Ausland

„Historisch“: Abtreibungsrecht bekommt in Frankreich Verfassungsrang

  • Dienstag, 5. März 2024
/picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Emmanuel Dunand
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Paris – Eine Abstimmung mit großer Symbolkraft: In Frankreich wird die Freiheit auf Schwangerschaftsab­brüche in der Verfassung verankert. Die dafür nötige Drei-Fünftel-Mehrheit wurde gestern in Versailles bei einer Sitzung beider Parlamentskammern erreicht.

72 Abgeordnete stimmten dagegen bei 780 Ja-Stimmen. Anschließend applaudierten die Anwesenden im Stehen. Beide Kammern hatten dem Vorhaben einzeln bereits zuvor grünes Licht gegeben.

Die offizielle Zeremonie zur Verfassungsänderung soll am Weltfrauentag am kommenden Freitag stattfinden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb auf X, ehemals Twitter: „Frankreichs Stolz. Universelle Bot­schaft.“

Viele feierten die Abstimmung auch als wichtiges Symbol, weil weltweit die Möglichkeiten für einen Schwan­gerschaftsabbruch teils deutlich eingeschränkt werden. In den USA kippte das Oberste Gericht der USA vor knapp zwei Jahren das bundesweit geltende Recht auf solche Abbrüche.

In Polen war 2021 nach einem umstrittenen Urteil des Verfassungsgerichts ein verschärftes Abtreibungsrecht in Kraft getreten. Seitdem dürfen Frauen auch dann keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, wenn ein ungeborenes Kind schwere Fehlbildungen aufweist. Der neue Ministerpräsident Donald Tusk will das Abtrei­bungsrecht jedoch wieder lockern.

In Frankreich sind Schwangerschaftsabbrüche bis zur zehnten Schwangerschaftswoche bereits seit 1975 straffrei. Mittlerweile können Schwangere in Frankreich bis zur 14. Woche abbrechen, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Umfragen zufolge befürworteten mehr als 80 Prozent der Französinnen und Franzosen die Verfassungsänderung.

Auf den Eiffelturm wurden laut dem Sender BFMTV gestern Abend die Worte „mein Körper, meine Entschei­dung“ projiziert. Darunter jubelten die Menschen, als das Ergebnis bekannt wurde. Sie hatten die Abstimmung auf einem Großbildschirm verfolgt.

Premierminister Gabriel Attal sprach vor der Abstimmung von einer „moralischen Schuld“ gegenüber allen Frauen, die gelitten hätten. „Uns verfolgen das Leiden und die Erinnerung an so viele Frauen, die jahrzehnte­lang darunter gelitten haben, nicht frei sein zu können“, betonte er und freute sich über den „erfolgreichen Abschluss eines langen Kampfes“.

Viele Abgeordnete feierten die Abstimmung als „historisch“. Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei La France insoumise (LFI), Mathilde Panot, sah darin ein Versprechen für alle Frauen, die weltweit für das Recht auf Abtreibung kämpften. Frankreich besinne sich auf seine Berufung als „Leuchtturm der Menschenrechte“, sagte Panot, die den ersten Entwurf für die Verfassungsänderung eingebracht hatte.

Während der Abstimmung in Frankreich versammelten sich mehrere Hundert Abtreibungsgegner in der Nähe des Kongresses in Versailles, um gegen die Verfassungsänderung zu protestieren. Auch die katholische Kirche machte deutlich, dass sie Schwangerschaftsabbrüche weiterhin ablehnt. Die Päpstliche Akademie für das Leben teilte laut dem Sender BFMTV mit: „Im Zeitalter der universellen Menschenrechte kann es kein „Recht“ geben, ein menschliches Leben zu vernichten.“

Mit der Entscheidung hat das Parlament im Nachbarland nach Ansicht von Bundesfrauenministerin Lisa Paus „einen in Europa einzigartigen Schritt gemacht“. Sie verwies auf mögliche Neuregelungen beim Thema auch in Deutschland. Im Koalitionsvertrag habe die Ampel „die Stärkung der reproduktiven Rechte von Frauen als ein wichtiges Ziel benannt“, sagte sie. „Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen“, hatten SPD, Grüne und FDP darin festgehalten und verschiedene Vorhaben aufgelistet.

Dazu gehört unter anderem die Einsetzung einer Kommission, die prüfen soll, ob Schwangerschaftsabbrüche weiterhin im Strafgesetzbuch geregelt werden sollen. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches grundsätzlich strafbar, es sei denn, sie finden innerhalb der ersten zwölf Wochen statt und die Frau hat sich zuvor beraten lassen. Nicht strafbar ist ein Abbruch zudem, wenn medizi­nische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird.

„Der Bericht der Kommission wird Mitte April vorliegen und eine gute Grundlage bieten, um wissenschafts­ba­siert über die Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu sprechen“, sagte Paus. „Die verfassungsrechtliche Situation ist in Deutschland aber grundsätzlich eine andere als in Frankreich“, fügte sie hinzu, ohne dies näher zu erläutern.

Von ihren Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt hat die Ampel bereits die Streichung des Paragra­fen 219a aus dem Strafgesetzbuch (Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche), der Ärztinnen und Ärzte, die ausführlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren wollten, dem Risiko einer Strafverfolgung aussetzte.

Vor kurzem von der Regierung auf den Weg gebracht wurde außerdem ein Gesetz gegen sogenannte Geh­steig­belästigungen: Frauen auf dem Weg zu Beratungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschafts­ab­brüche durchführen, sollen zum Beispiel durch Androhung hoher Bußgelder vor Belästigungen durch Abtrei­bungsgegner geschützt werden.

Die Linke fordert nach französischem Vorbild eine Verankerung des Rechts auf Abbrüche im Grundgesetz. „Die Bundesregierung sollte dem Beispiel Frankreichs folgen und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in die Verfassung aufnehmen“, sagte Parteichefin Janine Wissler dem Portal t-online. „Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist ein Grundrecht, deshalb gehört es ins Grundgesetz.“

Nur auf diese Weise „wäre das Recht vor Angriffen durch rechte Kräfte geschützt“. In den USA zeige sich be­reits, was passiere, wenn sich Konservative und christliche Fundamentalisten beim Thema Schwangerschafts­abbrüche verbündeten, sagte die Linken-Vorsitzende weiter.

„Bereits jetzt bedrohen christlich-fundamentalistische Gruppen hierzulande Ärztinnen und Ärzte und setzen Frauen unter Druck.“ Eine Verankerung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung „würde Frauen und Ärzten Rechtssicherheit geben", so Wissler.

2022 gab es laut Statistischem Bundesamt (Destatis) in Deutschland rund 104.000 gemeldete Schwanger­schaftsabbrüche.

dpa/afp

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