Gewissensentscheidung im Bundestag zum selbstbestimmten Sterben

Berlin – Der Bundestag will morgen über eine Neuregelung der Suizidbeihilfe entscheiden. Zur Abstimmung stehen zwei Gesetzentwürfe von fraktionsübergreifenden Gruppen, die heute den Rechtsausschuss passierten.
Zwei der ursprünglich drei Entwürfe – den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (20/2332) und den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Renate Künast (20/2293) – legte der Ausschuss auf Antrag der beiden Gruppen zusammen. Der dritte Entwurf der Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (20/904) passierte das Gremium in geänderter Fassung.
Beide Entwürfe eint, dass mit ihnen Voraussetzungen geschaffen werden sollen, unter denen Suizidwillige Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erhalten können. Dazu sind unter anderem Änderungen im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen. Beide Entwürfe sehen zudem eine Regulierung der Werbung für Hilfe zur Selbsttötung im Heilmittelwerbegesetz sowie jeweils eine Evaluierung vor.
Hintergrund der Neuregelung ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Das Gericht hatte 2020 das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt und betont, dass die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, – als Ausdruck des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben – auch die Freiheit umfasse, „hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“.
Der Castellucci-Entwurf strebt diesbezüglich eine Regelung im Strafgesetzbuch an, die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellt – und Ausnahmen normiert, unter denen Förderungshandlungen nicht rechtswidrig sind.
Nicht rechtswidrig soll die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe dann sein, wenn der suizidwillige Mensch „volljährig und einsichtsfähig“ ist, sich mindestens zweimal von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder einem Psychotherapeuten hat untersuchen lassen und mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat.
Zudem sind Wartezeiten vorgesehen: Zwischen den beiden Untersuchungsterminen sollen mindestens drei Monate liegen. Nach der abschließenden Untersuchung soll dann noch eine „Wartefrist“ von zwei Wochen bis zwei Monaten zur Selbsttötung mit entsprechenden Medikamenten liegen. Bei Menschen mit besonders hohem Leidensdruck soll ein Untersuchungstermin reichen.
Ein zunächst vorgeschlagener neuer Strafrechtsparagraf gegen „Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung“ wurde in der Sitzung des Rechtsausschusses heute aus dem Entwurf gestrichen. Neu eingefügt wurde ein Passus, wonach „Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens“ grundsätzlich nicht verpflichtet seien, an einer Selbsttötung mitzuwirken oder die „Durchführung von Förderungshandlungen zur Selbsttötung“ in ihren Räumlichkeiten zu dulden. Entsprechende Forderungen hatten Vertreter aus der Hospizbewegung in der Sachverständigenanhörung geäußert.
Der Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast sieht im Kern ein neues Suizidhilfegesetz vor, dass das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung und auf Unterstützung von suizidwilligen Personen stützt. Danach soll mit diesem Gesetz normiert werden, dass „jeder, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte“, das Recht hat, „hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen“.
Zudem soll auch das „Recht auf Hilfeleistung“ festgeschrieben werden. Die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments durch einen Arzt setzt laut Entwurf grundsätzlich eine Beratung voraus. Zudem ist eine Härtefallregelung vorgesehen und eine Regelung, die eine Abgabe ohne ärztliche Verschreibung vorsieht.
Keine Pflicht zur Hilfe zur Selbsttötung
Eine Pflicht zur Hilfe zur Selbsttötung soll laut Entwurf ausgeschlossen werden, ebenso soll es nicht möglich sein, einer Person „aufgrund ihrer Berufszugehörigkeit“ die Mitwirkung beziehungsweise die Nichtmitwirkung an der Hilfe zur Selbsttötung zu untersagen.
Laut Entwurf soll das Gesetz „eine autonome und vollinformierte Entscheidungsfindung suizidwilliger Personen sicherstellen“. Wesentlich zur Feststellung des autonom gebildeten, freien Willens ist eine Beratung. Die Länder sollen dafür Sorge tragen, staatlich anerkannte Beratungsstellen einzurichten.
Die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments setzt laut Entwurf eine Beratung in einer solchen Beratungsstelle voraus, zudem soll der verschreibende Arzt verpflichtet sein, „die suizidwillige Person mündlich und in verständlicher Form über sämtliche für die Selbsttötung wesentlichen medizinischen Umstände aufzuklären“.
Bei erkrankten suizidwilligen Personen ist zudem „auch auf Behandlungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Palliativmedizin hinzuweisen“. Die Verschreibung soll dann möglich sein, wenn die suizidwillige Person sich höchsten zwölf Wochen und mindestens drei Wochen vorher hat beraten lassen.
Mehrere Ärztevertreter und Fachverbände warnten im Zusammenhang mit der anstehenden Bundestagsabstimmung vor einer zu weit gehenden Liberalisierung der Sterbehilfe. Dies würde einer „gesellschaftlichen Normalisierung des Suizids Vorschub leisten“, betonte etwa der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt.
Der Psychiatriefachverband DGPPN forderte eine bessere Suizidprävention statt leichterer Sterbehilfe – denn häufig seien suizidale Menschen aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung überhaupt nicht in der Lage, „diese Entscheidung frei und selbstbestimmt zu treffen“.
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