblichen negativen Folgen für die breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen“.

Mediziner wie die Bundesärztekammer (BÄK) oder Landesärztekammern warnen seit Monaten vor den Risiken der Cannabislegalisierung. Heute meldete sich die Landesärztekammer Thüringen zu Wort. „Insbesondere mit Blick auf Kinder und Jugendliche ist diese gänzlich abzulehnen,“ sagte der Präsident der Ärztekammer, Hans-Jörg Bittrich.

Da das menschliche Gehirn bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nicht vollständig ausgereift sei und der Konsum von Cannabis mit strukturellen Veränderungen des Gehirns und kognitiven Funktionsdefiziten ein­hergehe, drohten insbesondere durch frühen Cannabiskonsum im Jugendalter medizinische und soziale Einschränkungen wie die Zunahme von Psychosen, Depressionen oder Angststörungen.

„Die verstärkte Inanspruchnahme medizinischer Hilfe ist auf jeden Fall erwartbar,“ so Kinderarzt Bittrich, „und es ist geradezu deprimierend, wie trotz Vorbehalten und guter begründeter Bedenken, selbst innerhalb der Ampelkoalition, aber auch von Wissenschaftlern, an dem Vorhaben einer kontrollierten Abgabe von Cannabis festgehalten und eine Droge verharmlost wird, die nachgewiesenermaßen abhängig macht.“

Umso wichtiger sind aus Sicht der Landesärztekammer Thüringen entsprechende Präventions- und Frühinter­ventionsprogramme für Kinder und Jugendliche, um ihnen aufklärende evidenzbasierte Informationen zur Wirkung von Cannabis beziehungsweise zu den Risiken des Konsums zur Verfügung zu stellen.

Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) übte ebenfalls Kritik. „Der Kinder- und Jugend­schutz ist weithin zu schwammig und unpräzise“, sagte der Minister in einer Mitteilung. Auch die Erhöhung der erlaubten Besitzmenge beim Eigenanbau verstehe er nicht. „Ich sehe die Gefahr der Verharmlosung, wenn Erwachsene in großem Stil Cannabis besitzen. Das hat eine schlechte Signalwirkung auf Kinder und Jugend­liche“, sagte er.

Mit der geplanten Legalisierung von Cannabis sind aus Expertensicht auch Probleme mit „Mischkonsum“ beim Autofahren zu befürchten. „Wird zu Cannabis etwa noch Alkohol konsumiert, erhöht das die Unfallgefahr“, sagte die Leiterin der Unfall­forschung der Versicherer, Kirstin Zeidler. „Sobald Alkohol im Spiel ist, muss es im Sinne der Verkehrssicherheit daher eine Null-Toleranz-Grenze für Cannabis am Steuer geben. Alkohol und Cannabis zusammen sind unbe­rechenbar.“

Risiken sehen auch viele Jugendliche in der Bevölkerung, wie eine Umfrage der DAK-Gesundheit zeigt. Demnach gehen fast drei Viertel der Jugendlichen von einem erhöhten oder sehr großen Gesundheitsrisiko beim Konsum von Cannabis aus.

74 Prozent der Befragten gaben an, das Risiko, sich körperlich oder auf andere Weise zu schaden, sei hoch. 15 Prozent nehmen kein Gesundheitsrisiko wahr, der Rest ein geringes. Zum Vergleich: 82 Prozent der Befragten halten herkömmliche Zigaretten für gefährlich. Knapp vier Prozent gaben an, im vergangenen Monat Cannabis konsumiert zu haben.

DAK-Vorstandschef Andreas Storm forderte ein umfassendes begleitendes Aufklärungs- und Präventionspro­gramm zur Teillegalisierung von Cannabis. „Wir müssen die vorhandenen Wissenslücken so schnell wie mög­lich füllen. Es muss umfassend darüber aufgeklärt werden, dass Cannabiskonsum gerade bei Heranwachsen­den das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen und schwere Entwicklungsschäden hervorrufen kann, weil das Gehirn bis etwa zum 25. Lebensjahr noch nicht ausgereift ist“, so Storm.

Für die Schulstudie im Auftrag der DAK-Gesundheit hat das Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) in Kiel fast 10.000 Jungen und Mädchen zu ihrer Haltung zu Cannabis, Alkohol und Zigaretten befragt.

dpa/afp/may

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