Politik

Gesundheits­ausschuss: GKV-Spargesetz im Kreuzfeuer

  • Mittwoch, 28. September 2022
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Berlin – Das geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) trifft nach wie vor auf massiven Wider­stand der Ärzte. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, kritisierte heute im Bundesgesundheitsausschuss vor allem die geplante Streichung der Neupatienten­re­gelung erneut als faktische Leistungskürzung.

Rund ein Drittel aller Ärzte in Deutschland sei von der Streichung der extrabudgetären Vergütung für die Auf­nahme von Neupatienten betroffen, erklärte auch der Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands (Spifa), Dirk Heinrich, im Gesundheitsausschuss des Bundestages.

Allerdings sei die Betroffenheit ungleich verteilt und treffe vor allem wohnortnahe Fachversorger sowie Praxen in sozialen Brennpunkten mit hoher Bevölkerungsfluktuation. „Am schlimmsten ist aber der psychische Effekt“, sagte Heinrich. Die Streichung werde von vielen Ärzten als Vertragsbruch der Politik und massiver Vertrauens­ver­lust wahrgenommen.

Die Politik müsse deshalb Alternativen zur Streichung der Regelung finden, beispielsweise über einen Festbe­trag oder eine prozentuale Regelung. „Alternativen sind möglich und müssen überlegt werden. Alles andere ist unfair und unsozial“, erklärte er und stimmte Gassen zu, dass es sich faktisch um eine Leistungskürzung han­delt, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seit Amtsantritt kategorisch auszuschließen vorgibt.

„Es wird dazu kommen, dass Ärzte die wegfallenden Beträge ausgleichen müssen, zum Beispiel durch Personal­abbau“, prognostizierte er. Die Budgetierung verstärke das Problem des Fachkräftemangels, kritisierte er – und damit auch Terminprobleme und andere Defizite.

Hier stimmte Gassen zu, der eine Abschaffung der Budgetierung forderte. „Wenn es dauerhaft bei einer be­schränkten Geldmenge bleibt, ist es nur ehrlich, zu sagen, dass es dann zu Leistungskürzungen kommt“, erklärte er.

Gassen warf Lauterbach vor, sich Gegenargumenten zu verweigern und verwies dabei auf die Studie des Zent­ralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) bisher öffentlich totgeschwiegen und intern als methodisch nicht überzeugend eingeschätzt werde. „Der Minister kennt die Studie“, sagte er. „Sie ist nicht aus Harvard, aber sie belegt, dass die Neupatientenregelung greift.“

Der GKV-Spitzenverband wiederum hielt mit eigenen Zahlen dagegen: seit Einführung habe die Neupatien­ten­rege­lung 1,5 Milliarden Euro zusätzlich gekostet, erklärte Markus Grunenberg, der seit diesem Monat den Stabs­bereich Politik leitet. Eine Steigerung der Patientenzahlen hingegen ließe sich nicht belegen. „Im Gegen­teil, wir gehen eher von Mitnahmeeffekten aus bei Behandlungen, die ohnehin durchgeführt worden wären“, erklärte er.

Lieber mehr Niedergelassene als mehr MVZ

Auch mit der geplanten Erleichterung für Kassenärztliche Vereinigungen, eigene Medizinische Versorgungs­zent­ren (MVZ) zu gründen, verbindet Gassen keine allzu großen Hoffnungen. „Grundsätzlich ist die Möglichkeit sinnvoll“, sagte er. „Wir müssten aber vielmehr dafür sorgen, dass es attraktiver wird, sich niederzulassen.“

Bisher hat die aktuelle Bundesregierung aber noch nicht allzu viel für die Niedergelassenen getan, kritisierte auch Heinrich mit Blick auf mögliche Einsparungen durch eine stärkere Ambulantisierung bisher stationär er­brachter Leistungen. „Das Potenzial ist erheblich, aber es wird darauf ankommen, dass es auch den Niederge­lassenen ermöglicht wird“, erklärte er auch mit Blick auf die aktuellen Empfehlungen der Krankenhauskom­mission des BMG.

Schutzzäune um Krankenhäuser

Die sieht die Einbeziehung der Niedergelassenen erst in einer zweiten Reformstufe vor, die frühestens ein Jahr nach Inkrafttreten der Neuregelungen in den Krankenhäusern erarbeitet werden soll. „Jetzt sieht es ja eher so aus, als ob die Ampelkoalition Schutzzäune um die Krankenhäuser ziehen will“, sagte er. So würden viele Po­tenziale ungehoben bleiben.

