Politik

Gesetzliche Krankenversicherung: Diskussion um Basistarif, Leistungskürzungen nicht ausgeschlossen

  • Mittwoch, 10. September 2025
/YK, stock.adobe.com
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Berlin – In der Diskussion um die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) kommen aus dem Haus des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) Vorschläge für einen Basistarif und der Ruf nach mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen. Leistungskürzungen werden nicht mehr ausgeschlossen.

Versicherte könnten individuell Zusatzleistungen auf einen Basistarif in der GKV dazu buchen, hatte der Parlamentarische Staatssekretär im BMG, Tino Sorge (CDU), heute der Bild gesagt. „Immer neue Beitragsanstiege können keine Lösung sein.“

Konkret könnten Versicherte viele passgenaue Tarife angeboten bekommen, erläuterte Sorge. „Sprich: Kassen bieten viel günstigere Tarife an – die eine gute Grundversorgung beinhalten – und darüber hinaus weitere Pakete, die man individuell dazu bucht.“

Als Beispiel für zusätzliche Leistungen nannte er die Kostenübernahme bei Brillen: „Es wäre ein Gewinn, wenn man sich solche Bausteine in der GKV zusätzlich versichern könnte“, so Sorge. Ähnlich hatte er sich gestern in der Magdeburger Volksstimme geäußert.

Nach Aussagen von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) gehören die Überlegungen von Sorge allerdings nicht dazu, die Beiträge 2026 stabil zu halten. Das verdeutlichte sie heute im Bundestag in einer Regierungsbefragung.

An einem Vorschlag für einen Basistarif werde in ihrem Haus nicht gearbeitet. Dieser könne aber auch in der GKV-Reformkommission besprochen werden – „wie alle Themen, auch Leistungskürzungen, Einnahmeseite und Ausgabeseite“, betonte die Ministerin im Parlament. Sie sei für eine bessere Steuerung und Effizienzhebung im System und „gegebenenfalls auch Leistungskürzungen“. Sie habe aber „persönlich heute keine Vorschläge für Leistungskürzungen gemacht“.

Mittel- und langfristige Vorschläge müsse die GKV-Reformkommission vorlegen. Da gebe es „keine Denkverbote“, so Warken. Die Kommission soll in den kommenden Tagen vorgestellt werden und ihre Arbeit aufnehmen. Sie soll der Ministerin zufolge aus einem Wissenschaftlerteam unterschiedlicher Fachdisziplinen bestehen. Vorschläge sollen bereits im Frühjahr 2026 vorliegen. Im Koalitionsvertrag ist noch ein Zeitraum bis 2027 genannt.

Ähnlich hatte sich Warken zuvor beim Sender RTL/n-tv geäußert. Sie hatte dort betonte, es gebe „verschiedene Optionen, die da auf dem Tisch lägen, die kurzfristig zu Einsparungen führen würden“, so Warken. „Wir reden im Moment noch nicht über konkrete Maßnahmen, sondern über eine grundsätzliche Richtung, wie wir vorgehen.“

Warken stellte sich dabei auch hinter die von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) angekündigte Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen in den Sozialversicherungen. Bas setze lediglich die jährliche Anpassung an die Lohnentwicklung um, sagte sie. „Das ist auch in Ordnung so.“

Weitere Steigerungen lehnte Warken allerdings ab. „Darüber hinaus sehe ich keinen Bedarf, die Beitragsbemessungsgrenze jetzt noch weiter zu erhöhen und die Menschen da noch weiter zu belasten.“

Die Ministerin forderte Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) zu einem weiteren Bundeszuschuss für die Krankenkassen auf. „Das sage ich seit einigen Wochen, dass wir da zusätzlich Mittel brauchen aus dem Haushalt.“ Diese Mittel seien nötig, bis die Reformen der Bundesregierung wirkten. „Das wird noch eine Weile dauern, also braucht es entweder Geld, oder wir müssen uns über kurzfristige Maßnahmen unterhalten, wie wir die Beiträge stabilisieren.“

Die Koalition will erneute Beitragsanhebungen Anfang 2026 noch abwenden. Hintergrund ist, dass bisher vorgesehene Finanzspritzen aus dem Bundeshaushalt nicht reichen, um absehbare Defizite aufzufangen. Vorgesehen sind bisher für 2025 und 2026 Darlehen.

