Intenisvmediziner drängen STIKO zu Ausweitung der Empfehlungen für Influenzaimpfung

Hamburg/Berlin – Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut (RKI) sollte ihre Empfehlungen zur Influenzaimpfung anpassen. Darauf drängt die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).
Die Intensivmediziner schlagen vor, dass Kinder ab sechs Monaten und alle Erwachsenen gegen Grippe geimpft werden sollten, um so schwere, zum Teil lebensbedrohliche Verläufe zu verhindern. Das Risiko einer schwereren Influenzawelle sei in diesem Winter hoch.
Derzeit beschränkt sich die STIKO-Empfehlung auf einzelne Personengruppen, etwa Menschen ab 60 Jahre, Schwangere, Menschen mit Vorerkrankungen oder bestimmten Berufsgruppen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe bereits eine Empfehlung für die Impfung aller Menschen ab einem Alter von sechs Monaten ausgesprochen, sagte DIVI-Präsident Florian Hoffmann.
„Andere europäische Länder zeigen uns, dass mit groß angelegten Impfkampagnen zahlreiche Kinder wie Erwachsene erfolgreich geschützt werden können – nur wir in Deutschland lassen weiterhin zu einem Großteil die Grippewelle ungeschützt über uns rollen“, wird Hoffmann in einer Pressemitteilung zitiert.
STIKO prüft fortlaufend aktuelle Daten
Auf seiner Webseite zur Influenzaimpfung greift das RKI die Frage nach Impfungen für gesunde Kinder auf. So würden etwa Finnland, Österreich, Frankreich, Litauen, Malta, Slowenien und die Slowakei empfehlen, gesunde Kinder gegen Influenza zu impfen. In Deutschland werde mit der vornehmlichen Impfung von Risikogruppen eine andere Strategie verfolgt. „Die STIKO behält das Thema im Blick und bewertet fortlaufend die entsprechende Literatur.“
Aus einer aktuellen Aufstellung geht hervor, dass das Gremium im Zeitraum 2025/2026 sowohl ein „systematisches Review zur Effektivität und Sicherheit der saisonalen Influenzaimpfstoffen bei Personen < 18 Jahren“ erstellen sowie eine „mögliche Impfstrategie bei Personen < 18 Jahren“ modellieren möchte.
Die für Presseanfragen zuständige Pressestelle des RKI wollte auf Anfrage die DIVI-Forderungen nicht kommentieren.
STIKO-Mitglied Berit Lange, Sprecherin der Arbeitsgruppe Influenza, sagte laut Süddeutscher Zeitung (SZ), dass auch Deutschland auf dem Weg in eine Grippewelle sei, allerdings bisher im Rahmen des jährlich zu erwartenden Infektionsgeschehens. „Ich verstehe, warum die DIVI an dem Thema dran ist, aber es ist auch nicht so, dass wir derzeit in einer außergewöhnlichen Lage sind“, so Lange laut SZ.
Deshalb gebe es auch keine Veranlassung, vom üblichen Prozess zur Prüfung von Impfempfehlungen abzuweichen. Lange sagte der SZ zufolge auch: „Die STIKO hat das Thema als eines der am schnellsten zu bearbeitenden Themen sehr hoch priorisiert, weil wir es für hochrelevant halten.“ Man arbeite derzeit „so schnell wie möglich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln“ an Daten und Modellierungen, „um eine Entscheidung zu ermöglichen“.
Schwere Grippewelle erwartet
Hoffmann erwartet allerdings eine starke Grippewelle in dieser Saison. Darauf wiesen Daten von der Südhalbkugel hin, so der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Dritter Orden München-Nymphenburg auf einer DIVI-Pressekonferenz. „Influenza ist eine ernstzunehmende und zum Teil ganz dramatisch verlaufende Erkrankung.“
Auch bei Kindern sind schwere Verläufe möglich, so der Pädiater weiter, davon sei etwa die Hälfte vorher gesund gewesen. Eine Impfung trage womöglich dazu bei, dies zu verhindern. „Das Ziel der Impfung ist nicht das Verhindern jeder Infektion, sondern schwere Verläufe zu verhindern.“
Mehr als 135.000 Menschen mussten zwischen Januar und Mai dieses Jahres aufgrund einer Influenza im Krankenhaus behandelt werden, berichtetet das DIVI-Vorstandsmitglied Christian Karagiannidis, der die Abrechnungsdaten aus der gesetzlichen Krankenversicherung zusammengestellt hatte.
Darunter seien 30.000 Kinder und Jugendlich unter 18 Jahren gewesen, wie der Leiter des ARDS- und ECMO- Zentrums der Lungenklinik Köln-Merheim ausführte, mit einem Schwerpunkt auf Kleinkinder bis zum Alter von zwei Jahren. „30.000 Kinder – das entspricht einer Kleinstadt.“ 500 hätten auf einer Intensivstation behandelt werden müssen.
Bei den Erwachsenen traf dies auf mehr als 20.000 von den 135.000 Erkrankten zu, so Karagiannidis. Davon sei etwa die Hälfte beatmet worden. Die Gesamtsterblichkeit über alle Altersgruppen hinweg habe bei sechs Prozent gelegen: „Das ist erstmal eine gute Nachricht.“ Aber sie steige auf bis zu einem Drittel bei beatmeten Patientinnen und Patienten. „Es ist unglaublich wichtig, diese schweren Verläufe bei der Grippe zu verhindern.“
Kinder sind nicht vor schweren Verläufen geschützt
Um die sehr schweren Verläufe von Influenzaerkrankungen bei den unter 18-Jährigen zu dokumentieren, führte die DIVI zudem im Januar und Februar dieses Jahres eine Befragung unter Kinderintensivstationen durch. Diese meldeten 181 Kinder, die aufgrund einer Grippe intensivmedizinisch behandelt wurden, erläuterte Ellen Heimberg, stellvertretende Sprecherin der DIVI-Sektion Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin.
Davon waren 63 jünger als vier Jahre, nahezu 98 Prozent der 181 Kinder hatte zuvor keine Influenzaimpfung erhalten. Etwas mehr als die Hälfte wurde beatmet, darunter etwa drei Viertel invasiv.
„Zehn Prozent der Kinder auf der Intensivstation sind verstorben“, berichtete Heimberg, Oberärztin der Interdisziplinären Pädiatrischen Intensivstation am Universitätsklinikum Tübingen. Weitere zehn Prozent seien mit großen neurologischen Defiziten entlassen worden.
Ungefähr ein Drittel der Kinder waren vorher vollkommen gesund gewesen, sagte die Intensivmedizinerin, andere wiesen Vorerkrankungen wie Asthma auf oder hatten als ehemalige Frühgeborene ein höheres Risiko.
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