Politik

Impfgipfel kritisiert Umsetzungsprobleme beim Impfen der Bevölkerung

  • Mittwoch, 19. Oktober 2022
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Berlin – Das 2020 gegründete „Nationale Aktionsbündnis Impfen“ will die Impfraten steigern und die aktuelle Aufmerksamkeit für Impfungen gegen COVID-19 nutzen, um alle vorhandenen Kräfte, Institu­tionen und Gre­mien zu bündeln und die Akzeptanz von Impfungen jenseits der Coronapandemie zu verbes­sern.

Beim dritten vom Tagesspiegel-Verlag organisierten „Impfgipfel“ wurde heute deutlich, dass Impfungen als Maßnahme der primären Prävention künftig noch stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken und Impf­barrieren beseitigt werden müssen.

„Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“, betonte heute Heidrun Thaiss, die 2015 bis 2021 die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) leitete und unter deren wissenschaftlicher Leitung jetzt das Nationale Aktionsbündnis Impfen erste Maßnahmen konkretisierte.

Entstanden ist ein Verhaltenskodex, ein „Code of Conduct: Gemeinsames Handeln zur Steigerung der Impfquo­ten“, in dem die Mitglieder aus Ärzteschaft, Wissenschaft, Politik und Industrie klare Ziele definieren und sich zu konkreten Maßnahmen verpflichten. Diese sollen innerhalb des jeweils eigenen Einflussbereiches zur Ziel­erreichung vorangetrieben und regelmäßig überprüft werden.

Prinzipiell sollten bestehende Impfhindernisse abgebaut und jede Gelegenheit des Kontaktes zum Abfragen des Impfstatus genutzt werden, betonte Thaiss. „Dazu wollen wir jetzt verstärkt das Gespräch mit Politik und Öffentlichkeit suchen.“

Wesentliche Vorhaben des Aktionsbündnisses seien die Förderung der Gesundheitskompetenz und Vermeh­rung des Wissens in der Bevölkerung, so Thaiss. Ansätze gebe es bereits in Schulen, doch es herrsche noch ein sehr heterogenes Bild vor. Auch Impfaufklärung und Impfausweiskontrolle bei jedem Patientenkontakt sowie niedrigschwellige Impfangebote in Apotheken seien ausbaufähig.

Ferner sehe der „Code of Conduct“ auch die Weiterentwicklung einer digitalen Impfdokumentation sowie die Fort- und Weiterbildung impfender Berufsgruppen und die Förderung des Impfens durch Betriebs- und Amts­ärzte vor. Generell gelte es, eine differenzierte und möglichst persönliche Ansprache der heterogenen Perso­nengruppen zu erreichen, sagte die Kinderärztin.

Dies bestätigte Ulf Zitterbart, 2. Stellvertretender Bundesvorsitzender des Hausärzteverbands. Impfen sei schon immer Thema in einer Hausarztpraxis, sagte er. Wichtig für niedrigschwellige Angebote sei jedoch eine fortschreitende Digitalisierung: ein digitaler Impfausweis und Einladungs- und Erinnerungssysteme könnten die hausärztlichen Praxen dabei unterstützen. „Notwendig ist eine ständige Aufklärung durch die Hausärz­tin­nen und -ärzte“, ist Zitterbart überzeugt. „Das Impfangebot muss zudem einfach und niedrigschwellig sein.“

Für mehr niedrigschwellige Angebote sprach sich auch Kristina Böhm, stellvertretende Vorsitzende des Bun­desverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), aus. „Wir sind an allen Altersgruppen dran, müssen aber die Ansprache intensivieren“, sagte sie.

In den vergangenen Jahren seien allerdings Strukturen vernachlässigt worden, kritisierte sie. Zudem bestün­den Impfbarrieren. Es sei häufig schwierig für die Gesundheitsämter, Impfberatungen und Impfungen vor Ort in den Kindertageseinrichtungen oder Schulen anzubieten, obwohl dies gerade bei Kindern und Jugendlichen große Wirkung zeigen könne.

Dies unterstrich Berthold Koletzko, Vorsitzender des Stiftungsvorstandes Stiftung Kindergesundheit. Impfun­gen seien ein wichtiger Teil der Kindermedizin. Der aktuelle Kindergesundheitsbericht zeige, dass derzeit die nötigen Impfziele nicht erreicht würden. Allerdings gebe es auch nur eine punktuelle Erfassung.

„Wir brauchen eine bessere Datenlage und eine optimierte Information der Bevölkerung“, sagte er. „Aber auch die Kinder und Jugendlichen müssen direkt angesprochen werden, beispielsweise in der Schule.“ Modelle zeigten diesbezüglich Erfolge. Nach seiner Ansicht sollten aber auch die Kinderärze besser in der Kommuni­ka­tion mit impfkritischen Familien geschult werden. „Es gibt Risikogruppen, bei denen die derzeitige Kom­munikation nicht so gut funktioniert.“

Für einen Ausbau der Kommunikation sprach sich auch Boris von Maydell vom Verband der Ersatzkassen aus: Impfungen müssten zwar prinzipiell über die Arztpraxen laufen, dort sollte Kommunikation gefördert werden.

„Das Thema Impfen muss aber an vielen Orten präsent sein, beispielsweise am Arbeitsplatz“, betonte er. Die­ses Thema sollte regelhaft auch über Betriebsärzte abgedeckt werden. „Wichtig ist der Abbau der Impfhürden, die im Alltag der Menschen den Zugang zu Impfangeboten erschweren“, erklärte er.

Auch der ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold betonte beim Thema Impfen die Notwendigkeit der Nähe zu den Menschen und des Vertrauens. Die Wissenschaft habe viel kommuniziert, aber oftmals nicht so verständlich. „Vertrauen muss aufgebaut werden, dies geschieht beispielsweise beim Hausarzt oder auch beim Apotheker“, betonte er. Dies müsse man bei der Kommunikation ausnutzen. „Wir brauchen vertrauenswürdige Ansprech­partner, eine geeignete Ansprache und einen Kommunikationsanlass.“

Die Wissenschaft müsse die Ärztinnen und Ärzte gut auf Nachfragen vorbereiten, sagte Linda Sanftenberg, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin der LMU Klinikum München. „Wir schulen beispielsweise ärztliche Praxisteams für die Kommunikation mit den Patienten“, berichtete sie. Leider hätte es in der Vergangenheit noch zu oft widersprüchliche Informationen zum Thema Impfen gegeben, bedauerte Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO).

Auch sein Gremium versuche, die Kommunikation nach außen zu optimieren, primär sei es aber nicht die gesetzliche Aufgabe der STIKO, die Empfehlungen der Bevölkerung zu erklären. Ihre Empfehlungen seien für die Fachöffentlichkeit bestimmt.

ER

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