Politik

Kassen fordern 2,2 Milliarden Euro weniger Honorar für die ambulante Versorgung

  • Donnerstag, 9. August 2012
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Berlin – „Forderungen der Ärzteschaft nach Honorarzuwächsen von deutlich über drei Milliarden Euro für 2013 sind völlig überzogen. Wir werden einen Antrag stellen, den Orientierungswert abzusenken.“ Mit diesen Worten hat am Donnerstag Johann-Magnus von Stackelberg auf Verhandlungsansagen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) reagiert. „Die Vergütung der Vertragsärzte muss sich künftig wieder ihrem Aufwand anpassen“, forderte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands Bund.

Er verwies auf ein Prognos-Gutachten im Auftrag seiner Organisation, wonach die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte überbezahlt sind. Statt 2013 mehr für die ambulante Versorgung zu zahlen, wollen die Krankenkassen knapp 2,2 Milliarden Euro weniger ausgeben. „Sinkende Kosten je Leistung, eine bessere Auslastung der Praxen und andere Wirtschaftlichkeitsreserven in der vertragsärztlichen Versorgung gehören genauso auf den Verhandlungstisch wie Preise und Mengen“, verlangte von Stackelberg.

Bewertungsausschuss soll sich bis Ende August übers Honorar einigen
GKV-Spitzenverband und KBV verhandeln derzeit im Bewertungsausschuss über wichtige Veränderungen am Honorar für das Jahr 2013. Bis zum 31. August muss der neue Orientierungswert für das kommende Jahr festgesetzt werden. Können KBV und Kassen sich nicht einigen, entscheidet der Erweiterte Bewertungsausschuss, dem noch drei unabhängige Mitglieder angehören. Der Orientierungswert ist die Basis für die Preiskomponente bei der Vergütung vertragsärztlicher Leistungen. Bei der Anpassung sind unter anderem Investitions- und Betriebskosten, aber auch Wirtschaftlichkeitsreserven zu berücksichtigen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zeigte sich empört über die von den Kranken­kassen angestrebten Honorarkürzungen. Das Wunschergebnis des GKV-Spitzen­verbandes bei den anstehenden Honorarverhandlungen würde die Ärzte „in alte Hamsterradverhältnisse zurückwerfen", sagte KBV-Sprecher Roland Stahl am Donnerstag in Berlin.

Der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Köhler hatte am Mittwoch einen Ausgleich von 3,5 Milliarden Euro gefordert. „Dieser Betrag ist notwendig, allein um die gestiegenen Betriebskosten und die Inflation seit 2008 auszugleichen“, hatte Köhler argumentiert. Er verwies unter anderem auf eine Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland, das sogenannte ZI-Praxis-Panel.

Diese Studie belege, dass die Vertragsärztinnen und -ärzte im Jahr 2008 im Schnitt einen Praxisüberschuss von 92.000 Euro mit der Behandlung von Kassenpatienten erzielt hätten (Einnahmeüberschuss nach Abzug der Praxiskosten). Als angemessen sei aber schon seinerzeit ein Wert von rund 105.000 Euro vom Bewertungsausschuss festgelegt worden.

Das ZI hatte auch ermittelt, dass der gesamte Jahresüberschuss je Praxisinhaber 2008 bei etwa 123.000 Euro lag. Dies war aber darauf zurückzuführen, dass etwa ein Viertel der Praxiseinnahmen nicht aus der gesetzlichen Krankenversicherung stammte, sondern aus privatärztlicher und sonstiger Tätigkeit.

Die Autoren des Prognos-Gutachtens haben teilweise identische Daten wie die KBV verwendet, beispielsweise Basisdaten des Statistischen Bundesamtes von 2007. Sie kommen jedoch zu anderen Ergebnissen. Die Einnahmen der Ärzte seien seit 2008 deutlich stärker gestiegen als die Kosten der Praxen, heißt es in der Studie. Große Teile der Praxiskosten seien fix, zum Beispiel die für Mieten und Personal, so die Autoren. Sie erhöhten sich nicht mit der Zahl der erbrachten Leistungen, die „im Übrigen weit weniger stark angestiegen sind, als bisher vermutet“.