Auch die Krankenhäuser zeigen sich jedoch wenig zufrieden mit den aktuellen Spar- und Hilfsplänen. Sie hät­ten nach aktuellen Berechnungen mit einer Steigerung von 2,6 Milliarden Euro bei den Sachkosten und 1,6 Milliarden Euro zusätzlicher Energiekosten zu kämpfen, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kran­kenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß: „Bisher steht uns als DKG kein Instrument zur Verfügung, das durch Verhandlungen auszugleichen.“

Den Krankenhäusern unter die Arme greifen will die CDU-Bundestagsfraktion mit einem Antrag auf ein Sofort­hilfeprogramm für Krankenhäuser zur Abfederung unvorhersehbarer inflationsbedingter Kosten­steigerungen, wonach die Bundesregierung einen unterjährigen Rechnungszuschlag mit Wirkung ab dem 1. Juli 2022 in Höhe von 4,54 Prozent im Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) sowie in Höhe von 2,27 Prozent in der Bundespfle­ge­satzverordnung (BPflV) gesetzlich implementieren soll, um die kurzfristig nicht refinanzierten Kostenstei­gerungen abzufedern.

Dieser Rechnungszuschlag würde – vor allem, weil er erst ab Jahresmitte gilt – nur ein Gesamtvolumen von 1,3 bis 1,4 Milliarden Euro darstellen, erläuterte Gaß. „Das wäre angesichts der von mir beschriebenen Belastungen deutlich zu wenig, um diese Kostensteigerungen abzudecken.“ Prinzipiell begrüße die DKG den Unionsantrag deshalb zwar, der Rechnungszuschlag müsse aber bereits ab Januar 2022 gelten.

Zwischenzeitlich haben auch die Ampelfraktionen sogenannte Prüfbitten vorgelegt, mittels derer sie das BMG veranlassen wollen, Sachverhalte und Alternativvorschläge zu prüfen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Ampelfraktionen noch Änderungsanträge zum Entwurf eines GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes einbringen werden.

So bittet etwa die FDP das BMG, Alternativen zur Streichung der Neupatientenregelung zu prüfen – etwa einen Honorardeckel, der ähnlich der Regelung bei den Vertragszahnärzten die Steigerung der Vergütung über eine verminderte Veränderungsrate beinhalten könnte. Dabei sollen mögliche Auswirkungen auf die unterschiedli­chen Arztbereiche beachtet werden. Es ist eine der Alternativen, die Heinrich ansprach.

Als weitere Variante schlägt die FDP einen auf das Jahr 2023 und 2024 begrenzten prozentualen Abschlag auf alle Leis­tungen außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung vor. Als Beispiel nennen die Liberalen eine pauschale Höhe von zwei Prozent. Außerdem solle dargestellt werden, wie die Versorgungsbereiche und welche Arztgruppen davon betroffen wären.

Die Grünen wiederum bitten das BMG, eine Datengrundlage herzustellen und zu prüfen, wie sich die Zahl der Neupatienten von Ende 2018 bis Ende 2021, beziehungsweise bis Mitte 2022 entwickelt hat. Zudem fragt die Fraktion nach der Entwicklung der Wartezeiten gesetzlich Versicherter.

Die SPD-Fraktion will wiederum, dass ein dynamischer Bundeszuschuss geprüft wird, der aufgrund der Inflation angepasst werden kann. Die SPD-Fraktion erinnert das BMG auch nochmal an das Vorhaben im Koalitionsver­trag, höhere Beiträge für Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln des Bundes zu übernehmen. Kon­kret wollte die Fraktion wissen, ob der Beschluss aus dem Koalitionsvertrag sofort umgesetzt werden könne.

Ein dynamischer Bundeszuschuss und eine ausreichende Übernahme der Beiträge von ALG-II-Beziehenden ste­hen ganz oben auf der Wunschliste des GKV-Spitzenverbandes. „Die Bundebeteiligung zu dynamisieren, ist längst überfällig“, klagte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer. Dabei müsse die Summe an den Anstieg der Leistungsausgaben gekoppelt werden. „Für uns ist besonders wichtig, dass das eine regelbasierte Dynamisierung ist“, sagte sie.

lau/cmk

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