Politik

SPD streitet sich öffentlich über geplantes Cannabisgesetz

  • Dienstag, 20. Februar 2024
/picture alliance, Fotostand, Reuhl
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Berlin – Der Streit um die kontrollierte Freigabe von Cannabis als Genussmittel nimmt kurz vor dem geplan­ten Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal an Fahrt auf. Kritiker des Vorhabens innerhalb der SPD werfen ihren Fraktionskolleginnen und -kollegen sowie dem Bun­des­gesundheitsministerium (BMG) vor, ihre Anliegen ignoriert zu haben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigt unterdessen an, sie zur Not zu übergehen.

Nach mehrmonatiger Verzögerung will Lauterbach in dieser Woche die erste Säule der im Koalitionsvertrag vereinbarten Legalisierung von Cannabis als Genussmittel durch den Bundestag bringen. Für den morgigen Mittwoch ist die finale Befassung des Bundesgesundheitsausschusses mit dem Gesetzentwurf angedacht, am kommenden Freitag soll dann der Bundestag darüber abstimmen.

Doch der Widerstand einer Reihe von SPD-Innenpolitikerinnen- und -politiker rund um den ehemaligen Vor­sitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, hält an – vor allem, weil er seine Kritik am Entwurf auch in den jüngsten Änderungsanträgen nicht berücksichtigt sieht.

Die Gruppe um Fiedler hatte die eigentlich für Dezember vorgesehene Abstimmung mit ihrem Widerspruch hinausgezögert und dabei insbesondere darauf verwiesen, dass die Pläne Strafverfolgungsbehörden zusätz­lich belasten, die organisierte Kriminalität stärken und eine konsequente Durchsetzung der vorgesehenen Regelungen nicht ermöglichen würden.

Das Schreiben Fiedlers und seines Fraktionskollegen Sebastian Hartmann, das dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) vorliegt, kritisiert neben den inhaltlichen Punkten explizit auch das Vorgehen des Bundesgesundheitsministe­riums und der SPD-Gesundheitspolitiker.

So hätten die Koalitionsfraktionen nach Einbringung des Gesetzentwurfes in den Bundestag eine Reihe von Änderungsanträgen verabredet. Nach einer von den Gesundheitspolitikern der Koalition presseöffentlich ver­kündeten Einigung sei zwar weiterverhandelt worden – allerdings ohne, dass sich daraus inhaltliche Ände­rungen ergeben hätten.

Tatsächlich enthält die jüngst bekanntgewordene Aufstellung der Änderungsanträge zum Gesetzentwurf nur einen Unterschied im Vergleich zur Fassung von Ende November: In einem zusätzlichen Änderungsantrag wurden weitere Evaluationsmaßnahmen ergänzt.

Demnach sollen vom BMG beauftragte unabhängige Dritte unter Beteiligung des Bundeskriminalamtes (BKA) zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes einen Zwischenbericht zu dessen Auswirkungen vorlegen, ein­schließlich der Auswirkungen auf die cannabisbezogene organisierte Kriminalität.

Außerdem soll spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes eine erste Evaluation darüber vorliegen, wie sich das Konsumverbot im ersten Jahr nach Inkrafttreten auf den Kinder- und Jugendschutz ausgewirkt hat, inklusive der Auswirkungen auf deren Konsumverhalten.

Inhaltlich ist die SPD-Gesundheitspolitik damit zumindest nicht sichtbar auf die Einwände ihrer innenpoliti­schen Kollegen eingegangen. In allen anderen Punkten entspräche der kritisierte Entwurf des Cannabisgeset­zes den Einigungen der Gesundheitspolitikerinnen und -politikern, schreiben Fiedler und Hartmann.

Dabei seien „die aus kriminalpolitischer Sicht bestehenden Bedenken (…) bei jeder Gelegenheit unmissver­ständlich artikuliert“ worden. Spätestens seit einer Besprechung am 29. September wüssten die verantwortli­chen Verhandlerinnen und Verhandler unter anderem von einer kompletten Ablehnung des Privatanbaus in Woh­nun­gen und des Konsums im öffentlichen Raum, so Fiedler und Hartmann weiter.

Andere Kritikpunkte seien in Prüfbitten an die Bundesregierung gerichtet worden, allerdings seien die weite­ren Verhandlungen in der Ampel fortan geheim verlaufen – ohne die vorher genannten Kritikpunkte unterein­ander auszuräumen.

Eine Prüfbitte Fiedlers an das BMG in Bezug auf die Frage, ob und inwieweit Kommunen eigene Konsumver­botszonenregelungen erlassen dürfen, habe die Bundesregierung nach seinen Angaben unbeantwortet ge­lassen.