Debatte um Basistarif

Der Vorstoß von Sorge zur Basis-Krankenversicherung mit buchbaren Zusatzleistungen führte heute zu Diskussionen im Gesundheitswesen. „Ein Basistarif in der gesetzlichen Krankenversicherung würde das bestehende Zwei-Klassen-System aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu einem Drei-Klassen-System ausbauen“, kritisierte die Vize-Vorsitzende der Grünen im Bundestag, Misbah Khan. „Damit würde das System noch ungerechter und unsolidarischer.“

„Diskussionen um Basis- und Zusatztarife für die 75 Millionen gesetzlich Versicherten lenken von dem eigentlichen Problem ab“, sagte der Chef des GKV-Spitzenverbands, Oliver Blatt. Das seien kostentreibende Strukturen etwa bei Krankenhäusern oder nachteiligen Vorgaben für Preisverhandlungen der Kassen bei neuen Arzneimitteln. Die würden dadurch nicht geändert. Es brauche keine Diskussion um Tarife, sondern durchgreifende Reformen. Blatt warb erneut dafür, den Anstieg der Ausgaben ohne Leistungskürzungen zu begrenzen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte davor, die Grundversorgung zu einer Minimalversorgung zu machen. „Gute Gesundheitsleistungen dürfen nicht nur Luxus für Besserverdienende sein“, sagte Vorstandsmitglied Anja Piel. Der Vorschlag werfe zudem Fragen auf. „Weitere Beitragssteigerungen sollen nicht kommen, und trotzdem soll sich niemand in seinem Versicherungsschutz verschlechtern – wie soll das gehen?“

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) begrüßte die Debatte. „Es geht nicht darum, den Versicherten etwas wegzunehmen. Eine gute und umfassende Versorgung muss gewährleistet sein – und zwar für alle“, sagte KBV-Vorstandschef Andreas Gassen. „Aber warum sollten die Bürgerinnen und Bürger nicht selbst entscheiden können, ob sie freiwillig Pakete hinzuwählen oder nicht?“

Zusatzversicherungen zur gesetzlichen Krankenversicherung gibt es bereits. Wer zum Beispiel bessere Leistungen beim Zahnersatzsatz oder eine Chefarztbehandlung im Krankenhaus wünscht, kann es über private Zusatzversicherungen absichern. Krankenkassen bieten grundsätzlich auch Wahltarife an. So gibt es Tarife, bei denen man eine Prämie bekommen kann, wenn man sich verpflichtet, immer zuerst in eine Hausarztpraxis zu gehen.

Die Private Krankenversicherung (PKV) bezeichnete es heute als kontraproduktiv, das Leistungsangebot der Krankenkassen auszuweiten. „Die aktuelle Debatte über die Finanzlage der sozialen Sicherungssysteme zeigt, dass die umlagefinanzierte Gesetzliche Krankenversicherung bereits jetzt an ihre Grenzen stößt“, sagte PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther. Um die Sozialversicherungen zu stabilisieren und zukunftsfest aufzustellen, sei mehr kapitalgedeckte Vorsorge notwendig.

Mit dem breiten Angebot an privaten Zusatzversicherungen hätten gesetzlich Versicherte schon heute eine große Wahlfreiheit, um den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung aufzustocken. Ein Blick auf die Zahlen zeige, dass dieses Angebot breit genutzt werde. Derzeit liege die Zahl der Zusatzversicherungen bei mehr als 31 Millionen. Das seien sechs Millionen mehr als noch vor zehn Jahren.

„Zudem wäre ein Angebot von Zusatzversicherungen durch die GKV wettbewerbswidrig: Denn die gesetzlichen Kassen sind als Sozialversicherungen von der Steuer befreit, hinterlegen kein Eigenkapital und bilden keine Rücklagen“, so Reuther. Auch die für die PKV geltenden strengen Vorgaben für die Beitragskalkulation würden für die Krankenkassen nicht gelten. „Das Ergebnis wäre eine klare Wettbewerbsverzerrung zulasten der PKV.“

dpa/kna/may

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