Hausärztliche Forschungspraxen auf dem Vormarsch

Berlin – Die Initiative Deutscher Forschungspraxennetze (DESAM-ForNet) ist gekommen, um zu bleiben. Bei ihrem gestrigen Symposium „Gemeinsam forschen für Gesundheit – Universitätsmedizin in Klinik und Praxis“ zog die Initiative, die den bundesweiten Aufbau von Forschungsinfrastruktur im hausärztlichen Setting vorantreibt, eine positive Bilanz.
Zugleich schaute sie optimistisch in die Zukunft. Denn angesichts des bereits etablierten Forschungspraxennetzwerks hofft sie jetzt, gegen Ende der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektlaufzeit 2020 bis 2025, auf eine weitere Förderperiode.
„Wir sind stolz und glücklich über Erreichtes“, sagte Ferdinand M. Gerlach, Vorsitzender der Deutschen Stiftung für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DESAM). Die deutschlandweiten hausärztlichen Forschungspraxen seien mittlerweile unverzichtbar.
„Die sektorübergreifende Forschung wird die Universitätsmedizin der Zukunft bereichern und das Fach Allgemeinmedizin an den Universitäten stärken“, ist er überzeugt. Mit dem DESAM-ForNet seien die Weichen richtig gestellt.
Um die Versorgung der Zukunft jedoch tatsächlich ambulant, digital und sektorübergreifend zu gestalten, gäbe es in den nächsten Jahren noch viel zu tun, so Gerlach. „Es ist ein Glücksfall, dass bereits jetzt das Netzwerk der Forschungspraxen existiert“.
„Wir bohren dicke Bretter, und dies geht nur gemeinsam“, betonte Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Sowohl vor den Forschungspraxen als auch der Universitätsmedizin lägen in den nächsten Jahren große Aufgaben.
Viel ist jedoch bereits geschafft. Gegen Ende der Projektlaufzeit 2020 bis 2025 kann das DESAM-ForNet auf so einige Erfolge verweisen: 1.397 Praxen sowie 32 allgemeinmedizinische Universitätsstandorte haben sich innerhalb von sechs regionalen Forschungspraxennetzen im DESAM-ForNet zusammengeschlossen. Eine Koordinierungsstelle in Berlin sowie die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) unterstützen die Zusammenarbeit.
120 Studien seien auf diese Weise im Netzwerk schon initiiert worden, so Leonor Heinz, Leiterin der Koordinierungsstelle in Berlin. Sie sollen es insbesondere ermöglichen, Fragen zum konkreten Nutzen medizinischer Interventionen unter Alltagsbedingungen für Patientinnen und Patienten zu beantworten und wertvolle Erkenntnisse aus der Patientenversorgung in die Wissenschaft einzubringen. Es gelte das Prinzip „aus der Praxis, für die Praxis“, so Heinz.
Die ersten Erfolge erhalten Wertschätzung aus dem Bundesforschungsministerium (BMBF). Mit der von ihr geschaffenen Infrastruktur sei die Initiative DESAM-ForNet auf einem guten Weg, sagte Veronica von Messling, Leiterin der Abteilung Lebenswissenschaften im BMBF, gestern beim Symposium. „Sie hat die Vernetzung von Forschungspraxen maßgeblich vorangetrieben“, würdigte sie die Anstrengungen der vergangenen Jahre.
In ihrem Haus werde momentan die künftige Strategie der Gesundheitsforschung intensiv diskutiert, so von Messling. Generell sehe man dabei drei Zukunftsdimensionen: So solle die Gesundheitsforschung der Zukunft präventiv, personalisiert und dezentralisiert ausgerichtet sein, sagte sie. „Dazu brauchen wir passgenaue Forschungsinfrastrukturen.“ Das Netzwerk der Forschungspraxen könne da ein wichtiger Baustein sein.
Großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit dem DESAM-ForNet zeigte gestern in Berlin das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM). „Beide Projekte ergänzen sich und können voneinander profitieren“, sagte Ralf Heyder, Leiter der Koordinierungsstelle des NUM. „Sie sind die geborenen Partner.“
Unter der Federführung von DESAM-ForNet könne die Forschungsinfrastruktur im NUM um den ambulanten Sektor ergänzt werden, meinte Heyder. Es sei möglich, gemeinsam neue Konzepte umzusetzen, wenn man sich auf gemeinsame Ziele verständige.
„Wir wollen keine Datensilos“, betonte er. Zudem bestünde in der universitätsmedizinischen Forschung momentan ein Bias, da Daten hauptsächlich aus dem Bereich der spezialisierten Versorgung stammten. Dieser Bias könne durch die Kooperation mit den Forschungspraxen reduziert und die Versorgung verbessert werden.
„Auch unser Ziel ist die Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung“, stellte Jutta Bleidorn, Mitglied im DESAM-Stiftungsvorstand, klar. „Dafür braucht es eine wissenschaftliche und zugleich praxisorientierte Fundierung durch Daten und Studien aus der täglichen Versorgungspraxis. Wichtig ist auch, die Patientinnen und Patienten partizipativ mit einzubeziehen, ebenso wie das ganze Team in der Hausarztpraxis. Nur so kann Forschung nachhaltig wirken.“
Voraussetzung dafür sei der nachhaltige Ausbau der IT-Daten-Infrastruktur im ambulanten Bereich. Die Vernetzung von Studiendaten und Routinedaten sei angesichts der verschiedenen Praxisverwaltungssysteme (PVS) nicht trivial, erklärte Bleidorn. Die Universitätsmedizin brauche jedoch den Blick in die ambulante Versorgung. Forschende Praxen sollten künftig ein selbstverständlicher Teil der Forschung werden, sagte sie.
Die Bereitschaft der Hausärztinnen und Hausärzte sich in der Forschung zu engagieren, bekräftigte Markus Beyer, Bundesvorsitzender des Hausärztinnen und Hausärzteverbands. „Wir sind froh, dass wir als Hausärztinnen und Hausärzte die Hinterzimmer der Forschung verlassen haben“, sagte er. Es sei wichtig, dass der Blick der Forschung und der Fokus von Studien auf die Praxisrelevanz gerichtet sei.
„Die hausärztlichen Praxen sind der Knotenpunkt, der für die Forschung besonders wichtig ist“, betonte Stefanie Houwaart, Patientin und Koordinatorin des Wissenschaftlichen Beirates des BRCA-Netzwerks. Gerade bezüglich der Erhebung von Daten zu Lebensqualität oder Langzeitüberleben gäbe es noch große Potenziale. „Wir vergeben viele Chancen, wenn wir diese nicht nutzen.“
Bei der Datennutzung aus den hausärztlichen Praxen dürfte jedoch nicht vergessen werden, dass die Hausärzte nicht nur die „Bereitsteller“ dieser Daten seien, betonte Till Uebel von der Hausärztlichen Gemeinschaftspraxis in Kleingemünd und Ittlingen. „Hausärztinnen und Hausärzte haben zudem ein anderes Bild auf ihre Klientel und auf die Forschung.“
Sie könnten andere und besonders praxisrelevante Aspekte in die Forschung einbringen, so Uebel. Allerdings sei es nicht immer einfach, die Forschung in den hausärztlichen Alltag zu integrieren. „Das kostet Zeit, und das braucht Wertschätzung“, betonte er.
„Dass wir über Sektorengrenzen hinweg Daten austauschen können, ist Chance und Herausforderung zugleich“, sagte Sebastian Semler, Geschäftsführer der TMF. Es brauche es gemeinsame Rechtsgrundlagen, gemeinsame Ziele und Spielregeln sowie gemeinsame Infrastrukturen. Aber auch neue Akteure könnten notwendig sein, beispielsweise Datenintegrationszentren.
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