KBV-Chef gegen „Spargesetze mit der Heckenschere“

Berlin – Das Sozialversicherungssystem stellt eine der größten politischen Baustellen dar. Das betonte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, heute im Rahmen der KBV-Vertreterversammlung. Als KBV sei man immer bereit zu einer sachlichen Diskussion, verweigere sich aber „Spargesetzen mit der Heckenschere“.
Dass die angekündigte Expertenkommission zur Stabilisierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) noch in diesem Monat ihre Arbeit aufnehmen und im Frühjahr 2026 erste Ergebnisse vorlegen solle, sei notwendig, sagte Gassen. Er verwies darauf, dass die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben in der GKV immer stärker auseinander driftet.
„Haupttreiber der Kosten sind vor allem zu hohe und ungesteuerte Ausgaben für die Krankenhäuser sowie für Arzneimittel, wie sowohl das Bundesamt für Soziale Sicherung als auch der Bundesrechnungshof in ihren jüngsten Gutachten bestätigen“, so der KBV-Chef. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) müsse nun „als Krisenmanagerin herhalten“.
Höchst kritisch bewertete Gassen die jüngsten Vorschläge des Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenverbands, Oliver Blatt. Mit der sogenannten einnahmenorientierten Ausgabenpolitik drohe eine „Versorgung nach Kassenlage“.
Dann entscheide nicht mehr der medizinische oder psychotherapeutische Bedarf der Patientinnen und Patienten über die Art ihrer Versorgung, sondern die Zahlungswilligkeit der Krankenkassen. Das stelle den „Anfang vom Ende des Solidaritätsgedankens in der gesetzlichen Krankenversicherung und eine Bankrotterklärung für den Sozialstaat“ dar.
„Terminknappheit und längere Wartezeiten werden die Folge sein, es werden noch mehr Ärztinnen und Ärzte vorzeitig den Bettel hinschmeißen und Praxen aus der Versorgung ausscheiden“, warnte Gassen. Zudem würde das Anbinden der Gesamtvergütung an die Einnahmen der GKV auch ein Aushöhlen der gemeinsamen Selbstverwaltung bedeuten.
Denn: Die KBV habe keinen Überblick über die Gesamtentwicklungen und Vereinbarungen zu den Ausgaben – dementsprechend läge die Hoheit über entsprechende Entscheidungen in den Händen eines von mehreren Vertragspartnern. Deshalb sei der Vorstoß des GKV-Spitzenverbands „untragbar und fast schon fahrlässig“.
Wenn man richtigerweise über eine Begrenzung der Ausgaben nachdenke, dann könne die Devise künftig nicht mehr lauten: „Jeder bekommt alles zu jeder Zeit, dafür darf es aber nur wenig kosten. Sondern die Devise muss lauten: Jeder bekommt, was er braucht zum notwendigen Zeitpunkt – und das zahlt die Kasse dann auch zum vollen Preis.“
Zu den laufenden diesjährigen Verhandlungen zum Orientierungswert für die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung sagte Gassen, man diskutiere „zwar hart, aber sehr sachlich“ – trotz unterschiedlicher Interessen und Bewertungen. „Auch wenn die Positionen initial weit auseinanderlagen, gehe ich davon aus, dass wir nach Wochen der Verhandlung eine Einigung ohne einen Schlichterspruch erreichen können.“
Der KBV-Vorstandsvorsitzende kommentierte auch die teilweise bereits abgeschlossenen Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zur hausärztlichen Vergütung. Nach „intensiven und letztlich konstruktiven Beratungen“ sei es gelungen, die im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) vorgesehene neue Vorhaltepauschale für die hausärztliche Versorgung so zu gestalten, dass trotz der „absurden gesetzlich vorgeschriebenen Ausgabenneutralität“ mehr Anreize gesetzt werden könnten.
Mit den Beratungen zu der vom Gesetzgeber geforderten – und „ebenfalls skurril formulierten“ – Versorgungspauschale für Patienten mit leichteren chronischen Erkrankungen im hausärztlichen Bereich habe man begonnen.
Grundsätzlich mache auch hier eine Veränderung der Honorarsystematik ohne zusätzliches Geld „schlechterdings keinen Sinn“. Er hoffe aber, dass es trotz der „wenig praxistauglichen gesetzlichen Vorgaben“ bald eine gangbare Lösung gebe, so Gassen.
Der KBV-Chef richtete abschließend einen Appell an die Politik: Längst angekündigte Vorhaben – wie etwa die rechtliche Klarstellung bei der Sozialversicherungspflicht im ärztlichen Notdienst, die Bagatellgrenze für Wirtschaftlichkeitsprüfungen und etliche weitere, die Arbeit der Niedergelassenen erleichternde Dinge – müssten endlich kommen.
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