Orientierungswert soll für 2013 sinken
Dem Prognos-Gutachten zufolge ist der durchschnittliche Jahresüberschuss je Arzt deshalb von 105.000 Euro im Jahr 2007 auf 134.000 Euro im Jahr 2011 gestiegen. Bei der Angabe für 2007 beziehen sich die Gutachter auf Simulationsberechnungen des Instituts des Bewertungsausschusses. „Bezieht man die Einnahmen durch die Versorgung von privat Versicherten mit ein, erhöht sich der Reinertrag je Arzt im gleichen Zeitraum sogar auf 165.000 Euro“, heißt es weiter.

Angesichts dieser Daten fordert der GKV-Spitzenverband eine Absenkung des Orientierungswerts von rund 3,5 auf 3,25 Cent für das Jahr 2013. Unter dem Strich wären dies 2,2 Milliarden Euro weniger für die Vertragsärztinnen und –ärzte. „Wenn den Ärzten nur die tatsächlichen Kostensteigerungen und die zusätzlichen Leistungen finanziert werden sollen, muss der Preis für die ärztliche Leistung korrigiert werden“, befand Studienautor Ronny Wölbing. „Nach unseren Berechnungen kann der Orientierungswert um circa sieben Prozent abgesenkt werden.“

Wölbing erläuterte, dass zwar alle untersuchten Kosten in den Jahren 2007 bis 2011 gestiegen seien, darunter am stärksten die Personalaufwendungen mit mehr als sieben Prozent. Seinen Berechnungen zufolge stiegen die erbrachten Leistungen sowie die Gesamtvergütung aber stärker, so dass sich die Kostensteigerungen mehr als kompensieren ließen. Zudem ließen sich Kostendegression und Wirtschaftlichkeitsgewinne feststellen.

Kooperationen: mehr Kosten, mehr Leistung
Als ein Beispiel führte er die Folgen des Wandels in der Struktur von Arztpraxen an. Die Zahl der Einzelpraxen sinke, die der Kooperationen (Gemeinschaftspraxen, Medizinische Versorgungszentren) wachse. Diese teilten sich häufig medizinische Gerätschaften und Personal, wodurch die Leistungen vergleichsweise günstiger zu erbringen seien als in Einzelpraxen.

Die Autoren des ZI-Praxis-Panels waren zumindest für das Jahr 2008 zu anderen Schlüssen gelangt: Ihnen zufolge erzielten Gemeinschaftspraxen im Jahr 2008 zwar einen höheren Umsatz als Einzelpraxen, hatten aber auch höhere Kosten zu verkraften. Erklärt wurde dies damit, dass Gemeinschaftspraxen tendenziell mehr Personal beschäftigten und in größerem Umfang als Einzelpraxen investierten. Prognos-Projektleiter Wölbing behauptete, dass die Kosten von Gemeinschaftspraxen und MVZ zwar im Durchschnitt das 2,5fache der Kosten von Einzelpraxen betragen würden. Im Durchschnitt werde dort aber auch das 3,5fache an  Leistungen erbracht.

In dem Konflikt zwischen KBV und GKV-Spitzenverband Bund geht es derzeit in erster Linie um den zukünftigen Preis für ambulante ärztliche Leistungen. Der Bewertungs­ausschuss verhandelt aber auch darüber, in welchem Umfang man die Menge an Leistungen anpassen  muss, weil sich der Behandlungsbedarf durch andere Diagnosen und den demografischen Wandel verändert hat. Nach Einschätzung der Krankenkassen gibt es hier wesentlich weniger Konflikte.

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Norbert Metke, kritisierte die Kassenforderungen als wertlosen Versuch, sich aus sich aus den Honorarverhandlungen 2013 herauszumogeln. „Für einen Platz im Kuriositätenkabinett politischer Lächerlichkeit könnte er sich freilich bewerben. Denn er dürfte der erste Verhandlungspartner in Vergütungsfragen sein, der der Gegenseite weniger Geld anbietet. Wir nehmen das mit einem Schmunzeln zur Kenntnis“, sagte Metke. Wenn die Kassen lieber ihr Geld in zum Teil wirkungslose Leistungen und Werbung steckten als in die steigende Morbidität der alternden Gesellschaft, dann könnten sie kaum als verantwortungs­voller Partner wahrgenommen werden, sagte der KV-Vorsitzende.

FDP-Gesundheitsexperte Erwin Lotter kommentierte die Honorarverhandlungen als „verlogen“. „Die Kassen inszenieren hier eine perfide Neiddebatte, die sich auf ein gefälliges Auftragsgutachten stützt, bei dem am Ende das herauskommt, was sich der milliardenschwere Auftraggeber vorstellt“, kritisierte der FDP-Politiker.

Rie/dapd

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