Politik

Hochrechnung: Fluorchinolone verursachen mehr Nebenwirkungen und mehr Todesfälle

  • Donnerstag, 23. Mai 2019
/rogerphoto, stockadobecom
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Berlin – Durch die Verordnung von Fluorchinolon-Antibiotika waren nach Hochrech­nun­gen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) 2018 im Vergleich zu ande­ren Anti­biotika mehr als 40.000 Pa­tienten zusätzlich von Neben­wirkungen betroffen. Die Zahl der Todesfälle habe rechnerisch um 140 höher gelegen.

Die Analyse hat das WIdO mit Unterstützung von Winfried V. Kern vom Zentrum Infek­tionsme­dizin am Universitätsklinikum Freiburg auf Basis medizinischer Berichte zu uner­wünsch­ten Wirkungen dieser Arzneimittel erstellt und eine Abschätzung vorge­nommen, wie viele Patien­ten in Deutschland dem zusätzlichen Risiko für bestimmte Fluorchinolon-asso­ziierte Nebenwirkungen ausgesetzt waren.

Diese Schätzungen ergaben, dass im Vergleich mit anderen Antibiotika unter je 100.000 Fluorchinolon-Anwendern zusätzlich 1.161 Nebenwirkungen des Nerven­systems (vor allem Verwirrtheit und Unruhe), 33 Sehnenrupturen (Sehnenrisse), acht Aorten-Aneurysmen (Gefäßschädigungen der Hauptschlagader) sowie vier kardio­vas­kuläre Todesfälle auftreten können.

Unterstellt man, dass eine der oben aufgeführten Nebenwirkungen prinzipiell bei der Einnahme jeder Packung auftreten kann, würde dies für 2018 bei 3,5 Millionen Arznei­mittelfällen einer Zahl von mehr als 40.000 solcher Nebenwirkungen entsprechen, die bei Antibiotikaverzicht oder Einsatz eines anderen Antibiotikums nicht vorgekommen wären, rechnet das WIdO vor. In den Berechnungen seien eine große Anzahl von weiteren Komplikationen, zum Beispiel Hyperglykämien bei Diabetikern, nicht be­rücksichtigt. Darüber hinaus kann nach diesen Ergebnissen von bis zu 140 zusätzli­chen Todesfällen im Jahr 2018 ausgegangen werden.

„Diese Zahlen sind besonders alarmierend, weil für viele Erkrankungen gut wirksame und risikoärmere Antibiotika zur Verfügung stehen und die Gefahren den pharmazeu­tischen Herstellern bereits seit Jahren bekannt sind“, sagte Helmut Schröder, stellver­tretender Geschäftsführer des WIdO.

Nach Berechnungen des WIdO haben 20,4 Millionen und damit mehr als jeder vierte gesetzlich Krankenversicherte 2018 mindestens einmal von ihrem Arzt eine Antibio­tika­verordnung erhalten. Von den 310 Millionen verordneten Antibiotika-Tagesdosen des Jahres 2018 seien 8,2 Prozent (25,6 Millionen Tagesdosen) auf die Gruppe der Fluorchinolon-Antibiotika entfallen.

Trotz des seit 2011 zurückhaltenderen Verordnungsverhaltens der Ärzte wurden im Jahr 2018 nach Abschätzung auf Basis von AOK-Daten immer noch etwa 3,3 Millio­nen Patienten und damit fast fünf Prozent der mehr als 72 Millionen gesetzlich Kran­kenversicherten mit diesen Wirkstoffen behandelt, resümiert das WIdO. Führend bei den Fluorchino­lonen ist der Wirkstoff Ciprofloxacin mit fast zwei Dritteln der Verord­nungen (64 Prozent).

„Die hohe Zahl der Verordnungen lässt darauf schließen, dass Fluorchinolon-Anti­bio­tika häufig nicht als Mittel der Reserve und auch nicht ausschließlich bei schwerwie­gen­den und lebensbedrohlichen Infektionen zum Einsatz kommen“, so Schröder. Und das, obwohl Fluorchinolone weltweit als Reserveantibiotika gelten würden.

Die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) hat bereits 2008 über schwerwiegende Nebenwirkungen von Fluorchinolonen berichtet. Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat die Ärzte immer wieder darauf hingewiesen, Fluorchinolon-Antibiotika maßvoll einzusetzen.

Erst Anfang April, nach dem Abschluss eines zwei Jahre dauernden europäischen Risikobewertungsverfahrens, teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin­produkte (BfArM) mit einem Rote-Hand-Brief mit, dass Ärzte Fluorchinolone wegen schwerer Nebenwirkungen nur noch im Einzelfall verschreiben sollten. Und erst damit müssen die Pharmahersteller die Anwendungen in der Packungsbeilage ihrer Arznei­mittel massiv einschränken, so das WIdO.

may/EB

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