Große Themenvielfalt, Beschlüsse am Dienstag

Berlin – Kommerzialisierung des Gesundheitssystems, Fremdkapital in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), Organspende, Cannabis in der Medizin, Gewalt gegen Ärzte, Ärger bei der Digitalisierung in den Praxen: Die rund 250 Delegierten diskutierten heute beim 125. Deutschen Ärztetag in Berlin ein breites Feld an Themen aus der ärztlichen Berufspolitik. Über entsprechende Anträge wollen die Delegierten wegen Softwareproblemen am morgigen Dienstag abstimmen.
Anlässlich des Leitantrages des Vorstandes der Bundesärztekammer (BÄK) zur Kommerzialisierung in der Medizin kritisierten viele Delegierte die Tendenzen, dass Medizinische Versorgungszentren (MVZ) ins Visier von Spekulanten sowie Fremdkapitalgebern aus verschiedenen Bereichen gekommen sind. Hier müsse auch mit einem Bundesgesetz umgesteuert werden, so dass keine „Rosinenpickerei“ bei einigen Facharztgruppen sowie in einigen Regionen geschehe.
Deutliche Kritik auch am Stand der Digitalisierung und dem Ausbau der Telematikinfrastruktur: Hier dürften niedergelassene Ärztinnen und Ärzte nicht bestraft werden, wenn die Technik nicht funktioniere. Feldversuche müssten ausgedehnt werden, damit der Alltag in den Praxen nicht überlastet werde, hieß es.
Es müsse darauf geachtet werden, dass auch die Medizinischen Fachangestellten von der fehlerhaften Technik betroffen seien. Und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei schon durch die Coronapandemie eine hohe Arbeitslast zusätzlich nicht weiter zu rechtfertigen. Auch müsse für die MFA nach monatelanger Forderung nach einem Coronabonus auch „endlich“ umgesetzt werden.
Um den Ärztemangel zu begegnen, forderten mehrere Delegierte mehr Studienplätze für Medizin. Während einige Quoten forderten, sprachen sich andere explizit dagegen aus. Gerade der Öffentliche Gesundheitsdient (ÖGD) dürfe kein „arztfreier“ Bereich werden, warnte die Leiterin des Gesundheitsamts in Gütersloh, Anne Bunte, Delegierte aus Westfahlen-Lippe.
Um eine qualitativ hochwertige Ausbildung von zukünftigen Ärzten zu gewährleisten, müsse die Lehre auf allen beteiligten Ebenen finanziell und personell gestärkt und qualitativ verbessert werden, erklärten sie. „Allein in Mecklenburg-Vorpommern gehen in den nächsten Jahren etwa die Hälfte aller Ärztinnen und Ärzte in den Ruhestand“, sagte zum Beispiel Andreas Crusius, Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern. „Wir müssen etwas gegen den Mangel tun“.
Notwendig seien neben mehr Studienplätzen auch verstärkte Bemühungen, die jungen Ärzte für die kurative Medizin zu begeistern, betonten die Delegierten. Dies könne nur gelingen, wenn auch die Ausbilder an den Universitäten und in den Lehrpraxen dafür die zeitlichen und finanziellen Kapazitäten erhalten würden.
„Ausbildung gibt es nicht zum Nulltarif und kann nur dann qualitativ hochwertig erfolgen, wenn neben Patientenversorgung und Forschung auch die Lehre für die Ausbildung unseres Nachwuchses eine gleichwertige Stellung erhält und somit der hohe Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland gewahrt wird“, heißt es in einem Antrag, der morgen zur Abstimmung steht.
Der Ärztetag beschäftigte sich heute zudem mit der Situation des Mangels an postmortalen Organspendern, unter dem mehr als 9.000 Patienten auf den Wartelisten leiden. Dabei sprach sich der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) dafür aus, den Spenderkreis bei der Lebendorganspende auszuweiten.
Aus Sicht der BÄK sollte künftig eine Cross-over-Lebendspende – wie sie bereits in anderen Ländern erlaubt ist – auch in Deutschland ermöglicht werden. Dazu sind jedoch gesetzliche Neuregelungen erforderlich. „Die Lebendorganspende muss auf Basis des aktuellen Standes der Wissenschaft neu geregelt und gedacht werden“, forderte Günther Matheis, Präsident der Ärztekammer Rheinland-Pfalz.
Konkret müsste Paragraf 8 Absatz 1 des Transplantationsgesetzes (TPG) erweitert werden, damit ein Spender-Empfänger-Paar mit einem geeigneten zweiten Paar vereinbaren kann, dass zwei Lebendorganspenden kreuzweise durchgeführt werden.
Zudem schlug der BÄK-Vorstand vor, die Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer für den Gesamtbereich der Lebendorganspende festzuschreiben. Bisher beschränkt sich die Richtlinienkompetenz auf den Empfängerschutz und ist zeitlich auf die Vornahme der Lebendorganspende und Auffälligkeiten in der Nachsorge des Spenders beschränkt.
Gegenstand der heutigen Debatte auf dem DÄT war auch eine mögliche Legalisierung von Cannabis. Dieser stehen viele Delegierte sehr kritisch gegenüber. Der Vorstand der BÄK warnte vor den möglichen Risiken für die Gesundheit der Konsumierenden und den möglichen Folgen für die medizinische Versorgung.
Es gebe aus mehreren Ländern Hinweise, dass es im Zuge einer Legalisierung zu einem Anstieg des Konsums sowie zu einer Zunahme cannabisbedingter Notaufnahmen komme. Auch zeige sich in diesen Ländern ein erhöhter psychiatrischer Behandlungsbedarf.
Zu bedenken sei zudem ein zu erwartender Anstieg cannabisbedingter tödlicher Verkehrsunfälle und Suizide. „Die Legalisierung verharmlost auch die gesundheitlichen Gefahren, negativen Folgen und Langzeiteffekte des Cannabiskonsums für Kinder und Jugendliche“, heißt es in einem Antrag.
Christoph Freiherr Schoultz von Ascheraden und Paula Hezler-Rusch, beide Abgeordnete der Landesärztekammer Baden-Württemberg, warben dafür, im Verlauf der zu erwartenden Diskussion und Gesetzgebung zur Regulierung des Cannabiskonsums konstitutiv und vorrangig ein Präventionsprogramm für Jugendliche unter Mitwirkung der zuständigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften zu erarbeiten.
Betroffene junge Menschen, Erstkonsumierende und Gelegenheitskonsumierende dürften jedoch nicht in die Illegalität gedrängt werden, warnte Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Ärztekammer. Der Besitz geringer, noch zu definierender Mengen von Cannabis sowie anderer Drogen dürfe zukünftig nicht mehr durch das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) strafbewehrt sein, sondern sollte als Ordnungswidrigkeit mit einer Beratungsauflage geahndet werden.
Mit Nachdruck forderte der Ärztetag heute, Maßnahmen zur Gewaltprävention auszubauen und umfangreiche Kampagnen zu initiieren. Gewalt gegen Hilfeleistende, gegen Ärztinnen, Ärzte und medizinisches Personal müsse gesellschaftlich geächtet werden.
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