Auf andere Gegenvorschläge seitens der Kritiker des Gesetzes wie den Verzicht auf eine Erlaubnis zum Eigen­anbau sei wiederum gar nicht erst eingegangen worden. „Wir bedauern sehr, dass es zu derartigen Risikobe­grenzungen zu keinem Zeitpunkt Gesprächsbereitschaft gab und im Ergebnis gegen die Interessen der Länder entschieden werden soll, auf die massive Zusatzbelastungen zukämen“, heißt es in dem Schreiben.

Unter Verweis auf die Kritik zahlreicher Organisationen – darunter der Bundesärztekammer (BÄK) sowie der Innenministerinnen und -minister der Länder –, plädieren Fiedler und Hartmann an die Mitglieder ihrer Frak­tion, gegen das Gesetz zu stimmen: „Wir dürfen hier nicht mit dem Kopf durch die Wand. Die ursprünglichen Ziele des Koalitionsvertrages haben wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ohnehin weit hinter uns gelas­sen.“

Unterdessen warben die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens, und ihre Fraktionskollegin Dagmar Schmidt in einem weiteren Schreiben an ihre Fraktionskollegen für eine Ver­abschiedung des Gesetzes.

„Der Gesundheitsschutz aller, insbesondere aber der Schutz von Kindern und Jugendlichen, ist zentrales Ziel des Gesetzes und hat bei der Umsetzung höchste Priorität“, beteuern sie darin. „Mit dem abschließend verhan­delten Gesetzentwurf erkennen wir ausdrücklich die gesellschaftlichen Realitäten an und schaffen, einen Pa­radigmenwechsel in der Cannabispolitik“.

Mit Blick auf die von Fiedler kritisierten Schwierigkeiten bei der Durchsetzung durch die Länder betonen sie darin, dass der Konsum von Cannabis in der Öffentlichkeit grundsätzlich dem Rauchen gleichgestellt werde. Den Ländern bleibe es deshalb unbenommen, den allgemeinen Nichtraucherschutz im Rahmen ihrer Zu­ständigkeiten umzusetzen.

Zudem würden sie mit dem Cannabisgesetz einen gesundheitspolitischen Ansatz verfolgen, der einen deutlich risikoärmeren Konsum begünstigen soll. So müssten die Anbauvereinigungen ein Gesundheits- und Jugend­schutzkonzept erstellen sowie einen Sucht- und Präventionsbeauftragten benennen, der geeignete Maßnah­men für einen umfassenden Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz sowie zur Suchtprävention der Mitglieder sicherstellen soll.

Auf Fiedlers Vorwurf, die Pläne erschwerten die Bekämpfung organisierter Kriminalität, erklären sie, dass der Entwurf ganz im Gegenteil eine Reihe von Maßnahmen wie verdeckte Ermittlungsmaßnahmen der Strafver­folgungsbehörden wie Telekommunikationsüberwachung oder Onlinedurchsuchung zu deren Stärkung vor­sehe.

„Auf dieser verschärften Grundlage können insbesondere organisierte Großdealer mit noch effektiveren Mitteln des Rechtsstaats verfolgt werden“, heißt es in dem Schreiben, das dem ebenfalls vorliegt. „Aber gerade auch Kleindealer auf der Straße können natürlich weiterverfolgt werden, wenn über den erlaubten Besitz hinaus Indizien für einen illegalen Handel vorliegen (etwa Abpackung in verkaufsfertigen Kleinmen­gen, Geld in szeneüblicher Stücklung etc.).“

Trotz der nahenden Befassung des Bundestages mit dem Gesetz verbleiben noch Hoffnungen, den fraktions­internen Streit auszuräumen, zumindest bei Fraktionschef Rolf Mützenich. Der Brief Fiedlers und Hartmanns sei „nicht sehr hilfreich“, erklärte er heute vor der Fraktionssitzung.

„Am Ende wird es dann aber auch zu einer gemeinsamen Entscheidung der Fraktion kommen“, sagte Mütze­nich. „Das ist mein Auftrag als Fraktionsvorsitzender. Wer sich dann noch schwertut – das kann ich mit jedem dann im Einzelnen erörtern.“ Alle Abgeordneten sollten die Gelegenheit haben, „ihre Unterstützung, aber auch ihre Bedenken zu sagen“.

Weniger konziliant zeigte sich währenddessen Lauterbach, der sich zur Not über die Ablehnung in den eige­nen Reihen hinwegsetzen will. Er wolle das Gesetz noch in dieser Woche im Bundestag durchbringen und rechne mit einer parlamentarischen Mehrheit für die Vorlage, sagte er heute im Deutschlandfunk.

In Fiedlers und Hartmanns Brief sei „kein einziges neues Argument“ enthalten, kritisierte er. „Wenn wir uns jetzt öffentlich Briefe schreiben – das ist nicht schön, aber auch damit leben wir.“ Das Gesetz werde durch den Bundestag gehen, kündigte er an.

lau/bee/dpa/afp

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