Hormontherapie: Endokrinologen fordern Trendwende bei Wechseljahresbeschwerden

Berlin – Entgegen der vorherrschenden Bedenken sollten Frauen mit Wechseljahresbeschwerden viel häufiger eine Hormontherapie erhalten, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Studienerkenntnisse aus dem Jahr 2002, die ein erhöhtes Krebsrisiko nahelegten, seien damals falsch interpretiert worden. Nach 15 Jahren räumten Experten im New England Journal of Medicine 2016 daher ein, dass eine Hormontherapie das Brustkrebsrisiko nicht generell erhöht (2017; doi: 10.1056/NEJMp1514242). Lebensalter, Dauer und Dosierung der Hormontherapie, körperliche Aktivität, Gewicht und genetische Faktoren spielen eine wichtigere Rolle.
Die Verordnung von Hormonen ging nach Publikation einer Studie der Women's Health Initiative (WHI) im Jahr 2002 um 80 Prozent zurück. „Dafür schnellte der Verbrauch von Antidepressiva, Schlafmitteln sowie einer Fülle nicht zugelassener alternativer Substanzen in die Höhe. Millionen von Frauen wurde eine sinnvolle und höchst effektive Behandlung von menopausalen Beschwerden vorenthalten“, bedauert Cornelia Jaursch-Hancke, leitende Ärztin des Fachbereichs Endokrinologie/Diabetologie an der DKD Helios-Klinik Wiesbaden.
Kritik am Studiendesign wurde lange ignoriert
In der Studie untersuchte die WHI damals, welche gesundheitlichen Auswirkungen eine Hormontherapie auf die Gesundheit der Frauen habe. Es nahmen insgesamt 16.000 Frauen teil. Eine Hälfte erhielt eine Hormontherapie, die andere nicht. Nach fünf Jahren wurde die Studie abgebrochen wegen einer erhöhten Rate an Brustkrebs, Thrombosen, Schlaganfall und Herzinfarkten in der Studiengruppe, die Hormone erhalten hatte.
„Nicht bedacht wurde bei der Interpretation der Daten, dass das Durchschnittsalter der Frauen in dieser Studie mit 63 Jahren sehr viel höher lag, als bei Frauen im üblichen menopausalen Alter, also um die 50. Zudem waren die Teilnehmerinnen im Durchschnitt fettleibig und hatten Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und erhöhten Blutdruck: Sie waren nicht gesund“, betont Jaursch-Hancke. Die bereits früh geäußerte Kritik am Studiendesign und den Ergebnissen ging allerdings unter. Medienberichte griffen die Daten auf und verbreiteten die Botschaft: Hormontherapie in den Wechseljahren sei gefährlich.
Korrigierte WHI-Studienauswertung belegt Nutzen der Hormontherapie
Neuere Studiendaten aus Dänemark und eine Re-Evaluation der jüngeren Frauen der WHI-Studie im Alter von 50 bis 60 Jahren zeigten nun, dass eine frühe Hormontherapie in der Menopause die Symptome nicht nur effektiv behandelt, sondern sich sogar günstig auf das Herz-Kreislauf-System und die Todesrate auswirkt. Daneben scheint eine alleinige Östrogentherapie, die in der Regel aber nur Frauen erhalten, die keine Gebärmutter mehr haben, das Brustkrebsrisiko zu senken.
Nicht jede Frau profitiert von einer Hormontherapie
„Grundsätzlich hat eine Hormontherapie in der Menopause auch gut belegte positive Effekte auf den Knochen“, ergänzt Sven Diederich, Ärztlicher Leiter von Medicover Deutschland und Vizepräsident der DGE aus Berlin. Ob eine Frau aber von einer im 6. Lebensjahrzehnt durchgeführten Hormontherapie hinsichtlich der Erkrankung Osteoporose profitiert, die meist erst im Alter über 70 Bedeutung beginnt, sei aber nicht belegt und eher fraglich. Deshalb komme nicht jede Frau für eine Hormontherapie infrage – trotz neuer Daten.
Viele Frauen erleben diese Lebensphase auch ohne eine Hormontherapie gut und zufrieden. „Bei etwa 20 bis 30 Prozent der Frauen ist der Tagesablauf durch Beschwerden stark beeinträchtigt. Diesen Frauen können wir jetzt wieder mit gutem Gewissen mit einer Hormontherapie helfen“, sagt Diederich. Gleichzeitig warnt er davor, weiterhin bestehende Risiken der Hormontherapie nicht zu ignorieren. So gebe es beispielsweise ein gering erhöhtes Thromboserisiko unter der Hormontherapie, die sich durch eine geeignete Applikationsform zum Beispiel über die Haut minimieren lasse.
Wichtig sei es, mit dem Arzt über die Dauer der Therapie zu sprechen. Denn Studien zeigen, dass längere Hormontherapien und auch eine Therapie bei über 60-jährigen Frauen ein Risiko bergen. „Fünf Jahre Hormontherapie ist mit Blick auf mögliche Risiken die richtige Zeitspanne“, erklärt Diederich. Wichtig sei, dass man die Therapie ausschleicht. „Sonst sind die unangenehmen Beschwerden gleich wieder da, was zu einer dauerhaften Fortführung motivieren kann.“
Die Wechseljahre, auch Klimakterium genannt, sind nach der Pubertät die zweite hormonbewegte Phase im Leben einer Frau. „Häufig berichten Frauen von Hitzewallungen, Schweißausbrüchen und Schlafstörungen. Noch viel gravierender sind jedoch Depressionen, wiederkehrende Harnwegsinfekte, Muskel- und Gelenkschmerzen und eine insgesamt nachlassende Leistungsfähigkeit“, erklärt Jaursch-Hancke. Diese Symptome ließen sich oft sehr gut mit einer Hormontherapie behandeln, so die Expertin. Bei Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen würden häufig Psychopharmaka verschrieben. „Anstatt die Ursache, also den Östrogenmangel, auszugleichen, bleibt die Behandlung auf der Symptomebene“, so Jaursch-Hancke.
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