Innungskrankenkassen warnen vor Reformstau im Gesundheitswesen

Berlin – Eine „eher bescheidene Bilanz“ der bisherigen Gesundheitspolitik der Ampelkoalition hat heute die Interessenvertretung der Innungskrankenkassen (IKK e.V.) gezogen. Ein akuter Reformstau sei unübersehbar. Insbesondere müssten die Finanzierung des Gesundheitswesens auf solide Beine gestellt, die Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung gestärkt sowie die Digitalisierung weiter vorangetrieben werden.
„Der Handlungsdruck, um auch künftig unser stabiles, leistungsfähiges und hochwertiges Gesundheitssystem zu erhalten, ist enorm hoch“, erklärte Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V. Fakt sei aber, dass die Ampelkoalition bei der Stabilisierung der GKV-Finanzlage „keine Fortschritte“ mache. Man verstehe nicht, warum die seit Mai überfälligen Empfehlungen zur nachhaltigen Finanzierung der GKV noch immer im Bundeskanzleramt zur Abstimmung liegen.
Wollseifer verwies darauf, dass unter anderem auch von den Innungskrankenkassen bereits entsprechende Vorschläge vorgelegt worden seien. Diese umfassten die Nachjustierung und Dynamisierung des Bundeszuschusses für den Ausgleich versicherungsfremder Leistungen, die Anpassung der Pauschalen für die Bürgergeldbeziehenden sowie die Verbreiterung der Einnahmebasis der GKV durch eine Beteiligung an gesundheits- beziehungsweise umweltbezogenen Lenkungssteuern in Form einer Sonderabgabe. Zudem solle die Digital- und Plattformökonomie angemessen an den Kosten der Sozialversicherung beteiligt werden.
Zum Thema der Umwandlung von Genusssteuern zu einer „Gesundheitsabgabe“ wies Wollseifer auf eine forsa-Umfrage im Auftrag des IKK hin: Demnach bewerten 83 Prozent der GKV-Versicherten eine solche Abgabe als gut oder sehr gut. Laut Berechnungen der Innungskrankenkassen würden dem Gesundheitswesen bei einer Umsetzung der verschiedenen Maßnahmen auf der Einnahmenseite zusätzlich insgesamt 33,35 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
Bei der Ausgabenseite nehme man im IKK-Konzept drei Faktoren in den Blick, so Wollseifer. Es gehe um Steuerungs- und Lenkungsoptionen für die Versorgung, um die Wiedererlangung von Prüfrechten im Krankenhausbereich, um eine Stärkung der Finanzverantwortung für Bund und Länder aber auch für die Leistungserbringer sowie um eine Fokussierung auf Qualität statt auf Rendite. Gefragt sei eine faire Lastenverteilung der Finanzierungsverantwortung auf alle Akteure und die Hebung von Effizienzreserven.
Sinnvoll sei auch eine Konzentration des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) darauf, den Leistungskatalog der GKV unter Evidenzgesichtspunkten zu bereinigen – also nicht wirksame oder veraltete Leistungen aus dem Katalog zu streichen.
Weiterentwicklungspotenzial sieht der IKK-Verband auch bei der Digitalisierung. Die Behauptung, dass Deutschland bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens weit hinterherhinke, sei leider korrekt, sagte Peter Kaetsch, Vorstandsvorsitzender der BIG direkt gesund. Die nun vorliegenden Entwürfe für das Gesundheitsdatennutzungsgesetz und das Digital-Gesetz könnten aber viele Entwicklungen in die richtige Richtung steuern.
„Die Einführung des Opt-out-Verfahrens in Kombination mit einer vereinfachten Authentisierung kann der entscheidende Schub sein, damit die elektronische Patientenakte endlich in der Breite bei unseren Versicherten ankommt“, so Kaetsch. Die IKKn begrüßen auch die verbindliche Einführung des elektronischen Rezepts Anfang 2024.
Als gut durchdacht beurteilte Kaetsch das geplante Gesundheitsdatennutzungsgesetz. „Endlich können wir die Daten unserer Versicherten nutzen, um sie im Sinne ihrer Gesundheit zu informieren und zu beraten.“ Die forsa-Umfrage zeige deutlich, dass dies auch die Versicherten wünschten.
„Immerhin 71 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass zur Verbesserung der Versorgung Gesundheitsdaten stärker als heute von den Krankenkassen genutzt werden sollten“, betonte Kaetsch. Er stellte diesbezüglich klar, dass die Kassen nicht in die medizinische Kompetenz der Ärztinnen und Ärzte eingreifen „können und wollen“.
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