Ausland

Großbritannien: Gesundheitsminister Javid zurückgetreten

  • Mittwoch, 6. Juli 2022
Sajid Javid /picture alliance, Photoshot
Sajid Javid /picture alliance, Photoshot

London – Der britische Premierminister Boris Johnson steht wegen immer neuer Skandale seit Monaten mas­siv unter Druck. Alkoholgeschwängerte Partys am Regierungssitz während des Coronalockdowns brachten ihm ein Misstrauensvotum der eigenen Partei ein, hinzu kommt eine ganze Reihe von Sexskandalen in der konser­va­tiven Regierungspartei.

Nun zogen zwei wichtige Minister die Konsequenzen: Aus Protest gegen Johnsons Amtsführung reichten Ge­sundheitsminister Sajid Javid und Finanzminister Rishi Sunak gestern Abend ihren Rücktritt ein. Schon zuvor hatte es Spekulationen gegeben, dass beide möglicherweise Johnsons Nachfolge anstreben.

Javid war seit Sommer 2021 Gesundheitsminister. Für ihn ist es nicht der erste Weggang aus Johnsons Kabi­nett. Nach nur sieben Monaten legte er das Amt des Finanzministers nieder, nachdem Johnsons damaliger Chefberater Dominic Cummings ihn zwingen wollte, alle seine Topberater auszutauschen.

Javids Weigerung und sein Rücktritt bremsten seine bis dahin steile politische Karriere ab. So war er zuvor unter der früheren Premierministerin Theresa May Innenminister und als Finanzminister kurz vor dem Brexit faktisch der zweitwichtigste Mann im Staat.

Javid hatte sich Anfang Juni in der Kontroverse um Partys am Regierungssitz während des Coronalockdowns noch hinter Johnson gestellt. Danach folgte der Sex-Skandal um den stellvertretenden Parlamentarischen Geschäftsführer der Tory-Partei, Chris Pincher, der zwei Männer sexuell belästigt haben soll.

Nun erklärte Javid in seinem Rücktrittsschreiben an Johnson, ihm sei „klar, dass sich die Situation unter Ihrer Führung nicht ändern wird, und Sie haben deshalb mein Vertrauen verloren“. Johnson reagierte sofort. Er machte seinen bisherigen Stabschef Steve Barclay zum neuen Gesundheitsminister.

Nach dem Rücktritt des Finanz- und Gesundheitsministers verliert der britische Premierminister Boris Johnson weitere Regierungsmitglieder. Der für Familie und Kinder zuständige Staatssekretär Will Quince und die dem Verkehrsstaatssekretär zuarbeitende Abgeordnete Laura Trott reichten heute ihren Rücktritt ein. Auf Johnsons Programm standen heute gleich zwei unangenehme Fragerunden im Parlament.

Damit wurde Johnson in die vielleicht größte Krise seiner Amtszeit gestürzt. Die imes schrieb unter der Über­schrift „Johnson am Abgrund“, der „anscheinend koordinierte“ Ministerrücktritt könnte den „Todesstoß für den Premierminister“ bedeuten. Auch der Guardian und die Financial Times sahen Johnson „am Abgrund“.

Sunaks und Javids Rücktritte erfolgten wenige Minuten, nachdem Johnson sich dafür entschuldigt hatte, einen unter dem Verdacht der sexuellen Belästigung stehenden Tory-Vertreter zum stellvertretenden Parlamentari­schen Geschäftsführer gemacht zu haben.

Vize-Geschäftsführer Chris Pincher war Ende vergangener Woche zurückgetreten, nachdem er zwei Männer sexuell belästigt hatte. Dabei wurde bekannt, dass es bereits in der Vergangenheit Vorwürfe gegen ihn gege­ben hatte. Johnson hatte dies zunächst dementieren lassen, dann aber doch einräumen müssen.

Die Regierungspartei war in den vergangenen Monaten von einer ganzen Reihe von Sexskandalen erschüttert worden. Hinzu kommt der Skandal um alkoholgeschwängerte Partys am Regierungssitz während des Corona-Lockdowns.

Die Regierungskrise kommt zur Unzeit. Großbritannien kämpft angesichts der immens gestiegenen Lebens­haltungskosten mit einer historischen Krise. Die Inflation ist so hoch wie seit rund 40 Jahren nicht mehr. Heute senkt die Regierung die Sozialversicherung für Millionen Menschen mit kleineren Einkommen. Johnson hoffte damit auf einen Befreiungsschlag.

afp/dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung