Hochrechnung: Fluorchinolone verursachen mehr Nebenwirkungen und mehr Todesfälle

Berlin – Durch die Verordnung von Fluorchinolon-Antibiotika waren nach Hochrechnungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) 2018 im Vergleich zu anderen Antibiotika mehr als 40.000 Patienten zusätzlich von Nebenwirkungen betroffen. Die Zahl der Todesfälle habe rechnerisch um 140 höher gelegen.
Die Analyse hat das WIdO mit Unterstützung von Winfried V. Kern vom Zentrum Infektionsmedizin am Universitätsklinikum Freiburg auf Basis medizinischer Berichte zu unerwünschten Wirkungen dieser Arzneimittel erstellt und eine Abschätzung vorgenommen, wie viele Patienten in Deutschland dem zusätzlichen Risiko für bestimmte Fluorchinolon-assoziierte Nebenwirkungen ausgesetzt waren.
Diese Schätzungen ergaben, dass im Vergleich mit anderen Antibiotika unter je 100.000 Fluorchinolon-Anwendern zusätzlich 1.161 Nebenwirkungen des Nervensystems (vor allem Verwirrtheit und Unruhe), 33 Sehnenrupturen (Sehnenrisse), acht Aorten-Aneurysmen (Gefäßschädigungen der Hauptschlagader) sowie vier kardiovaskuläre Todesfälle auftreten können.
Unterstellt man, dass eine der oben aufgeführten Nebenwirkungen prinzipiell bei der Einnahme jeder Packung auftreten kann, würde dies für 2018 bei 3,5 Millionen Arzneimittelfällen einer Zahl von mehr als 40.000 solcher Nebenwirkungen entsprechen, die bei Antibiotikaverzicht oder Einsatz eines anderen Antibiotikums nicht vorgekommen wären, rechnet das WIdO vor. In den Berechnungen seien eine große Anzahl von weiteren Komplikationen, zum Beispiel Hyperglykämien bei Diabetikern, nicht berücksichtigt. Darüber hinaus kann nach diesen Ergebnissen von bis zu 140 zusätzlichen Todesfällen im Jahr 2018 ausgegangen werden.
„Diese Zahlen sind besonders alarmierend, weil für viele Erkrankungen gut wirksame und risikoärmere Antibiotika zur Verfügung stehen und die Gefahren den pharmazeutischen Herstellern bereits seit Jahren bekannt sind“, sagte Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.
Nach Berechnungen des WIdO haben 20,4 Millionen und damit mehr als jeder vierte gesetzlich Krankenversicherte 2018 mindestens einmal von ihrem Arzt eine Antibiotikaverordnung erhalten. Von den 310 Millionen verordneten Antibiotika-Tagesdosen des Jahres 2018 seien 8,2 Prozent (25,6 Millionen Tagesdosen) auf die Gruppe der Fluorchinolon-Antibiotika entfallen.
Trotz des seit 2011 zurückhaltenderen Verordnungsverhaltens der Ärzte wurden im Jahr 2018 nach Abschätzung auf Basis von AOK-Daten immer noch etwa 3,3 Millionen Patienten und damit fast fünf Prozent der mehr als 72 Millionen gesetzlich Krankenversicherten mit diesen Wirkstoffen behandelt, resümiert das WIdO. Führend bei den Fluorchinolonen ist der Wirkstoff Ciprofloxacin mit fast zwei Dritteln der Verordnungen (64 Prozent).
„Die hohe Zahl der Verordnungen lässt darauf schließen, dass Fluorchinolon-Antibiotika häufig nicht als Mittel der Reserve und auch nicht ausschließlich bei schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Infektionen zum Einsatz kommen“, so Schröder. Und das, obwohl Fluorchinolone weltweit als Reserveantibiotika gelten würden.
Die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) hat bereits 2008 über schwerwiegende Nebenwirkungen von Fluorchinolonen berichtet. Auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat die Ärzte immer wieder darauf hingewiesen, Fluorchinolon-Antibiotika maßvoll einzusetzen.
Erst Anfang April, nach dem Abschluss eines zwei Jahre dauernden europäischen Risikobewertungsverfahrens, teilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit einem Rote-Hand-Brief mit, dass Ärzte Fluorchinolone wegen schwerer Nebenwirkungen nur noch im Einzelfall verschreiben sollten. Und erst damit müssen die Pharmahersteller die Anwendungen in der Packungsbeilage ihrer Arzneimittel massiv einschränken, so das WIdO.
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